Der heilige Teufel
Die Nahuatl Theater Company hat einen Spielfilm gedreht
Was machen die Heiligen in der Kirche wenn niemand da ist, der zu ihnen betet? Sie langweilen sich. Was kann dagegen getan werden? Ein Fernseher wird vor den versammelten Figuren aufgestellt und die Seifenopern vertreiben die Langeweile. Und wenn einer von Ihnen nicht lieb war? Dann wird das Gesicht zur Wand gedreht. Ätsch!
Agustin Quetzal hat ein inniges Verhältnis zu den Heiligen. Er kümmert sich um die Kirche im Dorf, denn der Priester kommt von außerhalb. Agustin Quetzal ist das Big Baby, früher weniger charmant als Dorftrottel bezeichnet, aber blöd ist er nicht. Er erklärt dem entsetzten Priester die Sache mit dem Fernseher. Der versteht kein Wort, zischt nur: “Red’ spanisch!” und die Mattscheibe zerschellt auf dem steinernen Kirchenboden. Hier der Indio mit seiner Muttersprache Nahuatl, dort der spanische Nachfahre, Vertreter der Amtskirche, der nur spanisch spricht.
Europäischer Filmmarkt
Während Forum, Panorama und Wettbewerb der Berlinale die Leute ins Kino locken, findet nebenan für FachbesucherInnen der Europäische Filmmarkt statt. Der mexikanische Film war hier zweimal vertreten, darunter Santo Luzbel von Miguel Sabido. Sohn einer Maya, lernte Sabido erst mit 13 Jahren Spanisch. Schon früh interessierte er sich für die indianischen Zeremonien und das rituelle Volkstheater. Um das evangelikale Theater in den einheimischen, indianischen Sprachen wieder aufleben zu lassen, gründete er 1989 die Nahuatl Theater Company.
Die Aufführung religiöser Stücke hat in Mexiko eine 3000 Jahr alte Tradition. Spanischen Chronisten zufolge formten 18 ausgeklügelte Rituale die jährlichen Zeremonien der Azteken. Hunderte von Tänzern, Schauspielern, Sängern und Choreographen spielten in der aztekischen Gesellschaft eine wichtige Rolle. Es wird geschätzt, daß allein im Hochtal von Mexiko an die 100.000 Menschen ihr Leben mit diesen Zeremonien zubrachten. Mit der Ankunft der Spanier kamen sie in Kontakt mit den Mönchen des Franziskanerordens. Von den Franziskanern missioniert, wandelten sich die Rituale in ein evangelikales Theater in der Sprache Nahuatl um.
Die Götter gnädig stimmen
Elf Jahre nach der spanischen Eroberung der Aztekenmetropole Tenochtitlán, dann umbenannt in Mexiko-Stadt, kam dort mit über 800 Schauspielern, Musikern und Tänzern ein religiöses Stück zur Aufführung, daß das Jüngste Gericht darstellte. Diese Art des Theaters überdauerte noch weitere 80 Jahre bis es allmählich verschwand oder sich in ein rituelles Volkstheater verwandelte.
Vier solcher religiöser Stücke hat die Nahuatl Theater Company bisher rekonstruiert und aufgeführt, Santo Luzbel ist ihr erster Spielfilm, bei dem überwiegend Nahuatl gesprochen wird. Erzählt wird die Geschichte von vier Indios, die sich ihrem Schutzpatron, dem Heiligen Michael, verpflichten eine öffentliche Huldigung darzubringen. Einer von ihnen besitzt das Buch, in dem der Ritus aufgezeichnet ist und das vom Vater an den Sohn weitergegeben wird.
Aber der Sohn war nachlässig und hat sich nicht darum gekümmert. Erst jetzt, nach einer Reihe von Tragödien und Unglücken soll das eigentlich jährlich stattfindende Colloquium wieder aufgeführt werden. Das ganze Dorf wird in die Vorbereitungen mit einbezogen, argwöhnisch betrachtet von Pater Loepoldo Santos. Der versteht bekanntlich kein Nahuatl, aber je mehr die Sache in Gang kommt, erhellt sich auch für ihn der genaue Titel des Buches: Das Colloquium der großen und heiligen Männer Michael und Luzifer. Blasphemie, ruft Pater Santos und verbietet die Aufführung. Daß der Teufel kein Heiliger ist, dem öffentlich gehuldigt werden kann, ist für die Dorfbewohner nicht nachvollziehbar. Während der liberale Amtskollege Vater Julio zu vermitteln versucht, erklärt, daß der Titel nicht wörtlich aus dem Nahuatl übersetzt werden könne, daß für die indianischen Dorfbewohner der heilige Michael und Luzifer den gleichen metaphysichen Status einer Gottheit einnehmen, und schließlich der Begriff der Hölle ein europäisches Importprodukt sei, verhärten sich die Fronten weiter. Auf der einen Seite die Indios, die ihr Versprechen gegenüber ihrem Schutzpatron nicht brechen können, auf der anderen Seite der störrische Priester. In ihrer Not verschanzen sich die vier indígenas in der Dorfkirche. Der Bischof wird eingeschaltet, das Militär gerufen und die Medien bekommen Wind von der Sache. Schnell wird so eine besetzte Dorfkirche zu einem kompletten Indígenaaufstand aufgebauscht.
Am Ende stehen sich waffenstarrende Militärs und mit Kerzen bewaffnete Indios vor der Kirche gegenüber, der blutige Showdown kann gerade noch verhindert werden.
Dem ungläubigen Kinobesucher ist dieser ganze Kraftaufwand zwar logisch verständlich und nachvollziehbar, die Sympathieverteilung fällt schon allein wegen der teils amüsanten Charakterzeichnung zugunsten der Indios aus. Auch werden Themen wie Konflikte um Landbesitz, korrupte Behörden und weltliche Machtverteilung am Rande berührt, im Zentrum steht jedoch die religiös motivierte Auseinandersetzung. Dabei erscheint der bürokratische Amtskirchenvertreter nicht weniger verbohrt und stur als die auf ihrer Art der Feier bestehenden Indios. Das könnte gewollt sein. Die letzten Bilder des Films zeigen die Dorfbevölkerung allein unter sich am Fuß einer Aztekenpyramide bei der Zelebrierung ihres Colloquiums. Sie haben ihr Dorf verlassen und sind zu ihren Wurzeln zurückgekehrt. Na, wenn das kein gutes Ende ist.
“Santo Luzbel”, Mexiko, 1996, Regie: Miguel Sabido, 96 Minuten.
Die Company bereitet gerade einen zweiten Film in Purépecha, der Sprache in Michoacán vor. Ein dritter soll in Maya in Yucatán gedreht werden.