Nummer 324 - Juni 2001 | Peru

Der Anbruch einer harmonischen Zeit

Breite Unterstützung für den neuen peruanischen Präsidenten

Im dritten Anlauf hat er es endlich geschafft: Alejandro Toledo darf sich nach einer Bilderbuchkarriere endlich die weiß-rote Präsidentenschärpe übers Jackett streifen. Jetzt will der Aufsteiger, der auf der Zielgeraden fast noch von seinem Kontrahenten Alan García abgefangen worden wäre, Präsident aller PeruanerInnen sein.

Rolf Schröder

Am Abend des 3. Juni streckte Alejandro Toledo seine Arme zum Sieg aus. „Heute hat Peru gewonnen!“ rief er Tausenden von AnhängerInnen vor dem Sheraton-Hotel in Lima zu. Zum ersten Mal seit 1990 waren Präsidentschaftswahlen ohne Betrug abgeschlossen worden. Doch Toledo wollte auch Trost aussprechen: für die 1:2-Niederlage der peruanischen Fußballelf gegen den Erzrivalen Ecuador am Tag zuvor. Das verlorene Spiel hatte eine nationale Depression ausgelöst, bedeutete es doch das Ende aller Träume von der Teilnahme an der Fußballweltmeisterschaft im nächsten Jahr. Gewonnen hatte an diesem Tag eigentlich nur einer: Alejandro Toledo.
Der Sieger verdankte es der peruanischen Wahlbehörde ONPE, dass er schon am frühen Wahlabend feiern konnte. Deren MitarbeiterInnen hatten, entgegen ihren sonstigen Gepflogenheiten, einige Stunden nach Schließung der Wahllokale bereits 80 Prozent der Stimmen ausgezählt. Mit einer solchen Schnelligkeit hatten selbst kühnste OptimistInnen nicht gerechnet. Denn die Stichwahl zwischen Toledo und seinem Kontrahenten Alan García war um zwei Wochen verschoben worden, weil die ONPE Mitte Mai immer noch nicht die offiziellen Ergebnisse der ersten Wahlrunde vom 8. April präsentieren konnte. Nach dem Kraftakt am Wahlsonntag fielen die MitarbeiterInnen der ONPE allerdings umgehend in ihren gewohnten Trott zurück und brauchten bis Mittwoch, um weitere 18 Prozent der Stimmen auszuzählen. Das bis dato vorläufige Endergebnis: 53,1 Prozent für Alejandro Toledo und 46,9 Prozent für Alan García.

Hohe Wahlbeteiligung

Fast 97 Prozent der knapp 15 Millionen Wahlberechtigten gaben ihre Stimme ab, deutlich mehr als im ersten Wahlgang. Auch der Anteil der Enthaltungen und ungültigen Stimmen, der zwei Wochen vor der Wahl noch auf über 30 Prozent geschätzt wurde, lag mit etwa 12,8 Prozent überraschend niedrig. Immerhin hatten renommierte Persönlichkeiten wie die Schriftsteller Alvaro Vargas Llosa und Jaime Bayly öffentlich dazu aufgerufen, keinem der beiden Kandidaten die Stimme zu geben. Sie hielten in Übereinstimmung mit vielen WählerInnen weder den einen noch den anderen für geeignet: Toledo hatte sich in eine Reihe von persönlichen Skandalen um Sex, Drogen und eine vermeintlich uneheliche Tochter verstrickt; García war durch die katastrophale Bilanz seiner Regierungszeit von 1985 bis 1990 und etliche Korruptionsaffären vorbelastet.

Vom Schuhputzer zum Präsidenten

Alejandro Toledo war auf seinem Weg nach ganz oben schon zweimal gescheitert. Im Jahre 1995 landete er hinter dem amtierenden Präsidenten Alberto Fujimori und dem ehemaligen UNO-Generalsekretär Javier Pérez de Cuellar abgeschlagen auf dem dritten Platz. Doch beim Urnengang im letzten Jahr konnte ihn die Regierung Fujimori nur mit einem gigantischen Wahlbetrug stoppen. Toledo hatte damals seine AnhängerInnen ebenfalls vor dem Sheraton-Hotel zusammengerufen und schwor, er werde nicht eher ruhen, bis die Demokratie in seinem Land wieder hergestellt sei. Fortan organisierte er den Widerstand gegen die Diktatur und trug nicht unwesentlich dazu bei, dass Präsident Fujimori und sein allmächtiger Geheimdienstchef Vladimiro Montesinos in den letzten Monaten des Jahres 2000 ins Ausland flüchten mussten. Damit waren die Voraussetzungen für baldige Neuwahlen geschaffen.

Toledo macht Bilderbuchkarriere

Der 55-jährige Toledo stammt aus armen Verhältnissen und hat eine regelrechte Bilderbuchkarriere hinter sich. In jungen Jahren musste er seinen Unterhalt noch als Schuhputzer und Limonadenverkäufer verdienen. Dann gewann er in der Schule einen Poesiewettbewerb und bekam ein Stipendium in den USA. Dort gelangte er bis in die heiligen Hallen der Harvard-Universität. Er promovierte zum Doktor der Wirtschaftswissenschaften und kehrte zurück nach Peru, wo er in leitender Position bei verschiedenen internationalen Organisationen arbeitete. Toledo ist mit der Belgierin Eliane Karp verheiratet, einer charismatischen Frau mit langjährigen Erfahrungen in der Entwicklungspolitik. Karp hat aktiv am Wahlkampf teilgenommen und wird sich – ähnlich wie Hillary Clinton – kaum auf die traditionelle Rolle einer First Lady beschränken.

García auf Siegeskurs

Toledo galt als haushoher Favorit für diese Wahlen, doch kurz vor dem Ziel wäre er fast noch gescheitert. Seinen ärgsten Rivalen Alan García hatte er ursprünglich nicht einmal auf der Rechnung: Gerade fünf Prozent der WählerInnen wollten Ende Januar laut Meinungsumfragen dem ehemaligen Präsidenten, der soeben aus einem neunjährigen Exil in Kolumbien und Frankreich zurückgekehrt war, ihre Stimme geben. Die Mehrheit der PeruanerInnen hatte nicht vergessen, dass García in seiner Regierungszeit für eine Hyperinflation von 7800 Prozent verantwortlich war. Doch der blendende Rhetoriker García entschuldigte sich für die Fehler seiner Regierungszeit und gewann immer mehr AnhängerInnen. Mit jedem seiner öffentlichen Auftritte stieg er in ihrer Gunst und landete so bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen im April überraschend vor der konservativen Konkurrentin Lourdes Flores auf Platz zwei.

Elefantenrunde im Fersehen

García zog in die Stichwahl ein, doch in den ersten Umfragen lag er immer noch über zwanzig Prozentpunkte hinter seinem Gegner Toledo zurück. Dann schlug er vor, dreimal mit Toledo vor laufenden Kameras zu diskutieren. Toledo zierte sich angesichts des Redetalents seines Gegners, doch der öffentliche Druck zwang ihn, sich zu stellen. Seine Berater setzten aber immerhin durch, dass es nur eine Debatte gab, in der die Redebeiträge auf jeweils drei Minuten begrenzt wurden. Am 19. Mai war es schließlich so weit. Millionen FernsehzuschauerInnen verfolgten das Duell der beiden Kandidaten. Hinterher fanden alle Kommentatoren, Toledo hätte sich erstaunlich gut geschlagen. Doch die große Mehrheit der Bevölkerung zeigte sich einmal mehr fasziniert vom geschliffenen Diskurs des Kandidaten García und sah ihn als klaren Sieger. Fortan wurde es eng für Toledo. Eine Woche vor der Wahl sahen die Meinungsforscher die beiden Kandidaten schon fast gleichauf – mit steigender Tendenz für García.
Festzustehen scheint: Toledo verdankt den Sieg der großen Anzahl jener WählerInnen, die ursprünglich keinem der beiden Kandidaten ihre Stimme geben wollten, dann aber aus Angst vor dem aufholenden García ihre Meinung geändert haben. Besonders die UnternehmerInnen und Banker atmeten am Ende auf. Der Kurs des peruanischen Sol und die Brady Bonds der peruanischen Auslandsschulden waren kurz vor der Stichwahl aus Furcht vor einem möglichen Präsidenten García noch kräftig gefallen. Dabei hatte die Fernsehdebatte der beiden Kontrahenten gezeigt, dass es in der Wirtschaftspolitik keine signifikanten Unterschiede in deren Konzepten gibt. García war sogar so weit gegangen, dass er der Ex-Kandidatin Lourdes Flores, die im ersten Wahlgang die Favoritin der UnternehmerInnen war, ein Regierungsbündnis angeboten hatte.

Vorerst stabile Verhältnisse unter Toledo

In einer ersten Stellungnahme nach den Wahlen versprach Toledo denn auch finanzpolitische Disziplin und ein Bündel von Maßnahmen, um die peruanische Wirtschaft wieder zu aktivieren. Die Wirtschaftsbosse waren zufrieden. Sie begrüßten im Einklang mit Vertretern des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank vor allem, dass der designierte Wirtschaftsminister des neuen Kabinetts mit Pedro Pablo Kuczynski ein Mann ist, der auf die Selbstheilungskräfte der Marktwirtschaft vertraut.
Auch für politische Stabilität wird unter einem Präsidenten Toledo vorerst gesorgt sein. Obwohl seine Partei Perú Posible – Mögliches Peru – nur über 45 von 120 Sitzen im neu gewählten Parlament verfügt, wird er bei Abstimmungen auf eine breite Mehrheit zählen können. Fernando Olivera, einer von Toledos Gegenkandidaten im ersten Wahlgang, und Limas Bürgermeister Alberto Andrade haben die Unterstützung ihrer Fraktionen fest zugesagt.

Der Präsident aller PeruanerInnen

Das Gleiche gilt für die Acción Popular des amtierenden Präsidenten Valentín Paniagua. Toledo nimmt die fremde Hilfe dankbar an, denn er möchte schließlich der Präsident aller PeruanerInnen sein.
Da mag auch Alan García nicht zurückstehen. Der gewiefte Wahltaktiker hatte sich in den vergangenen Wochen stets für eine Regierung der nationalen Einheit ausgesprochen. In diesem Sinne bot er Toledo auch nach seiner Niederlage die Zusammenarbeit an.

Der Favorit für’s nächste Mal: Alan García

Indes ist fraglich, wie lange die harmonischen Zeiten anhalten. Langfristig darf man García sicherlich andere Pläne unterstellen. Der Ex-Präsident, dessen Schicksal nach seiner katastrophalen Regierungszeit als besiegelt galt, hat sich eindrucksvoll ins politische Geschehen zurückgemeldet. Entsprechend wurde er am Wahlsonntag stundenlang von seinen ParteigenossInnen gefeiert. Die sozialdemokratische APRA hat es ihm zu verdanken, dass sie ihr Wahlergebnis im Vergleich zum letzten Jahr verfünffachen konnte und zur zweitstärksten Fraktion im Parlament aufgestiegen ist. In Lima werden jetzt schon Wetten auf den Nachfolger Toledos abgeschlossen: Der Favorit heißt Alan García.

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