DER EWIGE ORTEGA
DIE WAHLEN IN NICARAGUA FINDEN OHNE OPPOSITION STATT
„Es gibt niemanden, den man wählen könnte“, stand auf dem Zettel, den Mitglieder der Gruppe der 27 auf der Pressekonferenz am 9. August in Managua in die Kameras hielten. Der demokratische Raum sei von den Regierenden geschlossen worden, kritisierte Fabio Gadea Mantilla. Er ist einer der Sprecher der Gruppe der 27 und scheiterte bei den letzten Präsidentschaftswahlen als Gegenkandidat von Daniel Ortega, der grauen Eminenz der Sandinisten*innen. Er zieht im Hintergrund die Fäden und sorgt dafür, dass der Opposition in Nicaragua die Luft zum Atmen fehlt.
Die Wahlen seien nur eine Maske, mit der eine Diktatur verschleiert werde, hieß es bei der Pressekonferenz der 27. Dieser gehören auch der Befreiungstheologe, Sandinist und Dichter Ernesto Cardenal sowie die populäre Schriftstellerin Gioconda Belli an. Letztere warnte vor der Zentralisierung der Macht in den Händen von Daniel Ortega und seiner Frau Rosario Murillo. Das Paar stehe der Regierung vor, als seien sie von Gott gesalbt um an der Macht zu bleiben, kritisiert die 67-Jährige, die einst selbst in der sandinistischen Guerilla gekämpft hat und Ortega entsprechend lange kennt.
Ortega war einer von damals neun Comandantes der Sandinistischen Nationalen Befreiungsfront (FSLN). Diese prägt seit dem 19. Juli 1979, seit dem Sieg der Revolution über den seit 1934 regierenden Somoza-Clan, das Land. Bereits 1984 wurde Ortega als erster Präsident nach dem Sturz der Somoza-Diktatur gewählt. Er scheiterte dann jedoch in den Wahlen vom Februar 1990 an der konservativen Kandidatin Violeta Chamorro. Das Land war kriegsmüde und vom Terror der von den Vereinigten Staaten unterstützten Contra-Guerilla zerrüttet. Nach der Wahl Chamorros kandidierte Ortega in den folgenden Jahren immer wieder für das höchste Staatsamt – ohne Erfolg. Erst 2006 schaffte er es wieder in den Präsident*innenpalast einzuziehen, dank eines Bündnisses mit dem korrupten Ex-Präsidenten Arnoldo Alemán von der Liberalen Partei. Seitdem regiert der heute 70-jährige Ortega das Land gemeinsam mit seiner 65-jährigen Frau Rosario Murillo. Sie ist Sprecherin der Regierung, Ministerin und de facto das Gesicht der Macht. Bei der Wahl vom 10. November kandidiert die durchsetzungsstarke Murillo als Vizepräsidentin. Ortegas Kritiker*innen sehen deshalb eine neue Familiendynastie aufziehen.
Ortega sei dabei, so Fabio Gadea Mantilla, ein Einparteien-Regime mit dynastischen Zügen zu errichten. „Illegitim“ seien die anstehenden Wahlen, denn die Opposition sei „praktisch ausgesperrt“, kritisierte Carlos Tunnermann, ein weiterer aus der Gruppe der 27. Daran lässt sich kaum rütteln, denn in den vergangenen Jahren wurden die oppositionellen Parteien nach und nach mundtot gemacht. Erst wurde die vom ehemaligen Vizepräsident Sergio Ramírez mitgegründete Sandinistische Erneuerungsbewegung (MRS) unter einem fadenscheinigen Vorwand für aufgelöst erklärt. Seitdem tritt die MRS als Teil der Allianz der nationalen Koalition für die Demokratie an, der als größte Partei die Liberale Partei (PLI) vorsteht. Doch auch die ist nun kaum mehr handlungsfähig: Denn im Juni hat der Oberste Gerichtshof einen Streit um die parteiinterne Vorherrschaft zugunsten des Ortega nahestehenden Pedro Reyes entschieden. Dagegen liefen die 16 Anhänger*innen des Parteivorsitzenden Eduardo Montealegre Sturm und wurden auf Anordnung des Obersten Wahlrats aus dem Parlament geworfen.
Dort verfügt die PLI über 24 Sitze, die absolute Mehrheit hat mit 64 der 90 Sitze aber die FSNL von Daniel Ortega. Daran wird sich Umfragen zufolge nichts ändern, denn Ortega führt sie mit 64 Prozent der Stimmen an und sollte der 70-Jährige, dem eine angegriffene Gesundheit nachgesagt wird, die Legislaturperiode nicht durchhalten, stünde seine Frau und Vizepräsidentin zur Stelle. Die ist in den letzten Jahren zu mehr als einer Präsidentengattin geworden und gilt vielen Oppositionellen als diejenige, die den Ton in der Regierung und der FSLN angibt. Die Partei stellt sechs der sieben Posten im Parlamentsvorsitz und auch die Justiz und der oberste Wahlrat gelten als Ortega-treu. Alles Gründe, weshalb nicht nur die Gruppe der 27 von einer Wahlfarce spricht.
Anfang September gab nun der frühere Außenminister und ehemalige Vorsitzende der Liberalen Partei, Eduardo Montealegre, bekannt, dass er sich aus der Politik zurückzieht. Folglich steht die Opposition ohne echten Kandidaten da, wodurch sich der Eindruck einer Wahlfarce verstärkt. Dazu passt, dass internationale Wahlbeobachter*innen ausdrücklich nicht erwünscht sind, wenn die rund 3,5 Millionen Wahlberechtigten am 10. November zu den Urnen schreiten. Das gilt mehr oder weniger auch für Pressevertreter*innen: Kritische Berichterstattung über den Nicaragua-Kanal ist genauso wenig erwünscht wie über die politischen Strukturen des Landes oder gar die Abläufe in der FSLN. „Für Ortega ist wichtig, dass alles den Anschein der Legitimität erweckt“, erklärt Carlos Tunnermann von der Gruppe der 27. Das sei aber immer schwieriger aufrechtzuerhalten, schreibt Sergio Ramírez, Schriftsteller und der ehemalige Vizepräsident der FSLN während Ortegas erster Amtszeit. „Es gibt keine glaubwürdigen Kandidaten, keinen unabhängigen Wahlrat, […] aber eine Wahlmaschine, die mit staatlichen Ressourcen gespeist wird“, betont er auf seiner Homepage. Für Ramírez (siehe den folgenden Text im Heft) ist die Zentralisierung der Macht unter der Regie Ortegas beispiellos und mit der Zunahme der Macht sei das Regime immer intoleranter geworden. So müssten nun auch Journalist*innen mit einer Ausweisung rechnen, wenn sie über unliebsame Themen wie die Armut schreiben.