Nummer 466 - April 2013 | Venezuela

Der Bus hat schon einen Fahrer

In Venezuela zweifelt kaum jemand an einem Wahlsieg von Nicolás Maduro

Nach dem Tod von Hugo Chávez finden in Venezuela am 14. April erneut Präsidentschaftswahlen statt. Als klarer Favorit gilt Chávez‘ Wunschnachfolger Nicolás Maduro, für die Opposition tritt erneut Henrique Capriles Radonski an. Die venezolanische Linke steht auch bei einem erwarteten Sieg Maduros vor vielen Ungewissheiten.

Jan Ulrich

Es brauchte nur einen Satz, mit dem Nicolás Maduro das Unken über seine berufliche Vergangenheit zum Schweigen brachte: „Der Bus hat schon einen Fahrer“. Der bekennende ehemalige Busfahrer und nun aussichtsreichste Kandidat auf die Nachfolge des verstorbenen Präsidenten Hugo Chávez, hatte nicht nur der bürgerlichen Gesellschaft mit ihrem Aufstiegsversprechen den Spiegel vorgehalten. Er hat mit nur einem grandiosen Einfall die gesamte Wahlkampagne seines Kontrahenten Henrique Capriles Radonski demontiert. Dieser hatte im vergangenen Jahr mit einer Wahlkampfsymbolik rund um den „Omnibus des Fortschritts“ die erfolgversprechende Strategie einer Grassrootskampagne für sich entdeckt. Von der venezolanischen Linken hatte er das einst erfolgreich geführte (Wahl-)Versprechen eines „Venezuela für alle“ annektiert, in absoluten Wählerstimmen ein für die venezolanische Opposition einmaliges Ergebnis eingefahren und am Ende doch gegen den übermächtigen Hugo Chávez das Rennen um die Präsidentschaft verloren.
Die letzte Wahlniederlage kaum verarbeitet und nun auch noch der erprobten Symbolik beraubt, fällt es der venezolanischen Opposition auch angesichts des offiziell nur zweiwöchigen Wahlkampfes schwer, sich erneut zu mobilisieren. Auf der Gegenseite prangt derselbe – nun auf alle Ewigkeit – unbesiegbare Hugo Chávez von den Wahlplakaten. Dessen verbrieftem letztem „Herzenswunsch“, die Wahl von Nicolás Maduro, kann derzeit in Venezuela wohl niemand etwas entgegensetzen. Selbst das andere nationale Denkmal, der Unabhängigkeitsheld Simon Bolívar, den Capriles als Kampagnenname vor seinen Wahlkampf gespannt hat, scheint – zumindest für den Moment- als Gründungsmythos der venezolanischen Nation und selbst der „bolivarianischen Bewegung“ ausgedient zu haben.
Unterschiedliche venezolanische Umfrageinstitute sagen Maduro einen Vorsprung von mindestens zehn bis 15 Prozent voraus. Zu allem Überfluss – aus Sicht des Capriles Lager– wird die Präsidentschaftswahl auch noch an einem symbolträchtigen Datum stattfinden, das für die venezolanische Opposition alles andere als positiv zu deuten ist. Zwischen dem 11. und 13. April des Jahres 2002 hatte die Opposition den Präsidentenpalast besetzt und damit das Gegenteil des ursprünglich Beabsichtigten bewirkt: Die Konsolidierung der Macht des politischen Außenseiters Hugo Chávez und die Selbstdelegitimierung seiner Herausforderer für den demokratischen Wettbewerb.
Der Kampf des Capriles Radonski scheint angesichts der symbolischen Übermacht dieser unverrückbaren Erzählung der jüngeren Geschichte des Landes aussichtslos. Dass er sich trotzdem von seiner Vergangenheit als rechtsliberaler Heißsporn verabschiedet hat und in seinen Wahlkampfreden die Sozialpolitik der Chávez-Ära lobte, hatte ihm nicht nur in den städtischen Mittelschichten einige Anerkennung und vor allem viele neue Wähler_innen eingebracht. Mit der Ernennung des populären Henry Falcon, dem ehemaligen Chávez-Unterstützer und Governeur des Bundestaates Lara zum aktuellen Kampagnenchef bewegt sich Capriles nun sogar noch weiter nach Mitte-Links. Und trotzdem stößt er bei seinem Versuch, sich in einer in Venezuela stark nach Links verschobenen politischen Kultur als der bessere Chávez zu profilieren, an Grenzen. Der im Wahlkampf selbst forcierte inhaltliche und persönliche Vergleich mit dem nordbrasilianischen Gewerkschafter Luiz Inácio Lula da Silva kommt für den Sohn der erfolgreichen (Medien-)Unternehmerfamilie Capriles einer Demontage der eigenen Glaubwürdigkeit gleich.
Um also die Wahlen am 14. April zu gewinnen braucht Capriles ein politisches Wunder. Möglich würde dies, wenn auch sein Kontrahent die eigene Glaubwürdigkeit mit unnötigen Selbstvergleichen aufs Spiel setzen würde. Nicolás Maduro, der im Wahlkampf nicht nur stets vom Konterfei des Hugo Chávez begleitet wird, sondern seit geraumer Zeit selbst versucht seinen Vorgänger bestmöglich zu imitieren, könnte also nochmal für unerwartete Spannung sorgen. Das als Außenminister hart erarbeitete Bild eines national wie international angesehenen Staatsmannes und Vermittlers hat sich Maduro jedenfalls innerhalb kürzester Zeit ramponiert. Was bei Chávez noch als Ausdruck politischer Authentizität, Spontanität und vor allem Originalität verstanden werden konnte, erscheint abgelesen vom Teleprompter allzu oft als Dampfplauderei. Die ewige Beschwörung des inneren und äußeren Feindes mag beim längeren Zuhören auch nicht so recht darüber hinwegtäuschen, dass eine Kopie einfach nie so gut sein kann wie das Original. Der vor allem von Maduro vorangetriebene Vorschlag die Überreste dieses Originals auf alle Ewigkeit zu konservieren, löste zudem nicht nur im katholischen Venezuela Kopfschütteln aus. Chávez selbst hatte in einem von ihm verfassten Buch im Dezember letzten Jahres den Wunsch geäußert in einem einfachen Grab, neben seiner Großmutter in seinem Geburtsort Sabaneta beerdigt zu werden.
Zudem zeigt sich Maduro trotz des komfortablen Vorsprungs in den Umfragewerten überraschend unsicher. Eine von Capriles vorgeschlagene Fernsehdebatte verweigert er bisher standhaft. Ein humoristisches Internetprojekt, das begonnen hatte die Erwähnung von „Chávez“ in den Äußerungen Maduros zu zählen, beschimpfte er als „Diffamierungskampagne von Drogenhändlern“. Eine Twitter-Userin, die behauptet hatte, Chávez sei aufgrund des Zustandes seines Körpers bereits vor der offiziellen Aufbahrung beerdigt worden, wurde gar vorübergehend festgenommen. Die Kritik der Opposition am Einfluss Kubas in Venezuela, verglich Maduro jüngst mit der Hetze Hitlers gegen die Juden.
Sollte er trotzdem und erwartungsgemäß zum nächsten Präsidenten Venezuelas gewählt werden, so steht vor allem die venezolanische Linke vor vielen Ungewissheiten. Mit dem Tod der großen Identifikations- und Integrationsfigur Hugo Chávez wird das Fehlen eines gemeinsamen politischen Projektes im heterogenen Lager des Chavismus-Bolivarianismus eher früher als später zu Widersprüchen führen.
Zwar ist nicht davon auszugehen, dass der aus der maoistischen Liga Socialista stammende, ehemals Bus fahrende Ex-Außenminister in naher Zukunft Beraterverträge bei multinationalen Energie- und Autokonzernen unterschreibt. Davor dürfte ihn allein schon seine Zeit als Gewerkschafter bei der U-Bahn-Gesellschaft von Caracas und der Einfluss aus Havana bewahren. Die folgenreichen Grenzen der Umverteilung der Erdölrente an untere Einkommensgruppen und Importunternehmer gleichermaßen haben in Venezuela jedoch schon mehrmals für überraschende politische Wendungen gesorgt.

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