Nummer 321 - März 2001 | Straflosigkeit

Den uniformierten Mördern auf den Fersen

Nachforschungen in Argentinien über die deutschen Opfer der Militärdiktatur

In der deutschen Botschaft in Buenos Aires hat Mitte Februar die Vernehmung von Zeugen zum Schicksal deutscher Opfer der Militärdiktatur begonnen. Um die Vernehmungen hatte im Wege eines Rechtshilfeersuchens die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth gebeten. Diese geht zwölf Strafanzeigen gegen argentinische Militärs nach, die die „Koalition gegen Straflosigkeit“ gestellt hatte. Der bekannteste Fall ist der Mord an der Tübinger Theologentochter Elisabeth Käsemann im Jahr 1977. Bei den anderen elf Strafanzeigen handelt es sich um Fälle so genannter Verschwundener, die wie Elonora Marx bis heute als verschollen gelten.

Niels Müllensiefen

Die „Koalition gegen Straflosigkeit“ in Nürnberg, ein Zusammenschluss von 15 kirchlichen und Menschenrechtsgruppen, erhofft sich von den Zeugenanhörungen in der deutschen Botschaft, dass „nach zwei Jahren endlich Bewegung in die Aufklärung der Schicksale Verschwundener kommt“. Bislang hatten vor allem Nichtregierungsorganisationen wie die „Koalition“ und ihre Anwälte die Zeugen und das Belastungsmaterial selbst besorgt. Anfragen der Staatsanwaltschaft Nürnberg an die argentinische Justiz waren unbeantwortet geblieben. Von den konsularischen Vernehmungen in Argentinien wird nunmehr erwartet, dass konkrete Details zur Verantwortung argentinischer Militärs für die Verbrechen an den zwölf Deutschen und Deutschstämmigen bekannt werden. Die Zeugenaussagen sind allerdings freiwillig und es gibt keine Vereidigung.
Am Beispiel des Falles Elisabeth Käsemann, die im Alter von dreißig Jahren am 8. März 1977 entführt und später hingerichtet worden war, will die „Koalition gegen Straflosigkeit“ zudem nachweisen, dass die deutsche Botschaft in Buenos Aires wie auch das Auswärtige Amt selbst Teil der Geschichte der Menschenrechtsverbrechen während der Militärdiktatur sind. Denn damals wurde deutschen Angehörigen oft nur zögerlich Hilfe geleistet und bisweilen gar tatenlos zugesehen, wenn Deutsche in die Fänge des argentinischen Repressionsapparates gerieten.
Nicht zuletzt die Enttarnung des argentinischen Militärs Carlos Españadero Anfang des vergangenen Jahres hatte bereits ein dunkles Licht auf das deutsche Image geworfen. Unter dem Decknamen „Major Peirano“ war Españadero während der Diktatur als Militärspitzel an der Deutschen Botschaft in Buenos Aires tätig gewesen, um „Gespräche“ mit hilfesuchenden Angehörigen deutscher Opfer zu führen. Zwei Jahrzehnte lang hatte sich das Auswärtige Amt geweigert, auch nur die Existenz „Major Peiranos“ zuzugeben.

„Major Peiranos“ an der Deutschen Botschaft

Auch die teils offene, teils verdeckte Unterstützung der argentinischen Militärjunta durch deutsche Unternehmer soll im Rahmen der Ermittlungen untersucht werden. Hierbei steht vor allem der damalige Werksleiter von Mercedes Benz, Juan Tasselkraut, wegen mutmaßlicher Beihilfe zum Mord an 13 Beschäftigten des Mercedes-Werkes in González Catán im Mittelpunkt. Er soll zwischen 1976 und 1977 die gewerkschaftlich organisierten Mitarbeiter an die argentinischen Militärs ausgeliefert haben. Tasselkraut, der noch immer bei Mercedes beschäftigt ist, gibt bis heute vor, sich keiner Schuld bewusst zu sein.

KASTEN

Hearing zum Thema:
Strafanzeige wegen Völkermordes
Am 21. März 2001 wird die „Koalition gegen die Straflosigkeit“ in Zusammenarbeit mit der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Reichstagsgebäude (Raum 2 S 015) von 12:00 bis 16:30 Uhr ein öffentliches Hearing zur geplanten Strafanzeige wegen Völkermordes in Argentinien veranstalten. Anmeldung ist erforderlich bis zum 10. März bei der „Koalition gegen Straflosigkeit“, Adlerstr. 40, 90403 Nürnberg, Tel.: 0911/23055 50, Fax: 0911/230 55 51.

KASTEN

Die Strafanzeigen gegen argentinische und chilenische Militärangehörige vor der deutschen Justiz – rechtliche Grundlagen

1. Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts
a) Passives Personalitätsprinzip – das Problem der Ausbürgerung im Dritten Reich
Für Straftaten, die von Ausländern im Ausland (hier also Argentinien) begangen wurden, gilt das deutsche Strafrecht grundsätzlich nur dann, wenn die Tat „gegen einen Deutschen begangen worden ist“ (§ 7 StGB). Bei den Opfern deutsch-jüdischer Abstammung stellte sich das Problem, dass sie unter den Personenkreis fallen, denen durch eine nationalsozialistische Verordnung aus dem Jahre 1941 die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen worden war. Zwar ist diese Verordnung nichtig, doch wurde im deutschen Grundgesetz bewusst davon abgesehen, für die rechtswidrig Ausgebürgerten die deutsche Staatsangehörigkeit automatisch wieder aufleben zu lassen, um sie ihnen nicht ohne oder gar gegen ihren Willen aufzudrängen. Den erforderlichen Antrag auf Wiedereinbürgerung haben aber viele der Opfer nicht gestellt. Damit sah sich die deutsche Justiz vor einem noch nicht höchstrichterlich entschiedenen Rechtsproblem. Schließlich initiierte die „Koalition gegen die Straflosigkeit“ gemeinsam mit amnesty international und mehreren Hundert Persönlichkeiten eine internationale Kampagne gegen die Absicht der Justiz, ihre Ermittlungen einzustellen. Sie hatte Erfolg und die Ermittlungen wurden fortgesetzt.
Weiter verlangt § 7 StGB, dass „die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist“. Das ist in Argentinien der Fall, auch wenn die Verantwortlichen der Menschenrechtsverbrechen faktisch nicht zur Rechenschaft gezogen werden – das argentinische Strafgesetzbuch (Código Penal) enthält Straftatbestände für Delikte des Totschlags, der Freiheitsberaubung sowie der Folter. Die argentinischen Amnestiegesetze der 80er Jahre, namentlich das Schlusspunktgesetz (ley de punto final) von 1986 und das Gesetz über den pflichtgemäßen Gehorsam (ley de obediencia debida) von 1987 ändern hieran nichts, da sie völkerrechtswidrig sind.
b) „Weltrechtsprinzip“ – der Begriff des Völkermordes im Wandel
Für bestimmte Auslandstaten gilt das deutsche Strafrecht auch unabhängig von der Staatsangehörigkeit des Opfers nach dem so genannten „Weltrechtsprinzip“ des § 6 StGB. Dies ist insbesondere der Fall bei Völkermord und bei Straftaten, zu deren Verfolgung sich die Bundesrepublik Deutschland in einem zwischenstaatlichen Abkommen verpflichtet hat (§ 6 StGB Nr.1 und 9). Die markantesten Beispiele für letztere völkervertragsrechtliche Pflicht zur universellen Strafverfolgung sind die Völkermordkonvention, die Genfer Konventionen und in jüngerer Zeit das Übereinkommen gegen Folter.
Der Tatbestand des Völkermordes befindet sich spätestens seit der Entscheidung des obersten spanischen Gerichtshofs über die Zuständigkeit der spanischen Justiz für die Prozesse gegen argentinische und chilenische Militärangehörige im Wandel. Der Gerichtshof urteilte, dass der Tatbestand des Völkermordes nicht länger – wie in der Völkermordkonvention – nur „völkisch“ definiert werden könne und erst dann vorliege, wenn sich das Morden gegen eine ethnische, rassische, religiöse oder nationale Gruppe richtet, sondern auch wenn die Opfer eine unterscheidbare Gruppe von Individuen mit einem gemeinsamen Merkmal und eingebettet in eine größere Gemeinschaft sind. Die Ermordung zehntausender Oppositioneller in Chile und Argentinien kann somit als Völkermord verstanden werden. Nicht zuletzt hierauf stützt die „Koalition gegen Straflosigkeit“ ihre Strafanzeige wegen Völkermordes in Argentinien.

2. Die Möglichkeiten der deutschen Justiz
Nach dem deutschen Strafrecht ist eine Verurteilung „in absentia“ nicht möglich. Die Staatsanwaltschaft kann lediglich Haftbefehl erlassen. Zwar ist nicht zu erwarten, dass die argentinische Regierung die Täter an die Bundesrepublik Deutschland ausliefert, weil nach argentinischem Auslieferungsrecht eine Auslieferung argentinischer Staatsangehöriger in Fällen, in denen in Argentinien die Strafverfolgung unzulässig ist, ausgeschlossen ist. Ein von einem deutschen Gericht ergangener Haftbefehl kann allerdings weltweit vollstreckt werden. Faktisch wirkt sich das dahingehend aus, dass die betreffenden Personen das Land nicht mehr verlassen können ohne Gefahr zu laufen, im Ausland verhaftet zu werden.

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