Den Bergbau fest im Blick
Im kleinen Asacasi erwarten die Bäuerinnen und Bauern, dass Ollanta Humala seine Wahlversprechen hält
Die Straße ist mehr als schlecht. Es würde vieler Leute, schwerer Maschinen und mehrerer Wochen harter Arbeit bedürfen, um sie erst einmal in einen schlechten Zustand zu bringen. Ohne Vorwarnung endet der Asphalt bereits nach zwanzig Minuten Fahrt außerhalb von Cuzco, der Touristenstadt mit ihren 5-Sterne-Hotels und Su-shi-Restaurants. Und das, obwohl mein Ziel, die Stadt Tambobamba, nicht irgendein vergessener Ort im Niemandsland ist. Tambobamba ist die Hauptstadt der Provinz Cotabambas und liegt nur ein paar Fahrstunden entfernt vom massiven Las- Bambas-Kupferprojekt, das sich momentan in der Bauphase befindet.
Normalerweise profitieren Städte, die an Straßen zu Bergbauprojekten liegen, von einer vernünftigen Straßenanbindung – vor allem wenn es die Straße zur Provinzhauptstadt ist. Nicht so Tambobamba. Die Arbeiter_innen des Bergbauunternehmens werden per Hubschrauber eingeflogen und die Straße verbleibt in einem armseligen Zustand.
Das Projekt Las Bambas gehört Xstrata. Das Unternehmen aus der Schweiz will den Abtransport des im offenen Tagebau gewonnenen Kupfererzes über die Straße vermeiden und plant eine 215 Kilometer lange Pipeline in eine angrenzende Region. In drei Jahren soll der Kupferabbau beginnen. Xstrata rechnet mit einer jährlichen Produktion von 400.000 Tonnen. Dadurch würde sich die gesamte Kupferproduktion des Landes um 30 Prozent erhöhen. Aktuell ist Peru weltweit der zweitgrößte Produzent des wichtigen Industriemetalls.
Doch in der Vergangenheit gab es wegen Las Bambas Proteste von lokalen Gemeinschaften, die über mögliche Verschmutzungen der Umwelt besorgt sind und sagen, dass sie bisher nicht die oftmals versprochenen Wohltaten vom Projekt erhalten haben. 2008 verurteilte die peruanische Regierung Xstrata für das verbotene Ablassen von giftigen Substanzen bei Bohrungserkundungen in die Umwelt einer nahe gelegenen Gemeinschaft. Diese Nachricht verursachte Furcht unter den Bauerngemeinschaften der Provinz, die größtenteils von Subsistenzlandwirtschaft leben.
Im Mai dieses Jahres erklärte der unweit von Las Bambas gelegene Distrikt Chalhuahuacho einen Streik gegen die Mine – das Unternehmen musste Personal und Maschinen evakuieren. Bauernführer_innen beklagten, dass nur Gemeinschaften, die nahe der Mine liegen, von dieser profitieren und verlangten mehr Entwicklungsprojekte für die gesamte Region.
Ein Übereinkommen zwischen Xstrata und den Bauernführer_innen wurde im Juni erzielt, der Streik beendet. Seitdem haben Ereignisse auf der nationalen Ebene der Region eine angespannte Ruhe gebracht – eine Pause voller Erwartungen, die in vielen Orten in Peru mit konfliktiven Bergbauprojekten gefühlt wird. Die vorherige Regierung unter Alan García sah sich einer steigenden Anzahl sozialer Konflikte gegenüber – ingesamt 246 waren es nach den Berichten der peruanischen Ombudsstelle für Menschenrechte im letzten Jahr. Allein die Hälfte von ihnen sind Umweltkonflikte infolge der Aktivitäten des extraktiven Industriesektors, der Erdöl, Erze, Erdgas und Holz gewinnt oder abbaut.
Die weit verbreitete Unzufriedenheit mit konservativen Politiker_innen in indigenen und Bauerngemeinschaften brachte im Juli dieses Jahres Ollanta Humala – einen linksorientierten Nationalisten – an die Präsidentschaft. Jetzt warten seine Unterstützer_innen darauf, dass er die versprochene soziale Transformation beginnt. Doch in vielen Teilen des Landes sind die Menschen wenig geduldig.
Ende September brach ein Konflikt in Tacna in der Nähe der Grenze mit Chile auf. Die lokale Bevölkerung versuchte, in eine öffentliche Anhörung für die Expansion eines Bergwerkes der US-Firma Southern Copper zu gelangen und wurde mit Gewalt von der Polizei gestoppt. Regionale Anfüher_innen drohten mit Streik. Anfang Oktober war Humalas Regierung gezwungen, die öffentlichen Anhörungen zu stoppen. Die Menschen schworen, dass sie solange protestieren würden, bis die Erweiterung des Projektes abgeblasen sei.
Am anderen Ende des Landes, in den nördlichen Anden von Cajamarca, braut sich ein anderer Konflikt zusammen: zwischen Bauern und dem Unternehmen Yanacocha, das Lateinamerikas größte Goldmine betreibt. Bauerngemeinschaften protestieren gegen den Plan des Unternehmens, einen heiligen Berg und wichtige Wasserquellen zu zerstören. Die Regionalregierung hat den Berg Quilish zur geschützten Zone erklärt, doch die US-Firma Newmont Mining als Mehrheitseignerin von Yanacocha will mit dem Projekt fortfahren.
Am Endpunkt meiner anstrengenden Tour, in dem kleinen Dorf Asacasi mit nur knapp 400 Einwohner_innen, leicht außerhalb von Tambobamba, haben sich die Sorgen über den Tagebau Las Bambas zum Gegenstand von Alltagsgeprächen entwickelt. Das Dorf hat gerade erst einen Preis für das beste Management seiner Wasserressourcen gewonnen, der vom Centro Bartolomé de las Casas (CBC), einer Nichtregierungsorganisation aus Cuzco vergeben wird, die mit marginalisierten lokalen Gemeinschaften im Andenraum arbeitet. Der Preis besteht darin, den Einwohner_innen in einem Trainingsworkshop das Wissen zu vermitteln, um ihren eigenen Film drehen zu können. Ich kam als Leiterin dieses Workshops nach Asacasi.
Das CBC möchte, dass die Gemeinde sich im Film auf ihren erfolgreichen Wassermanagementplan fokussiert: ein neues Reservoir, ein System zur Chlorung des Wassers und eine Müllhalde, um das Wasser rein zu halten. Aber so sehr ich auch versuche, die Leute beim Thema zu halten – die Bedrohung durch den Tagebau schleicht sich in jede Szene ein.
Die Gruppe beschließt, mit dem Drehen an einem kristallklaren Fluß zu beginnen, der unterhalb ihres Dorfes im Schatten eines hohen Berges fließt. Trotz Trockenzeit ist der Fluss voller Forellen. Estanislao Cuñas, Präsident des Wasserkommittees von Asacasi, führt uns zu einem flachen Teil des Stroms und fischt mit bloßen Händen ein halbes Dutzend Forellen heraus. Obwohl er bisher nie einen Film gemacht hat, scheint Estanislao ein geborener Regisseur zu sein. Er erwischt die dickste Forelle, die er finden kann, und weist den Kameramann an, ihn mit dem Fluss im Hintergrund zu filmen.
“Die Menschen in der Stadt denken oft, dass wir Bauern nicht wissen, wie wir die Umwelt schützen sollen“, sagt Estanislao, „aber wir zeigen ihnen, dass sie falsch liegen.“ Leute von außerhalb seien ihre größte Bedrohung, erzählt er weiter, und drückt die Sorge aus, dass Las Bambas die Umwelt verschmutzen werde, wenn im Tagebau erst einmal die Kupferförderung beginne. Und Las Bambas ist erst der Anfang. Mehr als 54 Prozent der Region Apurímac, in der sich Asacasi befindet, sind für den Bergbau konzessioniert.
Wie die Mehrheit in der Region, leben auch die Menschen in Asacasi weiterhin vom Land. Es ist Perus berühmte Altiplano-Region, eine Hochebene auf mehr als 4.000 Metern über Meereshöhe in den Anden. Auf den ersten Blick erscheint die Umgebung kahl und öde – es gibt hier keine Bäume, nur hohe, dornenartige Gewächse, Berggras und niedrige Buschvegetation. Asacasi liegt auf einer flachen, weiträumigen Ebene, die umgeben ist von imposanten Bergen, mit scharfkantigem, schroffem Gestein. Der Horizont lässt sich aus jeder Richtung erblicken – es ist eine perfekte, endlos scheinende Weite, ungestört durch Gebäude oder Vegetation.
Die Ernährungsgrundlage der Dorfbewohner_innen würde jede_n Nordamerikaner_in aus Bewegungen und Gruppen, die sich für lokal produzierte Nahrungsmittel einsetzen, beschämen. Alles wird im Dorf produziert: Kartoffeln und Kräuter gibt der Boden, Eier die Hühner, Milch und Käse die Kühe, Fleisch kommt von den Meerschweinchen, Schafen und Alpakas und natürlich Fisch, Shrimps und Frösche aus dem Fluss.
Zum Mittagessen werden wir von Gregorio Tarapaqui, dem Sekretär des Wasserkommittees von Asacasi, eingeladen. Im Filmworkshop gibt er einen ausgezeichneten Kameramann. Gregorio bringt eine große Schüssel gefüllt mit dampfenden Kartoffeln und stellt sie scheu zu meinen Füßen. In Peru gibt es tausende Kartoffelvariationen in den verschiedensten Farben, Geschmacksrichtungen und Aussehen. Wir essen kleine runde Kartoffeln, mit einem cremigen Kern und größere ovale, die innen weiß sind und eine dunkle knusprige Schale haben.
Das Hauptgericht ist Forellensuppe. Die Fische wurden beim Filmen am Morgen gefangen. „Was machen wir, wenn unsere Fische verschwinden?“, fragt Gregorio. „Jetzt haben wir genügend, um das ganze Dorf zu ernähren, wir müssen nicht rationieren oder den Fang kontrollieren.”
Bauern- und indigene Gemeinschaften hoffen, dass ein neues Gesetz, das von der Regierung unter Ollanta Humala verabschiedet wurde, ihnen die Möglichkeit gibt, zu entscheiden, ob sie Bergbau-, Öl- oder Gasprojekte auf ihrem Land wollen. Es handelt sich um das Gesetz über vorherige Konsultation, auf dessen Grundlage lokale Gemeinschaften befragt werden müssen, bevor Unternehmen Megaprojekte starten können. Unter den Bauerngemeinschaften bestehen schon jetzt hohe Erwartungen an das neue Gesetz, doch viele Analyst_innen sind vorsichtiger, wenn sie dessen mögliche Auswirkungen beurteilen.
Pater Marco Arana, ein Soziologe mit 20 Jahren Erfahrung bei der Verteidigung der Rechte von Bauerngemeinschaften gegenüber Bergbauunternehmen, sagt, dass viel von den nachgeordneten gesetzlichen Regelungen abhängen werde, die erst noch geschrieben werden müssen. Diese Regelungen werden entscheidend dafür sein, wie das Konsultationsgesetz umgesetzt wird. Werden die lokalen Gemeinschaften dann formelle Referenden abhalten können, bevor neue Konzessionen für ihr Land vergeben werden? Oder werden die Unternehmen nur verpflichtet sein, die Zustimmung der lokalen Anführer_innen zu erreichen? Wird eine Zustimmung überhaupt notwendig sein, oder werden die Unternehmen die Menschen nur konsultieren müssen, ohne jedoch letztlich deren Zustimmung zu benötigen?
Das Konsultationsgesetz hat Befürchtungen auch in den Kreisen der Bergbaubefürworter_innen provoziert. Pater Arana wurde jüngst attackiert, als er nach Huancabamba reiste, in Perus nördliche Andenberge an der Grenze zu Ecuador. Sein Besuch galt den Feierlichkeiten des Jahrestages eines der ersten Referenden zum Bergbau. Die lokale Bevölkerung sprach sich im September 2007 zu mehr als 90 Prozent gegen Bergbauprojekte in ihrer Region aus. Das Auto mit Marco Arana wurde auf dem Weg nach Huancabamba von mehreren Leuten gestoppt, die ihm sagten, sie wollten „Entwicklung“ und seien gegen die Landwirtschaft als Alternative. Nach einer kurzen Unterredung konnte Arana weiterfahren – 30 Minuten später wurde das Auto jedoch von Unbekannten mit Steinen beworfen und mit scharfer Munition beschossen.
Derartiger Ärger ist Marco Arana nicht fremd. Vor ein paar Jahren stand er im Zentrum einer massiven Spionageoperation mit dem Namen „Operation Teufel”. Jeder seiner Schritte wurde über einen Zeitraum von drei Monaten fotografiert und gefilmt. Er und seine Mitarbeiter_innen erhielten Morddrohungen per Telefon. Esmundo Becerra, ein mit Pater Arana befreundeter Bauer und engagierter Umweltaktivist aus der Provinz Cajamarca, der den Kampf gegen die Erweiterung eines Bergwerksprojektes anführte, wurde Anfang November 2006 ermordet.
Die Verfolgung und die Drohungen verängstigten Arana. Dennoch begannen er und seine Mitarbeiter_innen einen Plan zu entwickeln, die Spione auszuspionieren – sie machten Fotos von ihren Verfolger_innen und filmten sie. Arana gelang es schließlich, einen der Spione zu fassen und nachfolgend in den Besitz der Kopien von hunderten Berichten, Fotos und Videomaterial zu gelangen. Dieses Material wurde zum Kern des Dokumentarfilmes „Operación Diablo“ (Operation Teufel), den ich mit Arana und Umweltaktivist_innen drehte.
Wir zeigten den Film in Asacasi, um den Einwohner_innen zu vermitteln, welche Bedeutung es haben kann, wenn sie ihre neue Kamera und die erworbenen Fähigkeiten einsetzen, um Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren. Nach der Aufführung sagte der Bürgermeister des Dorfes, Juan Limaypuma, er hoffe, dass das neue Konsultationsgesetz den Bergbaukonflikten ein Ende setzen werde. Er rief Humalas Regierung dazu auf, sie solle die von Peru im Rahmen der Vereinten Nationen und der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) ratifizierten internationalen Übereinkommen respektieren, welche die Rechte indigener Gruppen schützen. Limaypuma sagte, dass die negativen Auswirkungen des globalen Klimawandels, wie Wasserknappheit, bereits zu zu spüren seien; er befürchtet, dass neue Bergbauprojekte weitere Umweltverschmutzung bringen werden.
Asacasi mag isoliert liegen, aber die Menschen dort wissen, was um sie herum und auf nationaler Ebene passiert. Eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung in Perus südlicher Andenregion stimmte für Humala, und sie erwarten nun, dass er seine Wahlversprechen erfüllt, um ihre Bedürfnisse und Rechte in einem demokratischen Peru zu berücksichtigen, in das sie einbezogen werden.
Sollte Humala scheitern, werden die ganzen sozialen Konflikte, die von der Vorregierung unter Alan García hinterlassen wurden, wieder auftauchen. Eine einfache Ankündigung im Radio durch regionale Anführer_innen kann tausende Bäuerinnen und Bauern von vereinzelt liegenden Dörfern wie Asacasi in Aktion bringen, um Straßen zu blockieren, Flughäfen zu schließen oder das Land wirtschaftlich lahm zu legen.
Große Versprechen produzieren hohe Erwartungen und Perus Bauerngemeinden werden nicht lange warten, bis sie Ergebnisse sehen wollen. Die Zeit läuft gegen Ollanta Humala.
Originalfassung des Artikels erschienen auf: TowardFreedom.com // Dank an Benjamin Dangl. // Die DVD Operación Diablo kann bei autofocus Berlin bestellt werden: www.videowerkstatt.de