Film | Nummer 394 - April 2007

Der hohe Preis der Billigwaren

Der Kleiderhaken dokumentiert die Schattenseiten des Freihandels

In den Niedriglohnfabriken der Textilbranche werden nicht nur die Arbeits- und Menschenrechte der ArbeiterInnen, sondern auch die Gesetze des Umweltschutzes mißachtet. Die FilmemacherInnen Dorit Siemers und Heiko Thiele vom Verein Zwischenzeit e.V. dokumentieren dies in ihrem neuen Film Der Kleiderhaken – Die Schattenseiten des Freihandels in der globalen Bekleidungsindustrie am Beispiel der Stadt San Pedro Sula in Honduras.

Claudia Hoffmann

Der Ruf nach günstiger Kleidung wird immer lauter. In der deutschen Textil- und Bekleidungsindustrie müssen die Unternehmen, wenn sie der Konkurrenz standhalten wollen, ihre Waren zu immer niedrigeren Preisen anbieten. Um Kosten zu reduzieren werden die einzelnen Produktionsschritte deshalb nicht mehr im Inland ausgeführt, sondern über den ganzen Globus verteilt. In Honduras beispielsweise werden in den so genannten maquiladoras, den Weltmarktfabriken, Textilien für den deutschen Ladentisch hergestellt, die Discounter hierzulande für wenig Geld anbieten. Aber auch Markenunternehmen wie Puma, Levi’s oder Adidas nutzen die Produktionsvorteile der steuer- und zollbefreiten Industriezonen Mittelamerikas.
Durch Freihandelsabkommen wird der globale Warenverkehr beschleunigt. Die Öffnung der Märkte bedeutet aber gleichzeitig das Aus für viele Landwirtschaftszweige der mittelamerikanischen Länder und für wichtige Bereiche der heimischen Industrie. Abhilfe sollen hier die sogenannten „Entwicklungsprojekte” im Zuge des Plan Puebla-Panamá (PPP) in Mittelamerika schaffen. Der PPP umfasst vorwiegend Infrastrukturprojekte der gesamten Region vom Staat Puebla in Mexiko bis zur Republik Panama. Die Staatsoberhäupter der beteiligten Länder sehen im PPP die Gelegenheit, eine Infrastruktur für Großunternehmen zu schaffen, die diesen eine erfolgreiche, wettbewerbsfähige Weltmarktintegration ermöglicht. Die Regierungen bezeichnen den PPP als eine „Chance”, dass möglichst viele ländliche KleinproduzentInnen in den maquiladoras Arbeit finden könnten.
Im Zuge des PPP hat die Zahl der maquiladoras in Honduras in den letzten Jahren stark zugenommen. Derzeit sind rund 120.000 Menschen in den Niedriglohnfabriken tätig. Die BetreiberInnen der Werke preisen die maquiladoras in Werbespots als wichtige Voraussetzung für die Verbesserung der Lebensverhältnisse und den Fortschritt des Landes an.
Lokale Medien informieren nur einseitig über den Wirtschaftszweig, denn die BesitzerInnen der Fertigungsanlagen kontrollieren auch Radio und Fernsehen. Die Niedriglohnfabriken treten in der Presse stets als Möglichkeit für die Entwicklung des Landes auf. Kritik an ihnen wird von UnternehmerInnen und Regierung dagegen als Gefährdung des honduranischen Standorts verstanden. Die Schattenseiten des Arbeitsalltags in den maquiladoras werden in der Öffentlichkeit konsequent verschwiegen. Diese reichen von niedrigen Löhnen bei miserablen Arbeitsbedingungen über fristlose Kündigungen, Zerschlagung von Gewerkschaften, bis hin zu (sexuellen) Übergriffen auf die Arbeiterinnen. Auch Einschüchterung, Verfolgung und sogar Ermordung von AktivistInnen, die sich gegen die Zustände in den Produktionsstätten auflehnen, sind keine Seltenheit.
In den Niedriglohnfabriken werden fundamentale Arbeits- und Menschenrechte wie das der Gewerkschaftsbildung, das Streikrecht und das Anrecht auf einen 8-Stunden-Tag missachtet. Diese Rechtsverletzungen werden aber nur in den seltensten Fällen festgestellt, weil die Kontrollen durch den Staat als angemeldete Prüfungen stattfinden und die BetreiberInnen der maquiladoras so genug Zeit haben, Missstände rechtzeitig zu beseitigen. Nicht selten werden die Vorwürfe der AktivistInnen von Seiten der FabrikleiterInnen und der Regierung als Verleumdungen abgetan.

Asthma und Umweltverschmutzung

Auch auf die Gesundheit der ArbeiterInnen wird in den maquiladoras meist keine Rücksicht genommen. Durch die jahrelange Arbeit in den Fabriken gelangen Baumwollpartikel in die Lunge und können Beschwerden wie Asthma, chronische Grippe, Allergien und Hautkrankheiten auslösen. Die gesundheitlichen Auswirkungen der schweren Arbeit werden allerdings nur in den seltensten Fällen als solche anerkannt, beziehen doch die Betriebsärzte ihr Gehalt von den BetreiberInnen der maquiladoras und diagnostizieren Krankheiten deshalb nur selten.
Aber nicht nur die ArbeiterInnen tragen Folgeschäden der Arbeitsweise in den Niedriglohnfabriken davon – auch die Umwelt. Denn Umweltschutz existiert für die Unternehmen nur auf dem Papier. Alles andere wäre zu teuer. Ungehindert leiten sie ihre giftigen Chemikalien in die Flüsse und verseuchen damit Boden und Grundwasser.
Vor allem durch den Eintritt Chinas in die Welthandelsorganisation kam es auch in Mittelamerika zu einem Konkurrenzkampf der Unternehmen. Die BetreiberInnen der maquiladoras unterbieten sich gegenseitig in Arbeits- und Umweltauflagen und in den Produktionskosten, um Aufträge von ausländischen Konzernen zu erhalten. Dies geht auf Kosten von Gehältern, Arbeitsrecht und Natur. Sind den Firmen die Produktionskosten trotzdem noch zu hoch, schließen sie Standorte und nehmen an anderer Stelle die Produktion wieder auf oder wandern in (noch) günstigere Produktionsländer ab. Die Folge für die Beschäftigten in Honduras sind nicht ausgezahlte Löhne und Verschuldung. Ein menschenwürdiges Leben ist für die ArbeiterInnen der Niedriglohnfabriken kaum möglich, denn die Gehälter reichen kaum zum Überleben. Die Verbesserung der Lebensbedingungen, die von der Regierung stets als Vorteil der Niedriglohnfabriken angepriesen wurde, bleibt aus. Die großen GewinnerInnen der Bekleidungsindustrie in Mittelamerika sind die ausländischen AuftraggeberInnen und die BetreiberInnen der maquiladoras.
Der Kleiderhaken ist nach Der Garnelenring und Land unter Strom der dritte Film einer vierteiligen Dokumentationsreihe über die geplanten und existierenden „Entwicklungsprojekte” des PPP. Heiko Thiele und Dorit Siemers ist es gelungen, die teilweise sehr komplexen Zusammenhänge anschaulich wiederzugeben. Anhand von Landkarten erklären sie Fakten und lassen sowohl BefürworterInnen als auch GegnerInnen und Opfer der maquiladoras zu Wort kommen. Mit der Schilderung von Einzelschicksalen betritt der Film auch eine persönliche Ebene und gibt den ZuschauerInnen Einblick in die Lebenssituation der (ehemaligen) ArbeiterInnen. Die Darstellung von Betrieben und Organisationen sowohl in Deutschland als auch in Mittelamerika veranschaulicht die Auswirkungen der globalen Wirtschaftsverschiebungen. Die Kombination aus faktenreichen Informationen und einer persönlichen Darstellung der Betroffenen und ihrer Widerstandsformen machen diese Dokumentation äußerst sehenswert.

Infos und Bestellung der DVD:
Zwischenzeit Münster e.V.
Der Kleiderhaken
www.zwischenzeit-muenster.de

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