Der diskrete Charme des Neoliberalismus
Fernando Henrique Cardoso ist neuer Präsident Brasiliens
Der strahlende Sieger
Mit dem Wahlergebnis vom 3. Oktober bestätigte sich ein Trend, der in den letzten Wochen immer unabwendbarer wurde. Der am 1. Juli mit der Einführung einer neuen Währung in seine entscheidende Phase getretene Wirtschaftsplan (Plano Real) hat die Präsidentschaftswahlen entschieden. Der Wahlkampf geriet zur “Melodie mit nur einer Note”, die Wahl wurde zu einem Plebiszit über den Plano Real. Cardoso hatte ihn als Wirtschaftsminister ausgearbeitet und als Kandidat zu seinem Haupttrumpf gemacht. Pünktlich drei Monate vor den Wahlen ließ die Einführung der neuen, an den US-Dollar gekoppelten Währung die Inflationsrate, die die schwindelerregende Marke von 45 Prozent im Monat erreicht hatte, drastisch fallen. Alle öffentlichen Tarife und die Preise von vielen Produkten des täglichen Lebens sind seit dem 1.Juli nicht mehr gestiegen. Diese für brasilianische Verhältnisse schon wundersame Stabilisierung entschied offensichtlich die Wahl. Alle Kritik der Opposition, hier werde keine Wirtschaftsreform eingeleitet, sondern ein Schauspiel zu Wahlkampfzwecken aufgezogen, lief offensichtlich ins Leere. Das Volk glaubte lieber dem Optimismus versprühenden Cardoso als den Warnungen der Linken. Die Lancierung des Plano Real ist wohl ein Lehrstück, wie bürgerliche Politik in einem Land mehrheitsfähig gemacht werden kann, in dem die Mehrheit der Bevölkerung von den Segnungen des Realkapitalismus ausgeschlossen ist. Eine Mischung aus Imagination und realer (zumindest kurzfristiger) Stabilisierung ließ Fernando Henrique zwar nicht als den großen Retter des Vaterlandes erscheinen (diese Figur hatte mit Collor Schiffbruch erlitten), aber als weisen und klugen Politiker, der das Land in eine bessere Zukunft führen kann und dem auf keinen Fall die Chance verwehrt werden darf, das angefangene Werk zu Ende zu führen. Die PT hatte offensichtlich die Wirkung des Planes unterschätzt und die Kraft der Anklage und des rationalen Argumentes überschätzt. Unterstützt wurde Cardoso massiv von den Medien, allen voran dem mächtigen Fernsehsender Globo, und der derzeitigen Regierung, die neue Zuversicht im Lande verbreiten ließen. Der unerschütterliche Charme des Kandidaten war dabei hilfreich. In der letzten Phase des Wahlkampfes profilierte sich Cardoso schon eher als Landesvater, der auch seinen Konkurrenten Lula lobte, denn als harter Wahlkämpfer.
Die häßliche Allianz
Gewiß, Cardoso ist kein wüster Populist, kein wilder Demagoge sondern ein intelligenter Intellektueller, der durch seinen Charme und seine Geschichte auch im fortschrittlichen Lager Unterstützung erhielt. So erklärten die Ikonen der brasilianischen Musik Caetano Veloso und Gilberto Gil ihre Präferenz für Cardoso, lediglich Chico Buarque blieb Lula treu. Der Sieg Cardosos ist auch ein Ausdruck davon, daß die größten Parteien des bürgerlichen Lagers, erschüttert durch die Korruptionsskandale, nicht in der Lage waren, eigene, erfolgversprechende Kandidaturen aufzubauen. So fiel die Wahl auf den Vertreter der PSDB, einer relativ kleinen Partei, die bisher lediglich den kleineren Bundesstaat Ceará regierte. Die PSDB, die überhaupt keine Verbindungen zur organisierten Arbeiterschaft hat, vertritt dennoch den Anspruch, die sozialdemokratische Partei Brasiliens zu sein. In Wirklichkeit ist sie wohl eher die “ideologischste” Partei des bürgerlichen Lagers. Sie hat am konsequentesten die Modernisierung des brasilianischen Kapitalismus auf ihre Fahnen geschrieben: Eine vollständige Integration in den Weltmarkt, die beschleunigte Privatisierung und die Deregulierung des Arbeits- und Sozialrechts sind die keineswegs allzu originellen Hauptachsen ihres Programms. Dabei redet Cardoso keinem primitiven Neoliberalismus das Wort, betont vielmehr, daß die aktive Rolle eines effektiven Staates in einem Land wie Brasilien unverzichtar sei, um die soziale Ungerechtigkeit zu bekämpfen. Das große Markenzeichen der PSDB-Regierung von Ceará ist dann auch ein Gesundheitsprogramm, mit dem die Kindersterblichkeit deutlich gesenkt wurde. Aber es waren nicht allein die für brasilianische Verhältnisse solide Regierung von Ceará und der Charme Cardosos, die den Wahlsieg ermöglichten, sondern ein breites Bündnis mit traditionellen Parteien der Rechten, insbesondere der PFL (“Partei der liberalen Front”), der zweitgrößten Partei Brasiliens, die sich im Prozeß des Übergangs zu einer zivilen Regierung 1984 aus einer Abspaltung der Partei der Militärs formiert hatte. Die PFL ist weniger eine politische Partei mit programmatischen Aussagen als ein Verein zur Sicherung des Zugangs zur Macht für die traditionellen Eliten des Landes. Sie vereinigt vor allem die Politiker, die es geschafft haben, seit der Militärdiktatur in allen Regierungen vertreten zu sein. Für die PFL war das Bündnis interessant, weil sie offensichtlich selbst keinen eigenen Kandidaten aufstellen konnte, der Aussichten hatte, Lula zu schlagen. Sie erwies sich damit geschickter und flexibler als die anderen bürgerlichen Parteien, die mit ihren eigenen Kandidaturen Schiffbruch erlitten.
Das Bündnis mit der PFL sicherte Cardoso die größte Fernsehzeit aller Kandidaten und die Unterstützung in den wirtschaftlich und politisch rückständigsten Teilen des Landes. Gleichzeitig gefährdete sie aber auch die ideologischen Grundlagen seines Regierungsprojekts. Denn für die konsequente Durchsetzung einer kapitalistischen Modernisierung müßte die zukünftige Regierung auch mit den sektorellen und korporativistischen Interessen brechen, für deren Vertretung gerade die PFL steht. Es könnte also sein, daß das Bündnis, das die Wahl Cardosos gesichert hat, die Umsetzung seines Modernisierungsprojektes gefährdet. So stand die PFL in den letzten Regierungen keineswegs für eine Verminderung des Staatsapparates, sondern für dessen klientilistische Funktionalisierung. Allerdings bekennen sich inzwischen die Führer der PFL eindeutig zu den neoliberalen Glaubenssätzen, weil sie wohl erkannt haben, daß es auf die Dauer schwierig ist, eine nationale Politik gänzlich ohne jegliches ideologisches Projekt zu verfolgen. Ob es sich dabei aber mehr um eine Fassade als um ein wirkliches Projekt handelt, wird die Zukunft zeigen müssen.
Fernando Henrique Cardoso hat viele Trümpfe in der Hand. Er ist mit einer großen Mehrheit gewählt, hat die volle Unterstützung von IWF und Weltbank und wird über eine solide politische Mehrheit verfügen. Seine Aufgabe ist es, in Brasilien kapitalistische Normalzustände herzustellen: Währungsstabilität plus forcierte Weltmarktintegration plus Privatisierungen. Die PSDB und ihr gewählter Präsident werden dabei nicht müde zu beteuern, daß sie keineswegs neoliberale Hardliner sind. Ob allerdings das Bündnis mit der PFL politischen Spielraum für auch nur vorsichtige soziale Reformen läßt, muß bezweifelt werden. Zumindest eine Agrarreform, die natürlich auch von der PSDB versprochen wird, ist mit der in der PFL organisierten Agrar-oligarchie nicht zu machen.
Die Niederlage der PT und
die Zukunft der Linken
Die geschickte Lancierung eines Stabilisierungsplanes vor den Wahlen war sicherlich der Hauptgrund für die Niederlage Lulas.
Von der PT werden als weitere Ursachen angeführt:
– Die massive Unterstützung von Regierung und Massenmedien für Cardoso.
– Die Mobilisierung von Vorurteilen gegen Lula: Ein Metallarbeiter, Arbeitsmigrant, Sohn einer bitterarmen Familie, ohne Hochschulabschluß und administrative Erfahrungen, das sei kein Typ für das Präsidentenamt.
Bedenklich ist, daß es der PT nicht annähernd gelungen ist, das gesamte Potential von Proteststimmen zu mobilisieren. Die Zahl der ungültigen und leeren Stimmzettel wird sich auf etwa 20 Prozent belaufen, die der Enthaltungen auf 15 Prozent, ein sehr hoher Anteil für ein Land in dem strikte Wahlpflicht gilt. (Das offizielle Endergebnis stand auch eine Woche nach den Wahlen nicht fest!) Einen großen Anteil von Proteststimmen konnte auch der drittplazierte Kandidat auf sich vereinigen: Der erzreaktionäre Politclown Eneas, der eine parteienunabhängige Einzelkandidatur bestritt, erreichte überraschende sieben Prozent der Stimmen und ließ damit alle anderen Kandidaten des bürgerlichen Lagers weit hinter sich. Neben zur Schau gestellter Skurrilität waren ein radikaler law-and-order-Diskurs sowie aggressive Anklagen gegen das politische System sein Markenzeichen.
Die “Radikalen” sind an allem schuld?
Natürlich werden auch bei der PT selbst die Ursachen für die Niederlage gesucht. Hier unterscheiden sich aber nun die Analysen je nach politischem Standort: Sieht der “rechte”, “moderate” Flügel der Partei das Fiasko eher in einer fehlenden Bündnispolitik mit Teilen des bürgerlichen Lagers begründet, analysieren die Parteilinken, daß die Schwäche der PT gerade darin lag, daß sie die soziale Polarisierung im Land nicht politisch ausdrücken und umsetzen konnten. Für die Presse ist der Fall eh klar: Die “bösen Radikalen” (oder “Schiiten”, wie sie hierzulande genannt werden), die angeblich die Partei beherrschen, haben eine größere Akzeptanz Lulas verhindert. Das Ausspielen des “guten” Lulas gegen die böse Partei war schon während des Wahlkampfes eines der Hauptthemen der Presse. Tatsächlich sind derartige Zuweisungen so holzschnitzartig verkürzt wie die Berichterstattung der bundesdeutschen Presse über die Auseinandersetzungen innerhalb der BündnisGrünen. Die PT ist eine komplexe, nicht einfach zu verstehende, pluralistische linke Partei. Auch die von deutschen Linken immer wieder gestellte Frage, ob denn die PT nun endgültig ins sozialdemokratische Fahrwasser geraten sei, provoziert schon die Simplifizierung. Die PT ist entstanden und gewachsen als eine Formierung jenseits und gegen sozialdemokratische und orthodox-kommunistische Strömungen, einen großen Einfluß hatten linkskatholische Gruppen. Die PT hat eine besondere brasilianische Geschichte, die nicht in (europäische) Prokrustesbetten zurechtgestutzt werden sollte. Bis heute hat sich die PT das Recht, interne Tendenzen zu bilden, bewahrt. Sie ist ein Sammelbecken verschiedenster linker Strömungen, von mandelistischen Trotzkisten, über Ökosozialisten bis hin zu sozialdemokratischen Reformaposteln. Und trotz aller Widersprüche ist die PT die politische Partei der vielfältigen sozialen Bewegungen in Brasilien. In dieser Vielfalt lassen sie zwei Grundpositionen ausmachen: für die Parteilinken ist die Metapher des “Bruchs” zentral. Die Partei steht für den grundsätzlichen Bruch mit den hegemonialen Interessen in Brasilien und dem vom IWF oktroierten neoliberalen Modells.
Für die “Rechte” steht die Entwicklung einer reformerischen sozialen Kompetenz im Vordergrund. Die PT muß sich auf der Ebene, auf der sie bereits Macht ausübt (Bürgermeister) als konsequente Reformkraft beweisen, die neue Prioritäten in der Sozialpolitik setzen kann und damit den Staat von einem privatisierten Verteilungsmechanismus der Eliten in ein Verteidigungsinstrument der Unterprivilegierten transformiert ( vgl. auch die Stellungnahmen der PT-Spitze zur Wahl ). Die Unterscheidung zwischen Linken und Rechten in der Partei läßt leicht reale Debatten verschwinden. So sind viele der Parteilinken von einer ungetrübten Orthodoxie beherrscht, die es ihnen zum Beispiel auf dem letzten Parteitag leicht machte, die Forderung nach Entkriminalisierung der Abtreibung aus dem Programm zu streichen, leichter jedenfalls als viele “Rechte”, die feministische Positionen innerhalb der Partei verteidigen. Nach der Wahl wäre für die Partei sicherlich eine Diskussion über die Möglichkeiten (nach der Fixierung auf einen möglichen Präsidenten Lula) linker Politik in Brasilien ratsamer als gegenseitige Schuldzuweisungen.
Wahlerfolge der Linken
Löst man sich von den gescheiterten Hoffnungen beim Kampf um die Präsidentschaft, dann zeigt das Wahlergebnis auch positive Aspekte. Die PT wird die Anzahl ihrer Abgeordneten von 35 auf etwa 70 erhöhen, sie wird vier SenatorInnen wählen (bisher 1), und in drei Bundesstaaten sind ihre Kandidaten in die Stichwahl um den Gouverneursposten gelangt, in einem (Espirito Santo) mit sehr guten Erfolgsaussichten. Bisher hat die PT noch nie einen Gouverneur gestellt. In den Senat wird mit Benedita da Silva eine ehemalige Hausangestellte einziehen. Daß ein schwarze Frau in Rio mit diesem sozialen Hintergrund in den Senat gewählt wird (jeder Bundesstaat wählte nur zwei SenatorInnen!), macht schon deutlich, wie die PT die politische Kultur Brasiliens beeinflussen kann. Mit einer gestärkten Parlamentsfraktion steht die brasilianische Linke nun vor der Aufgabe, eine konsequente Oppositionspolitik gegen das neoliberale Modernisierungsprojekt zu organisieren.
Daß Brasilien in Lateinamerika bisher einen Sonderfall darstellt, liegt nicht zuletzt an den starken sozialen Bewegungen. In Brasilien dominiert die der PT nahestehende Gewerkschaftsbewegung (zusammengeschlossen im Dachverband CUT). Es gibt also durchaus ein organisiertes Widerstandspotential. Eine große Herausforderung hat die PT zwar erkannt, aber nicht gelöst: Ihre Stärke liegt im organisierten Sektor der Gesellschaft, in den Großbetrieben, im öffentlichen Dienst, in einem Sektor, der immer mehr seine Integrationskraft für die brasilianische Gesellschaft verliert. In den Kleinstbetrieben, im informellen Sektor, bei den Ausgegrenzten und Marginalisierten hat die Linke bisher wenig organisierende Kraft entwikkelt. Nur wenn die Ausgeschlossenen politische Kraft gewinnen, wird sich ein wirksamer Widerstand organisieren lassen.
Die Anderen
Angesichts der Polarisierung zwischen Lula und Cardoso konnten die anderen Kandidaten mit Ausnahme des bereits erwähnten Eneas nur Statistenrollen spielen. Die Wahl bedeutet auch das Ende eines Politikers, der eine herausragende Rolle in der jüngsten brasilianischen Geschichte gespielt hat: Leonel Brizola konnte ganze drei Prozent der Stimmen erringen. Brizola hatte in den sechziger Jahren das Erbe des Nationalpopulismus des früheren Präsidenten Getulio Vargas angetreten, er hatte als Gouverneur erbitterten Widerstand gegen den Militärputsch geleistet und war bei der Rückkehr aus dem Exil einer der großen Pole der Opposition. Zweimal zum Gouverneur von Rio gewählt, kennzeichnete sein zweites Mandat den Niedergang: Administrative Inkompetenz, explodierende Gewalt und ein zu lange durchgehaltenes Bündnis mit dem unsäglichen Collor ließen den Stern Brizolas sinken. Sein linkspopulistischer Diskurs, seine wütenden Anklagen gegen den Fernsehsender Globo und den IWF gerieten immer mehr zur Politfolklore. Überraschenderweise hat aber seine Partei, die PDT, ein beachtliches Ergebnis erzielt. In Paraná wurde der populäre Exbürgermeister von Curtiba, Jaime Lermer, bereits im ersten Wahlgang zum Gouverneur gewählt, in Sâo Paulo steht der Kandidat der PDT im 2. Wahlgang. Außerdem gewann die PDT in Mato Grosso (in einem breiten Bündnis, das auch die PT einschloß), und sie hat in zwei kleineren Staaten gute Chancen im zweiten Wahlgang. Der Kandidat in Sâo Paulo ist ein wüster Demagoge, der seine Karriere bei den Militärs begonnen hat, und nur die in Sâo Paulo bedeutungslose PDT wählte, um einen politischen Raum zu haben. Ihm werden auch wenig Chancen gegen den Kandidaten der PSDB, Mario Covas, eingeräumt. Interessanter ist der Kandidat der PDT in Rio, Garotinho, ein junger Newcomer mit populistischem Diskurs, aber eindeutig linkem Akzent. Er sucht für den zweiten Wahlgang die Unterstützung der PT (und wird sie auch bekommen), um eine “Front der Linken” aufzubauen. Garotinho hat realistische Chancen, in Rio zu gewinnen. Mit der Achse Rio – Paraná wäre die PDT wieder ein Schwergewicht in der brasilianischen Politik und hätte die große Chance, sich durch eine pragmatische Opposition zu Cardoso weiter zu einer möglichen Alternative bei dessen Scheitern zu entwickeln. Garotinho wenigstens läßt keine Zweifel, daß die Präsidentschaft sein großes Ziel ist.
Auch der Kandidat der größten Partei Brasiliens erlitt ein Fiasko: Mit nur fünf Prozent blieb der Kandidat der PMDB, Orestes Quercia auf der Strecke. In Sâo Paulo, das die PMDB seit 12 Jahren regierte, ist ihr Kandidat im ersten Durchgang gescheitert. Allerdings wird die PMDB weiterhin die stärkste Fraktion im neuen Parlament bilden. Aber sie wird immer mehr zu einer Partei lokaler Kaziken degenerieren, ohne nationale Kraft.
Reaktionen aus der PT auf das Wahlergebnis
(Quelle: Jornal do Brasil vom 8.10.)
Kasten 1
Jos Genoino, Abgeordneter der PT, der die meisten Stimmen erhielt, Führer des “rechten” Flügels der PT: “Wenn es auch auf der einen Seite wahr ist, daß wir einer breiten und mächtigen Front gegenüberstanden, die sich um die Kandidatur Fernando Henrique Cardosos scharte, so dürfen wir es doch nicht unterlassen, unsere eigenen Fehler einzugestehen. 1. Das Fehlen einer Bündnispolitik, die in der Lage gewesen wäre, Vertrauen in weiten Sektoren der Gesellschaft zu schaffen. 2. Unserer Wahlkampagne gelang es nicht, ein realisierbares Regierungsprogramm vorzustellen, das auf Probleme Antworten gibt wie die Reform des Staates, die soziale Krise, Sozialpolitik, ökonomisches Wachstum mit Einkommensverteilung, Stabilisierung und Inflationsbekämpfung. Zu diesen Punkten haben wir nur allgemeine Aussagen präsentiert und waren unfähig, der konkreten Existenz des Reals Rechnung zu tragen. 3. Wir haben eine wenig kreative Kampagne gemacht, bei der wir nicht die administrativen Erfahrungen der PT herausgestellt haben, und konnten somit den Vorurteilen gegen die PT und Lula nicht entgegentreten. 4. Materielle Ausstattung und Leitung unserer Kampagne waren wenig professionell.”
Kasten 2
Aloizio Mercadante (Vize Lulas): “Wir müssen die Partei neu strukturieren, insbesondere im Norden und Nordosten, wo eine Oligarchie die Medien beherrscht und die Zivilgesellschaft schwach ist. Die PT muß mit der Zivilgesellschaft interagieren…Wir müssen Mechanismen schaffen, damit die Leute, die an der Kampagne teilgenommen haben, permanent in der Partei arbeiten, Künstler zum Beispiel und die Leute aus dem Kulturbereich. Auch die Religiösen und die Jugend müssen mehr Gewicht in der Partei haben. Dasselbe gilt für die Unternehmer, die mit einem Unterstützungskomitee eine große Beteiligung an der Kampagne hatten.”
Schluß mit den Tendenzen?
“Ich glaube nicht, daß wir interne Meinungstendenzen auslöschen werden, aber wir müssen die Tendenzen als Formen der Organisation überwinden. Diese Kampagne ist das Ende eines Zyklus, nach dem wir über eine neue Struktur nachdenken müssen. Wir müssen zum Beispiel eine bessere Beziehung zu den von uns geleiteten Kommunalverwaltungen und zu unseren Abgeordneten haben.”
PT als linke Sozialdemokratie?
“Ich glaube, die traditionellen Modelle der Linken sind überholt und die PT entstand schon, indem sie sie in Frage stellte. Deshalb haben wir im Gegensatz zu den orthodoxen Parteien der Linken in aller Welt überlebt und sind eine große Kraft in unserem Land… Ich weiß nicht ob man uns als linke Sozialdemokratie etikettieren kann… Wir müssen eine Partei sein, die mehr die Institutionen achtet. Die PT kann nicht nur eine Partei des Protestes sein, sie muß alternative Vorschläge machen. Wir müssen unsere Hegemonie nicht durch Negation, sondern durch Affirmation aufbauen.”
Wird es Änderungen im Programm geben?
“Das heißt auch, wir müssen unser Programm ändern. Wir werden zwar niemals die These vom Minimalstaat akzeptieren, aber wir müssen anerkennen, daß das national-populistische Modell ausgespielt hat. Wir müssen eine Idee des Öffentlichen schaffen, statt uns auf den Staat zu fixieren.”
Kasten 3
Lula da Silva: In der ersten Pressekonferenz nach der Wahl, kennzeichnete Lula seine zukünftige Rolle als “Wächter der Bürgerrechte” und versprach eine “nicht-systematische Opposition, die sich nicht nach unseren Programm ausrichten wird, das keine Mehrheit gefunden hat, sondern nach dem Programm Cardosos, damit seine Versprechungen nicht vergessen werden.” Lula stellte dabei folgende Versprechungen des Kandidaten heraus: Verdoppelung des Mindestlohnes (von 70 auf 140 US-Dollar), die Schaffung von 12 Millionen Arbeitsplätzen, die Ansiedlung von 400.000 Familien auf dem Lande und ausreichende Schulplätze für alle Kinder. Gleichzeitig erklärte er, daß er kaum an einer Regierung Cardoso teilnehmen könne, die auf den jetzigen Allianzen aufbaut.