Nummer 288 - Juni 1998 | Sport

Der Ball rollt, die Rupie auch

Fair gehandelte Fußbälle aus Pakistan

Rund 80 Prozent der weltweit getretenen Leder- oder Kunstlederbälle mit dem fünf- bis sechseckigen Schwarzweiß-Design werden im pakistanischen Sialkot hergestellt – eine Tatsache, die wohl dem Durchschnitts-Heim-Stürmer am Fernseher weitgehend unbekannt sein dürfte, ebenso wie die damit verbundene Ausbeutungs- und Kinderarbeit. Die gepa (Gesellschaft zur Förderung der Partnerschaft mit der Dritten Welt) hat sich in Zusammenarbeit mit anderen europäischen FTOs (Fair-Handelsorganisationen) ein Projekt ausgedacht und auch umgesetzt, das die lokal gegebene Abhängigkeit von der Sportartikelherstellung auf fairere Füße setzen soll.

Rosi Bringmann

Sialkot, im Nordosten Pakistans, hat etwa 500.000 EinwohnerInnen. Zwischen 20.000 und 25.000 von ihnen sind in der Produktion von Sportartikeln, vor allem Fußbällen, tätig. Bälle hoher Qualität werden heutzutage vorwiegend aus mehrfach unterklebtem Kunstleder hergestellt, deren fünf- oder sechseckige Stücke, die den Latex-Kern umkleiden, nach wie vor in aufwendiger Handarbeit mit Garn zusammengenäht werden müssen.
Je nach Qualitätsstufe bringt es ein/e erwachsene/r Näher/in auf drei bis fünf Bälle an einem neun bis zehn stündigen Arbeitstag. Ein unsicherer Job, der von der Auftragslage abhängig ist und dessen Entlohnung nicht ausreicht, eine Familie von durchschnittlich sechs bis acht Personen zu ernähren. Die Konsequenz: Alle müssen ran an den Ball. Der Anteil der Frauen am Nähprozeß beträgt 53 Prozent. Obwohl sie aufgrund der haushaltlichen Verpflichtungen nur in Teilzeit nähen können, wird ein Drittel der Fußbälle, so eine Studie des britischen Save the Children Fund (SCF), von ihnen hergestellt. Die Kinder dagegen, die im Schnitt 23 Prozent des Familieneinkommens erwirtschaften, arbeiten in Vollzeit und können nicht zur Schule gehen. Nach der SCF-Studie sind 7.000 Kinder unter 14 Jahren in die Ballproduktion eingespannt.
Die Produktionskette verläuft vom Exporteur – der auch die importierten Rohstoffe zur Verfügung stellt – über Subunternehmer, quasi Coyotes, zu Nähwerkstätten, die die Arbeit in Heimarbeit auf der Basis von Stücklohn weitergeben. Die Kinder beziehungsweise ihre Mütter, sind weder offiziell registriert, noch gibt es so etwas wie Arbeitsschutz oder Sozialleistungen.

Fair Pay – Fair Play

Im Vorfeld der jetzt anstehenden Fußballweltmeisterschaft lancierten gepa, Fair Handelshaus und die Partnerorganisation Fair Trade e.V. ein Projekt in Siaklot, das über fair gehandelte Fußbälle diese Ausbeutungsformen beseitigen helfen will. Wesentlicher Bestandteil der Fair-Handelsstrategie ist der Ausschluß des Zwischenhandels beziehungsweise des Subunternehmertums, wie auch der Kinderarbeit.
Durch die Einrichtung kleinerer Nähwerkstätten auf dörflicher Ebene (village based stitching units) mit mindestens zehn NäherInnen erhalten die Familien ein höheres Einkommen und die Kinder Möglichkeiten zum Schulbesuch. Flankiert wird die Einrichtung der Klein-Werkstätten durch verschiedene Dorfprojekte, wie die Förderung von Dorfschulen und Berufsausbildungsprogrammen für die minderjährigen ehemaligen NäherInnen.
Die fair gehandelten Bälle werden in zwei Qualitäten (Profi- und Freizeitsportbälle) angeboten, die den FIFA- und DFB-Richtlinien entsprechen und in je zwei Designs erhältlich sind. Der Mehrpreis von einem beziehungsweise zwei US-Dollar pro Ball bedeutet eine durchschnittliche Erhöhung des Exportpreises um 25 Prozent. Die Bälle sind im Endverkaufspreis nicht teurer als vergleichbare Qualitätsbälle, da die gepa auf einen Teil der Gewinnspanne verzichtet.
Der Mehrpreis dient der Aufstockung des vom Exporteur ortsüblich gezahlten Preises um circa 35 Prozent, was etwa einen Vater zusammen mit seinem über 14jährigen Sohn auf den gesetzlichen Mindestlohn von 6.000 pakistanischen Rupie kommen läßt. Weiterhin werden die Sozialabgaben der Näher beglichen, ein anderer Bestandteil geht in einen Fonds für Dorfprojekte, deren Zielgruppen die nun erwerbslosen Frauen und Kinder sind. Ein vierter Anteil wird dem Exporteur für soziale, technische und logistische Weiterentwicklungen zur Verfügung gestellt.

Umsatzplus für die gepa

Während die WM anläuft, zeigen sich schon erste Erfolge. Es gibt bereits eine gute Resonanz bei den AbnehmerInnen. Nicht zuletzt die gepa-Strategie, zusätzlich zum Kaffee, Tee, Kakao etc. auch neue, unkonventionelle Produkte ins Sortiment aufzunehmen, ist dafür verantwortlich, daß sich nach der umstrittenen Umstrukturierung vor drei Jahren wieder ein positiver Umsatztrend zeigt.
Die Erweiterung der Produktpalette entspricht dem Wunsch der Hauptkunden, den Weltläden und Aktionsgruppen. Auf Ebene der Läden ist man froh über jeden kreativen Sortimentswechsel. Ist dieses Angebot auch ein Wagnis, so bleibt doch die Lebendigkeit und Anziehungskraft der neuen Idee übrig. Über die Absatzentwicklung dieser Fußbälle läßt sich natürlich noch nicht viel sagen. Sie scheint jedoch in relativ kurzer Zeit auf recht ertragreichen Boden gefallen zu sein. Die Bälle werden von den Weltläden, von Vereinen, aber auch von engagierten Einzelpersonen gekauft.

Hauptsache, der Ball rollt

In den letzten Monaten wurden europaweit 41.000 der fair gehandelten Bälle verkauft. In dieser Statistik nicht enthalten ist das fußballbegeisterte Italien, das sich auch in Sachen Fairer Handel grundsätzlich nicht zu verstecken braucht – dort wurden seit Februar ungefähr 120.000 Bälle umgesetzt. Der Verkauf in Deutschland beläuft sich auf 26.000 Bälle.
Auch Volker Finke, Trainer beim SC Freiburg, begeistert sich für die neue Idee: „Wir finden es wichtig, Initiativen wie den fairen Handel zu unterstützen, die sich nicht nur für den Abbau von ausbeuterischer Kinderarbeit einsetzen, sondern darüber hinaus auch nach neuen Perspektiven für die betroffenen Kinder suchen. Hier können fair gehandelte Fußbälle ein Zeichen setzen, denn Fairneß ist auch auf dem Fußballplatz gefragt. Der Fußballsport, der viele Kinder und Jugendliche bei uns begeistert, schlägt die Brücke zu den Kindern in Pakistan, deren Situation es zu verbessern gilt.“
Nicht nur die anstehende WM, sondern auch der „Global March“ gegen Kinderarbeit, der im Mai durch Deutschland in Richtung Genf führte, wo die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) Anfang Juni über eine Konvention zum Thema Kinderarbeit verhandelt, verleihen der Idee der fair gehandelten Fußbälle derzeit Aktualität und Attraktivität.
Was jedoch geschieht nach diesen spektakulären Ereignissen? Für die Zeit nach der WM hat sich die gepa das Projekt „100.000 Bälle“ ersonnen, dessen Ziel darin liegt, pro Jahr mindestens 100.000 der fair gehandelten Fußbälle abzusetzen. Eine Herausforderung, die es ermöglichen würde, 100 erwachsenen NäherInnen eine Vollbeschäftigung zu adäquaten Löhnen zu sichern.
Demnächst in Planung: Fair gehandelte Volleybälle.

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