Argentinien | Nummer 337/338 - Juli/August 2002

Der IWF – Rettungsanker oder Sargnagel?

Über das bange Hoffen und die verschärfte Gangart der Regierung

Argentinien übt sich in der Quadratur des Kreises. Während der IWF das Ende der Einfrierung der Sparkonten fordert, ist die Regierung Duhalde inzwischen so weit, dass sie zur Eindämmung des sozialen Konflikts gezielte Repressionen einsetzt.

Gianni Bisaccia

Der Forderung des IWF, den Bankkunden Zugang zu ihren Konten zu verschaffen, konnte bisher wegen mangelnder Liquidität nur zu staatlich festgelegten Höchstgrenzen entsprochen werden. Chris Struble, der Vize des US-State Departments für inneramerikanische Beziehungen, schließt nicht aus, dass es dadurch zu einem politischen Kollaps mit ungewissen Folgen kommen kann. Am Tag der Ehrung der Gefallenen des Malvinen-Krieges in Campo de Mayo schloss hingegen der Chef des Heeres Ricardo Brinzoni einen militärischen Schlag in Zusammenarbeit mit zivilen Kräften definitiv aus. Brinzoni betonte, dass das Militär sich der Politik unterordne und dies der beste Dienst für das Vaterland sei. Allerdings weisen jüngste Äußerungen des Gouverneurs der Provinz Buenos Aires, Carlos Ruckauf, in eine andere Richtung: In einem Interview brüstete er sich, 1975 als Mitglied der Regierung Isabel Peróns ein Gesetz vorbereitet zu haben, dass es den Militärs ermöglichte, in der Provinz Tucumán zu intervenieren. Ein Jahr später putschte General Videla, der Leiter dieses Militäreinsatzes. Ruckauf schlug auch für die „Befriedung“ des aktuellen sozialen Konfliktes einen Einsatz des Militärs vor. Die Ankündigungen, auch von Teilen der Bundesregierung, gegen die Demonstrationen der militanten Arbeitslosen, den piqueteros, härter vorzugehen, haben sich inzwischen im Verhalten der Sicherheitskräfte niedergeschlagen. Ende Juni kamen zwei junge Arbeitslose bei Auseinandersetzungen mit Beamten der Provinzpolizei unter noch ungeklärten Umständen ums Leben. Wie Fotos eines Fotografen der Tageszeitung Clarín jedoch nahelegen, sind die beiden regelrecht exekutiert worden.
Angesichts der sich weiter verschärfenden Armut und den wiedererstarkten Protesten der BürgerInnen gegen die Regierung bleibt abzuwarten, ob sich der Präsident Duhalde noch bis zu den Wahlen im September 2003 im Amt halten kann. Die argentinische Regierung möchte bis Mitte Juli in Zusammenarbeit mit dem IWF eine Einigung erarbeiten, um Zugang zu Krediten zu erhalten.

Ende der „Politik der ruhigen Hand“?

Während der IWF sich mit konkreten Verhandlungen Zeit lässt, scheint die Luft in Argentinien immer dünner zu werden. Wenigstens Wirtschaftsminister Lavagna ist guter Dinge, da nach ersten Vorverhandlungen in Buenos Aires eine Einigung bis zum 15. Juli möglich erscheint. In den letzten zwei Monaten hatte die Vizepräsidentin des IWF Anne Krueger die Ansicht vertreten, dass die Wirtschaftskrise lediglich auf Argentinien beschränkt sei und daher den argentinischen Forderungen nach Krediten kaum Beachtung geschenkt.

Politik des Durchwurstelns

Die Tatsache, dass krisenhafte Erscheinungen nun auch die Nachbarländer Brasilien und Uruguay betreffen, hat zur Verhandlungsbereitschaft des IWF beigetragen. Vorbedingung für Verhandlungen war jedoch die Aufhebung eines Gesetzes, dass noch aus der Zeit der Militärdiktatur stammt. Es ahndet fahrlässig verursachte Unternehmenspleiten mit Freiheitsstrafen bis zu sechs Jahren. Nachdem Duhalde sich zunächst geweigert hatte, hat er nun nach starkem Druck des IWF, ein partielles Veto gegen dieses Gesetz eingelegt. Jetzt können Unternehmenspleiten nur bei nachweisbarem Vorsatz bestraft werden. Duhalde versucht nun, dieses partielle Veto dem politischen Gegner und den ArgentinierInnen als Teilerfolg gegenüber dem IWF zu verkaufen, da die Wiederaufnahme von Verhandlungen erreicht wurde. Die Politik des Durchwurstelns geht also weiter und zeigt die Schwierigkeit Duhaldes, das völlige soziale Chaos zu verhindern und gleichzeitig den IWF zu einer raschen Einigung zu bewegen.
Die Stützungskäufe der argentinischen Zentralbank, durch die der Fall des Peso gebremst werden soll, sorgen allerdings weiter für Verstimmung beim IWF. Während diese Interventionen die Zentralbank rund 200 Millionen US-Dollar in einer Woche gekostet haben und die Währungsreserven auf 9,7 Milliarden US-Dollar gesunken sind, verlangt der IWF die Einstellung von Stützungskäufen. Auch auf die Gefahr hin, dass dies möglicherweise in eine Hyperinflation führt und die Verarmung der Bevölkerung weiter verschärft. Das Misstrauen der Märkte in den Peso und die Finanzkrise Argentiniens steigern die Nachfrage der AnlegerInnen nach Dollars nach wie vor. Zu allem Überfluss ist der Präsident der Zentralbank, Mario Blejer, aus Protest gegen die versuchte Einflussnahme aus der Politik zurückgetreten. Schuld daran war die Ansicht Lavagnas, dass in Krisenzeiten das Wirtschaftsministerium und die Zentralbank enger zusammenarbeiten müssen. Lavagna erteilte öffentlich Ratschläge zur Währungspolitik und zur Stützung des öffentlichen Bankensystems. Neben Blejers Nachfolger Pignanelli werden nun Vertrauensleute von Lavagna wie Félix Antonio Camarassa und Jorge Levy als Direktoren der Zentralbank eingesetzt. Die Veränderungen werden als Politisierung der Zentralbank interpretiert.

Mögliches Ende des corralito

Beim Plan Bono zeichnet sich jedoch eine neue Möglichkeit ab. War der IWF zunächst darauf aus, die Guthaben in Staatsanleihen umzuwandeln, gibt es nun stattdessen die Möglichkeit, mit den so genannten bonos bestimmte Waren wie Autos, Maschinen oder Wohnungen zu kaufen. Für den Fall, dass sich 30 Prozent der Sparer für die bonos als Ersatzwährung und gegen eine befristete Einlage des Staates entscheiden, wären die Belastungen des Staates etwa zwei bis drei Milliarden Pesos, die über Zentralbankreserven finanziert werden müssten. Die Zinsen für die Anleihen sollen nach Möglichkeit über Steuereinnahmen finanziert werden. Sollten sich 60 bis 70 Prozent der Sparer für die bonos entscheiden, würde die Einlösung der Warentitel und die staatliche Hilfe für den Bankensektor zur Deckung der Zinsen bis zum Jahresende fünf Milliarden Pesos kosten. Sollte sich die Mehrheit der ArgentinierInnen für die Warenbonos entscheiden, würde dies den Spielraum der Wirtschaftspolitik einschränken.
Der Spagat Duhaldes, eine für die Sparer halbwegs akzeptable Lösung für die Aufhebung des corralito, die Einfrierung der Sparguthaben, zu finden und gleichzeitig den IWF bei Laune zu halten, könnte zu einem ungesunden politischen Ende des machtbewussten Präsidenten führen. Die argentinische Regierung hat jedenfalls angekündigt, dass ein Scheitern der Verhandlungen mit dem IWF bis Mitte Juli die Rückzahlung von Krediten völlig unmöglich machen würde. Werden keine gemeinsamen Lösungen für den corralito und die Haushalts- und Finanzpolitik erzielt, könnte die Krise angesichts sinkender Zentralbankreserven zur Stützung des Bankensystems eine neue Dimension erreichen.

KASTEN:
Klage gegen spanische Banken

Auf 75 Millionen US-Dollar belaufen sich zwei Güteanträge, die vor einigen Wochen in Spanien von mehreren tausend ArgentinierInnen eingereicht wurden. Wie der beauftragte Rechtsanwalt Iván Hernández berichtete, wurde eine der beiden Klagen, die sich gegen die spanische Bankengruppe Santander Central Hispano (SCH) richtet, mittlerweile von einem Gericht in Madrid zugelassen. Hinsichtlich der zweiten Klage gegen die Banco Bilbao Vizcaya Argentina (BBVA) sei noch abzuwarten, ob diese zugelassen oder aber abgelehnt werde, so Hernández. Das 67. Bezirksgericht von Madrid, hat nun für den 16. Juli ein Schlichtungsverfahren zwischen der Santander Central Hispano und den argentinischen KlägerInnen anberaumt. Die vom corralito betroffenen ArgentinierInnen verlangen die Rückerstattung ihrer Ersparnisse in der ursprünglichen Währung, also in US-Dollar, statt in argentinischen Pesos.
Derweil ließ die SCH verlauten, sie habe bislang noch keine Vorladung erhalten. Ferner wurde betont, dass man keine Veranlassung sehe, für die finanziellen Verpflichtungen der argentinischen Tochtergesellschaft aufzukommen, da diese als unabhängige Aktiengesellschaft tätig sei. Dem schloss sich ein Sprecher der BBVA an, der sagte, die argentinischen Zweigstellen arbeiteten gemäß der gültigen Rechtsvorschriften. Abgesehen davon seien es nicht die Finanzinstitutionen gewesen, die den corralito, der den ArgentinierInnen den Zugang zu ihren Bankguthaben nur unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt, ins Leben gerufen hätten.
Die internationalen Banken, allen voran die spanischen, waren in die Kritik geraten, nachdem bekannt wurde, dass die argentinischen Filialen ihre Gelder aus dem krisengeschüttelten südamerikanischen Land zu ihren Mutterhäusern nach Europa transferiert hatten. Der argentinische Staat soll jetzt sämtliche Bankschulden übernehmen, eine Last, zu der allein die spanischen Banken mit einem Verlust von 4,8 Milliarden US-Dollar beitrugen. Ines Hölter

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