Der Bischof auf der Barrikade
Martin Keßler setzt mit Count-Down am Xingu III seine Langzeitbeobachtung des Widerstands gegen den brasilianischen Staudamm Belo Monte fort
„Das ist eigentlich die größte Tragödie von Belo Monte: Dass die Leute in ihrem Sein und in ihrer Existenz, in ihrer Würde und ihren Rechten nicht respektiert werden“, sagt der aus Österreich stammende Bischof Erwin Kräutler. Als „Dom Erwin“ kennen sie ihn in seiner Diözese in Altamira und am Xingu-Fluss: die Indigenen, die Flussanwohner_innen und die Fischer_innen aus der Region, in der die brasilianische Regierung auf Biegen und Brechen den mit 11 Gigawatt Leistung drittgrößten Staudamm der Welt errichten lässt: Belo Monte.
Martin Keßler und sein Team begleiten Dom Erwin und Antônia Melo von der Widerstandsbewegung Xingu Vivo para Sempre zum dritten Mal. Sie besuchen die Indigenen in ihren Dörfern am Fluss. Dom Erwin redet und warnt vor dem Projekt. „Diese Arbeiten müssen gestoppt werden“, erklärt er unmissverständlich. Denn er weiß genau: „Sonst sind hier alle tot.“ Für Antônia Melo (siehe LN 418) bedeutet der Bau des Damms einen Genozid an den indigenen Völkern vor Ort, und der Film lässt diese Betroffenen zu Wort zu kommen. Ruhig hält die Kamera auf die Gesichter und die Betroffenen wissen, was vorgeht: „Alles leere Versprechungen der Regierung!“, empören sie sich. Strom war ihnen versprochen worden, nun sei der Generator da, aber den Diesel dazu bekämen sie nur noch diesen Monat, erzählt einer. Ab nächstem Monat müssten sie ihn kaufen. Aber wovon? „Wir lebten vom Fischfang, nun ist da nichts mehr“, sagen sie, denn das Wasser ist wegen des Staudammbaus weiter oben am Flusslauf verschmutzt. „Zuvor lebten die Menschen hier vom Fang von Zierfischen und anderer Kleinfischerei“, berichtet Antônia Melo. Das ist nun nicht mehr möglich. Zudem soll der Xingu auf 100 Kilometer Länge nahezu trocken gelegt werden, so dass die Flussanwohner_innen die Fische dann wohl kaufen müssen.
Doch der Film lässt auch jene zu Wort kommen, die sich Hoffnungen machen. Eine Hoffnung sei Belo Sun, eine kanadische Firma, die an der Volta Grande den Goldabbau vorantreibt. Denn: „Nur Gold da unten – Gold, Gold, Gold“, sagt einer mit leuchtenden Augen, der gerade aus einem 280 Meter tiefen Schacht gestiegen ist. Unaufgeregt kontrastieren die folgenden Szenen die ökologischen und sozialen Schattenseiten des Erzabbaus und zeigen die anhaltende Armut in den lokalen Gemeinden – die Bilder sprechen für sich. Ebenso bei den Totalen, die die Ausmaße des Baugeländes am Staudammprojekt zeigen. Genauso die Detailaufnahmen der gesetzlich vorgeschriebenen Anhörungen, die in den betroffenen Gemeinden durchgeführt werden. Bei streng regulierter Redezeit ist festgelegt, wie die Beteiligung der Betroffenen aussieht, womit die Gesetzesbestimmungen pro Forma erfüllt scheinen. Aber die brasilianische Verfassung sieht die vorherige, freie und informierte Befragung aller betroffenen Indigenen vor: Dies ist bis heute nicht geschehen. So berichtet der Film auch von den Klagen der Bundesstaatsanwaltschaft (siehe LN 467) gegen den Staudammbau. Auch von der Erwartung, dass Brasiliens Oberster Gerichtshof sich dieser Frage annehmen wird. „Die Regierung bricht das Gesetz“, sagt Bischof Kräutler. Und er verweist auch auf die Verantwortung der europäischen Firmen, die an Belo Monte verdienen. Keßler fuhr sogar nach München, zur Aktionär_innenversammlung von Siemens. „Kein Mensch von irgendeiner Firma aus Frankreich, Deutschland oder Österreich ist vor Ort gegangen, um sich das anzuschauen“, beklagt Kräutler im Film. „Wir brauchen die Unterstützung der Menschen, sonst können wir nicht weitermachen“, mahnt er an. So ist der Bischof gegen Ende des Films selbst auf der Barrikade zu sehen, die die Indigenen auf der Landstraße errichtet haben, um die Lastwagen aufzuhalten. Belo Monte ist zu rund einem Drittel fertiggestellt – aber der Widerstand ist ungebrochen.
Martin Keßler // Count-Down am Xingu III // Dokumentarfilm // 76 Minuten // 2013 // http://neuewut.de