Das Trauma der US-Interventionen
Die lateinamerikanischen Staaten im Zwiespalt
Schon im Vorfeld des umstrittenen Beschlusses hatte es von Seiten lateinamerikanischer Staaten Kritik an den Plänen der USA gehagelt, freilich ohne Aussicht darauf, die Mitglieder des Sicherheitsrates für eine Entscheidung gegen die Intervention zu bewegen. Der uruguayische UN-Botschafter Píriz erklärte, sein Land werde keinerlei militärischen Eingriff unterstützen. Die Krise auf der Karibikinsel stelle mitnichten eine Gefahr für Frieden und Sicherheit auf internationaler Ebene dar. Zuerst müßten alle denkbaren nicht-militärischen Mittel ausgeschöpft werden, um die Diktatur zu beenden. Ähnliche Argumente waren von venezolanischer, peruanischer und kubanischer Seite zu hören. Am schärfsten ließ sich Mexikos Diplomatie in Anspielung auf die Geschichte US-amerikanischer Invasionen auf dem Kontinent vernehmen: Die Militärinterventionen, so der mexikanische UN-Botschafter Flores Olea, seien für die Bevölkerung der betroffenen Länder traumatisch und demoralisierend gewesen und hätten die sozialen und politischen Strukturen der Staaten tief beschädigt. Trotz enormen Kostenaufwands sei oft das eigentliche Ziel nicht erreicht worden.
Druck von den USA
Die Enthaltung Brasiliens scheint darüber hinaus eher das Ergebnis diplomatischen Drucks seitens der USA als ein Ausdruck der Gleichgültigkeit gewesen zu sein: Auch der brasilianische Botschafter in New York sprach sich unzweideutig gegen militärische Aktionen aus, von einer Beteiligung daran ganz zu scheigen. Die prekären Zustände auf der Insel seien deren “innere Angelegenheit”.
Aus dem Rahmen des lateinamerikanischen Protests fiel Argentinien: Schon im Rahmen einer Zusammenkunft der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) in Belem kurz zuvor war das Votum zugunsten einer Militäraktion – auf Anordnung der UNO – ausgefallen. Nun erklärte der argentinische UN-Repräsentant, ganz im Sinne von Präsident Menem, sein Land werde sich an der Aufstellung der multinationalen Eingreiftruppe beteiligen und sich somit der sogenannten “Gruppe der Freunde Haitis” anschließen, der die USA, Kanada und Frankreich angehören. Das führte zu Irritationen im eigenen Kabinett und natürlich von der Opposition: Vom Verteidigungsminister war zu hören, es werde nur an logistische Unterstützung gedacht, im Parlament forderte man eine Rechtfertigung. So war es nicht allzu verwunderlich, daß drei Tage später von Menem zu hören war, es gebe eine Beteiligung nur zu einem fortgeschrittenen Zeitpunkt der Invasion und auch nur mit vorausgehender Genehmigung des Kongresses.
Neben Argentinien haben sich auch einige Karibikstaaten, wie Barbados, Jamaika und Grenada, positiv zum Einmarsch in Haiti geäußert. Inzwischen nehmen sie allerdings auch eine gemäßigtere Position ein und bieten einen Einsatz ihrer Streitkräfte zu einem späteren Zeitpunkt an, wenn – wie gehofft wird – die gewaltsamen Auseinandersetzungen vorbei sind, und es darum geht, die UNO-Mission zur “Wiederherstellung stabiler Strukturen”, z.B. bei der Ausbildung neuer Polizeieinheiten, zu unterstützen.
Zu denken geben inoffiziell getroffene Aussagen US-amerikanischer Diplomaten, es gebe seitens der lateinamerikanischen Regierungen eine stillschweigende Mehrheit für die Invasionspläne: Die Ablehnung sei meist aus Gründen politischer Rücksichtnahme auf weitverbreitete US- beziehungsweise interventionsfeindliche Tendenzen erfolgt. In der Tat war in der abschließenden Erklärung der OAS-Konferenz nicht mehr die Rede von einer anzustrebenden ausschließlich friedlichen Lösung des Konfliktes.
Eine ungewohnte Konfliktkonstellation
Die wahre Einstellung vieler Staaten zur Invasion in das Nachbarland bleibt also unklar. Sicherlich ist die Solidarität mit dem französischsprachigen, in kultureller Hinsicht vom iberoamerikanischen Umfeld sehr verschiedenen Staat, nicht so eindeutig wie in anderen, vorausgegangen Fällen. Auch lassen sich im Falle Haitis nur schwerlich die gleichen imperialistischen und Hegemonialinteressen der USA ausmachen, wie dies bei den Invasionen Grenadas oder Panamas der Fall war. Schließlich sprechen sich in den Vereinigten Staaten gerade konservative Kräfte gegen die Interventionspläne aus. Ob die Konsequenz, die Präsident Clinton in seiner Haiti-Politik an den Tag legen will, bei seinen Landsleuten Bewunderung ob außenpolitischer Stärke oder aber Skepsis hervorrufen wird, bleibt ebenso abzuwarten: Neuesten Meinungsumfragen zufolge ist eine Mehrheit dafür, sich auf der Insel, mit der in den USA eher Voodoo und Aids als ökonomische Interessen assoziiert werden, nicht “die Finger schmutzig zu machen”.