Asien | Lateinamerika | Nummer 327/328 - Sept./Okt. 2001

Der Fall Chentex – Ein Lehrstück

Nach Gewerkschaftsprotesten bei Chentex in Nicaragua lenkte die taiwanische Firmenleitung ein

Die Firma Chentex liegt in einer nicaraguanischen Freihandelszone. Hier werden Jeans vor allem für den US-amerikanischen Markt genäht. Chentex ist ein Tochterunternehmen des taiwanischen Konzerns Nien Hsing. Die Besonderheit: Seit 1998 ist in der Maquila eine Gewerkschaft aktiv. Das passte der taiwanischen Leitung gar nicht.

oeku-buero, ruka

Chentex Garment S.A. ist eine der großen Maquila-Fabriken in der Freihandelszone Las Mercedes in Managua. Sie gehört zur taiwanischen Unternehmensgruppe Nien Hsing, einer der weltweit größten Jeansproduzenten. Ungefähr 1900 ArbeiterInnen, in der Mehrzahl Frauen unter 26 Jahren, produzieren bei Chentex täglich rund 20.000 Hosen für den US-amerikanischen Markt. Rund zwei Drittel der Frauen sind allein erziehende Mütter mit bis zu vier Kindern. Die Monatslöhne betrugen im Juni vergangenen Jahres durchschnittlich 63 US-Dollar. Ein Grundwarenkorb (ohne Fahrkartentarife, Miete und Ausstattungsgüter wie Schuhe) kostete zur damaligen Zeit in Nicaragua bereits über 150 US-Dollar im Monat. Die Arbeitsbedingungen sind wie in allen Maquilas schlecht, unbezahlte Überstunden an der Tagesordnung, und jeder Versuch, sich gewerkschaftsmäßig zu organisieren, wird sanktioniert.

Lohnerhöhungen außer bei Chentex

Im März 2000 wurden in allen Nien-Hsing-Maquilas die Löhne erhöht, außer bei Chentex, dem einzigen Betrieb, in dem seit 1998 eine Gewerkschaft tätig ist. Acht Wochen später wurden acht Gewerkschaftsmitglieder, die sich aktiv für die gleichen Lohnerhöhungen bei Chentex eingesetzt hatten, unter fadenscheinigen Vorwänden entlassen. Ein Streik bewirkte, dass der Fall dem Arbeitsministerium übergeben wurde, welches die Entlassungen zwei Wochen später jedoch absegnete. Ermutigt durch die Stellungnahme des Arbeitsministeriums antwortete die Geschäftsleitung auf die eingelegte Berufung und in Erwägung eines neuen Streiks mit weiteren Entlassungen. Zusätzlich hagelte es Repressalien gegen alle, die nicht der vom Management gestützten Alibi-Gewerkschaft beitreten wollten. Entlassene Ge-werkschafterInnen berichteten, dass sie von bezahlten Banden bedroht wurden. Ein ehemaliger Mitarbeiter im Chentex-Sicherheitsdienst erklärte, er sei angehalten worden, missliebigen Personen beim Verlassen des Betriebsgeländes Diebesgut unterzuschieben, um sie so zu kriminalisieren.
Die Proteste der Chentex-ArbeiterInnen und der Gewerkschaften fanden internationale Unterstützung: Von der Taiwanese Solidarity for Nicaraguan Workers angefangen, die sich auf Aktionärsversammlungen für die entlassenen GewerkschafterInnen eingesetzt hatte, über den Solidaritätsbesuch eines Gewerkschaftsfunktionärs aus Südafrika, wo Nien Hsieng auch Maquilas betreibt, bis hin zu KonsumentInnenkampagnen in den USA beispielsweise in Kohl’s Department Stores, einem wichtigen Abnehmer von Chentex-Produkten. Als Reaktion auf die Folgen dieser Aktionen wie Aktienkursverluste und Auftragseinbußen ließ Chentex Anfang Januar 2001 über ihre firmeneigene Alibi-Gewerkschaft 700 ArbeiterInnen „mobilisieren“. Sie wurden in Bussen zu einer Kundgebung gegen die Einmischung der „Gringo-Aktivisten“ vor die US-Botschaft gekarrt.
Kritik an den internationalen Solidaritätsaktionen gab es allerdings auch von Seiten der nicaraguanischen Frauenorganisation MEC: Sie vertritt die Auffassung, dass eine als Boykott zu verstehende Kampagne zu einem Rückzug der Maquila-Betreiber aus Nicaragua führen würde und daher nicht im Interesse der ArbeiterInnen sei. Und so war auch die Androhung den Betrieb zu schließen, das stärkste Druckmittel des Unternehmens in den Verhandlungen.
Am 10. Mai wurde schließlich ein Abkommen zwischen der sandinistischen Gewerkschaft CST und dem Chentex-Management unterzeichnet, durch das der mehr als einjährige Arbeitskampf beendet wurde. Ergebnis: Alle ArbeiterInnen, die auf Grund ihrer Verbindung zur CST entlassen worden waren, wurden wieder eingestellt und für den Erwerbsausfall entschädigt. Im Gegenzug verpflichtete sich die CST, sämtliche von ihr angestrengten arbeitsrechtlichen Verfahren gegen die Chentex aufzugeben.

Weitere Publikationen des Ökumenischen Büros für Frieden und Gerechtigkeit zum Thema Maquila:
Broschüre: „Profit ohne Grenzen“ – Freie Produktionszonen in Mittelamerika, 3 Maquila-Bulletins („Zentralamerikanisches Frauennetzwerk in Solidarität mit Maquila-Arbeiterinnen“, „Verhaltenskodizes der Unternehmen“ und „Der Fall Chentex – Ein Lehrstück“). Unsere Adresse: Pariser Str. 13, 81667 München. Tel. 089-4485945. Oder per Email: info@oeku-buero.de

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