Mexiko | Nummer 453 - März 2012

Das Wasser abgegraben

Der Konflikt um eine Silbermine im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca eskaliert

Seit das kanadische Unternehmen Fortuna Silver die Explorationsarbeiten an der Silbermine in San José del Progreso aufgenommen hat, herrscht Zwist in der dortigen Gemeinde. Mit tödlichen Folgen. Die Auseinandersetzung um die Mine ist exemplarisch für Großprojekte im Süden Mexikos, bei denen die Regierungen die Interessen der Bevölkerung zugunsten der Investor_innen missachten.

Philipp Gerber

Die Bilanz, die die Bewohner_innen der Gemeinde im südmexikanischen Bundesstaat Oaxaca ziehen, ist traurig. „Seit die Minenfirma ohne das Einverständnis der Bevölkerung ihre Tätigkeit aufgenommen hat, haben drei Menschen ihr Leben verloren“, berichten die Aktivist_innen, die gegen die Ausbeutung der örtlichen Silbermine durch das kanadische Unternehmen Fortuna Silver protestieren. Der letzte große Gewaltausbruch in dem lange andauernden sozialen und politische Konflikt in San José del Progreso ereignete sich am 18. Januar. An diesem Tag wollten die Behörden mit dem Bau einer Wasserleitung für die Mine auf dem Boden von Minengegner_innen beginnen. Auf die protestierende Lokalbevölkerung, die sich in dem Bündnis COPUVO organisert hat, eröffneten lokale Polizist_innen und private Pistoleros des Bürgermeisters der Revolutionären Institutionellen Partei (PRI) das Feuer. Die 25-jährige Abigail Vásquez Sánchez erlitt einen Beinschuss; den 57-jährigen Bernardo Méndez Vásquez verletzten sie so schwer, dass er tags darauf verstarb.
Im September 2011 begannen Fortuna Silver und ihr mexikanischer Ableger Cuzcatlán mit der Ausbeutung der umstrittenen Mine, die 40 km südlich der Hauptstadt Oaxaca-Stadt in der indigenen zapotekischen Region Ocotlán liegt. Der Ort San José del Progreso ist seit 2009, als die Vorbereitungen zur Inbetriebnahme der Mine bereits liefen, in regelmäßigen Abständen Schauplatz von Auseinandersetzungen von Befürworter_innen und Gegner_innen, die sich zahlenmäßig die Waage halten. So blockierten Gegner_innen im Mai 2009 den Bau der neuen Förderanlage auf dem Gelände des historischen Bergwerks, worauf 800 Polizist_innen die Blockade gewaltsam räumten. Im Juni 2010 eskalierte dann erstmals die Gewalt unter den Anwohner_innen selbst: Der PRI-Gemeindevorsitzende und ein Gemeinderatsmitglied kamen dabei ums Leben. Als Racheakt entführten Minenbefürworter_innen den Priester des Dorfes, den sie als Verantwortlichen der Gewalt beschuldigten, und übergaben ihn schwer verletzt der Polizei. Der Protest gegen die Mine sieht sich zudem Einschüchterungsversuchen ausgesetzt. So wurden lokale Minengegner_innen und das Bündnis Kollektiv Oaxacas zur Verteidigung der Territorien massiv bedroht, als sie im November 2011 ein Forum über die Folgen der Minentätigkeit organisierten. Das Forum, an dem 200 Personen aus zahlreichen Gemeinden teilnahmen, musste unter dem Schutz der Bundespolizei stattfinden. Nur so hielten die Pistoleros des Bürgermeisters Abstand.
Aufgrund der andauernden Konfrontation fordern diverse soziale Organisationen Oaxacas, darunter die einflussreiche Lehrer_innengewerkschaft Sektion 22, die Schließung der Mine. Um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen, demonstrierten Ende Januar auch Minengegner_innen aus verschiedenen Bundesstaaten vor der kanadischen Botschaft in Mexiko-Stadt. Diese Protestaktion reiht sich ein in die zunehmende Opposition gegen die Minentätigkeiten hauptsächlich kanadischer Firmen in einem guten Dutzend mexikanischer Bundesstaaten. Die Diplomat_innen Kanadas verweigerten jedoch einen Dialog mit den Protestierenden. Seit Monaten ist die Botschaft mit Besuchen bei Regierung und Nicht-Regierungsorganisationen in Oaxaca präsent und bemüht sich, die Investition von Fortuna Silver in ein günstiges Licht zu stellen. Mit einigen karitativen Projekten sowie der Instandsetzung der dörflichen Abwasserreinigungsanlage versuchte das Minenunternehmen die Zustimmung der indigenen Landbevölkerung zu erkaufen. Eine Befragung über das Großprojekt fand hingegen nie statt.
Bemerkenswert ist, dass die umstrittene Mine von der ganzen parteipolitischen Klasse Oaxacas, also sowohl von der PRI als auch von der Anti-PRI-Koalition des neuen Gouverneurs Gabino Cué, bedingungslos unterstützt wird. Für Cué zählt die Schaffung von 400 lokalen Arbeitsplätzen mehr als alles andere.
Anlässlich der neuen Eskalation sah sich die Regierung Cué genötigt, die Konfrontation umgehend als „internen Machtkampf um die politische Kontrolle“ des Dorfes zu bezeichnen. Der „tragische Vorfall“ habe deshalb rein gar nichts mit der Mine zu tun. Dieses Argument nahm die Fortuna Silver dankend in ihrer Stellungnahme auf, mit der sie auf kritische Berichte in der kanadischen Presse reagierte. Sie bezeichnete die Vorfälle vom 18. Januar als „sinnlose Gewalt“, mit der sie nichts zu tun habe. „Einige lokale Gruppen“ seien „interessiert daran, uns damit in Verbindung zu bringen“, um sich selbst zu profilieren. Das Bündnis der Minengegner_innen widerspricht dieser Version vehement. Wasser ist in der Region eine äußerst knapp bemessene Ressource, und das Minenunternehmen versucht seit Monaten vergeblich, Wasserleitungen zu legen. Zwischenzeitlich angezapfte Wasservorräte und Tanklastwagen scheinen in der Trockenperiode definitiv nicht mehr auszureichen, um die Produktion aufrechtzuerhalten oder gar auszubauen. Fortuna Silver hatte laut Anwohner_innen auch schon verschiedene vergebliche Versuche gestartet, einen der kleinen Staudämme in der trockenen Region zu kaufen, die der Lokalbevölkerung zur Bewässerung der Felder dienen. Gleichzeitig preist sich das Unternehmen als für Investor_innen besonders attraktiv an, da die geringen Produktionskosten eine hohe Gewinnspanne versprechen. Nach den Angaben von Fortuna Silver erwartet die Firma einen Gewinn von rund 125 Millionen US-Dollar jährlich. Doch zur Realisierung dieser versprochenen Gewinne muss Wasser her, koste es, was es wolle.
In dieser angespannten Situation empfanden die Minengegner_innen die Grabungsarbeiten als gezielte Provokation von Seiten der Lokalbehörden. Im Nachhinein behauptete der PRI-Vorsitzende des Dorfes, der Anlass der Grabungen seien neue Trinkwasserleitungen im Ort gewesen. Seltsamerweise war das Wasser-Komitee des widerständigen Quartiers darüber aber nicht informiert worden.
Die Eskalation in San José del Progreso ist nur ein Beispiel für ein Entwicklungsmodell, welches zunehmend zur sozialen Konfrontation führt. Auch die Parteilinke Mexikos sieht bisher die Konsultation der Bevölkerung bei Großprojekten bloß in ihrem Diskurs vor, die Wirklichkeit der von ihr (mit-)regierten Bundesstaaten Chiapas, Oaxaca und Guerrero sieht anders aus. Unter der „progressiven“ und von der UNO als besonders menschenrechtskonform ausgezeichneten Regierung Cué starb Ende 2011 eine Person im Konflikt zwischen Befürworter_innen und Gegner_innen eines Windparkprojekts mit spanischem Kapital im Isthmus von Oaxaca. Eine andere Gemeinde an der Pazifikküste kämpft um die Verhinderung eines Windparks, dem der Gemeindevorsitzende ohne Erlaubnis der Gemeindeversammlung zustimmte.
„Friede und Fortschritt“ versprach Gabino Cué im Wahlkampf 2010, und schaffte damit nach 80 Jahren PRI-Herrschaft einen historischen Machtwechsel. Doch die Gemeinden, welche sich gegen die nicht mit ihnen abgesprochenen Großprojekte wie Minen, Windkraftparks oder Staudämme organisiert haben, sind nach einem guten Jahr Amtszeit von der neuen Regierung mehr als enttäuscht. Es scheint, dass unter „Entwicklung“ die privatwirtschaftliche Ausbeutung der Naturressourcen und unter „Friede“ Investitionssicherheit verstanden wird. Diese Vision von Fortschritt stößt mit dem Versuch eines großen Teils der indigenen Bevölkerung zusammen, ihr Territorium gegen diese Zugriffe zu verteidigen.
Es mehren sich die Anzeichen, dass 2012, das im Zeichen der Präsidentschaftswahlen am 1. Juli steht, die seit dem Volksaufstand von 2006 schwelende soziale Konfliktivität Oaxacas wieder voll ausbricht. Nur scheint Oaxaca heute, im Gegensatz zum Wahljahr 2006, nicht mehr die Ausnahme im Lande zu sein. „Unmut und Forderungen nach Gerechtigkeit blühen in weiten Teilen des Landes“, titelte die Tageszeitung Jornada am 28. Januar. Die offen ausbeuterische Tätigkeit des Bergbausektors, der von der konservativen Regierung Felipe Calderón ganze 25 Prozent der gesamten Landfläche Mexikos für bisweilen lächerliche 5 Pesos pro Hektar lizenziert bekam, ist dabei einer der sichtbarsten Angriffe auf die Rechte der mexikanischen Bevölkerung. Die Aushöhlung der Arbeitsrechte, die Privatisierung des Bildungssektors, die Repression gegen soziale Bewegungen im Schatten des Drogenkriegs oder die Zensurbemühungen im Internet sind Beispiele für weitere Konflikte, welche das Klima im Land zunehmend verschärfen.

Kasten:

Fortuna Silver: „Grüne Minen“?
„Wir verschmutzen kein Wasser, im Gegenteil, wir reinigen es“, äußern die Verantwortlichen der Fortuna Silver in einer pseudo-wissenschaftlichen Reportage auf der Seite www.mineweb.com. Damit meinen sie die Abwasserreinigungsanlage der Gemeinde San José del Progreso, die sie instand gesetzt haben. Politiker_innen und Unternehmer_innen stimmen in das Loblied auf die „Nachhaltigkeit“ und das ökologische Verantwortungsbewusstsein der Firma ein. Tatsächlich ist der in Oaxaca betriebene Unter-Tage-Bau auf den ersten Blick weniger umweltzerstörerisch als die Minentätigkeit unter freiem Himmel. Die Beeinträchtigungen und Gefahren für Mensch und Natur sind dennoch vielfältig. So sind die unterirdischen Dynamit-Explosionen inzwischen ein ständiger Begleiter der Gemeindebewohner_innen, auch nachts. Von den Gefahren für das Grundwasser und anderen mittel- und langfristigen Umweltschäden gar nicht zu reden. Zudem befürchten die Gegner_innen, dass die Mine sich von unten nach oben durch die Gesteinsschichten frisst, und letztlich doch ein offener Minenkegel entsteht. Die Mine ist ein Pilotprojekt in der Region, drei weitere, größere Minen sind in der näheren Umgebung in der Explorationsphase. Wenig vertrauensstiftend ist auch das Personal des Minenunternehmens.
Über die „grüne“ Vergangenheit des Aufsichtsratvorsitzenden von Fortuna Silver, Simon Ridgway, wissen die Bewohner_innen des Valle de Siria in Honduras Bescheid. Wie das lokale Anti-Minen-Komitee und die Organisation Rights Action berichten, wird der findige Geschäftsmann, der aktuell in der Geschäftsleitung von einem halben Dutzend Bergbauunternehmen sitzt, aufgrund von Umweltverbrechen von den Behörden in Honduras steckbrieflich gesucht.


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