Mexiko | Nummer 239 - Mai 1994

Der Kampf innerhalb des Kampfes

Interview mit den Kommandantinnen Ramona und Ana Maria – Delegierte des EZLN beim Dialog zwischen den Zapatistas und der Regierung in San Cristóbal, Chiapas

Ramona und Ana repräsentieren die Frauen der Stämme der Tzotzil, Tzeltales, Tojolabales und Choles. Ramona ist eine Tzotzil, lebt in ihrem Dorf und vertritt das Komitee der Frauen der indigenen Gemeinden. Ana, vom selben Stamm, nimmt seit 10 Jahren am bewaffneten Kampf teil. Sie ist Infanteriemayorin der Aufständischen und hat 1000 bewaffnete KämpferInnen unter ihrem Befehl. Sie lebt in den Bergen und repräsentiert die kämpfenden Frauen. Javier, ein anderer Delgierter des Geheimen Revolutionären Komitees der Indígenas (CCRI) übersetzt für Ramona, die kein Spanisch spricht. Zuerst mußten die Frauen mit den Traditionen ihrer Dörfer brechen, als sie sich dem EZLN an­schlossen. Dann sorgten sie für eine “Revolution innerhalb der Revolution”, als sie im EZLN kollektiv das “Recht der Frauen” beschlossen, das ihnen die­selben Rechte gibt wie den Männern (vgl. LN 238). Einige der Compañeros weigerten sich, das Gesetz zu akzeptieren. Doch die Frauen wehrten sich und setzten ihre Forderungen durch. Am 1. Januar wurde das “Recht der Frauen” verkündet und nach einer Umfrage in allen Dörfern nahm der CCRI das Gesetz am 8. März 1994 an. Dieser Tag war ein Festtag der Frauen: sie sangen, tanz­ten und schrien. Sie hatten ihren Kampf innerhalb des Kampfes gewonnen; es war ein Durchbruch, der das Leben aller verwandelte.

LN

Wie begann die Beteiligung der Frauen an der Bewegung der Zapatistas?
Ramona: Wir Frauen wurden nie berücksichtigt, nicht respektiert, unsere Forderungen nie ernst genommen. Trotzdem haben wir nicht aufgehört, Respekt, Gerechtigkeit und Demokratie zu fordern.
Als wir unsere Situation er­kannten und verändern wollten, betei­ligten wir uns am Kampf, einige mit der Waffe, die Mehr­heit in den Gemeinden. Wir brauchen z.B. spezielle Geburts­kliniken, doch wir wis­sen nicht, an wen wir uns wenden können. Es gibt keine Krankenhäuser, keine Ärzte, keine Bil­dung, keine Nahrungsmittel, kei­ne Straßen – überhaupt keine Hilfs­lei­stungen. Doch wir haben die Hoffnung nicht aufgegeben. Wir wollen in Würde leben. Das ist unsere Forderung und darum kämpfen wir.
Ana : Männer und Frauen kämpfen um ihr Land, das ist die Hauptforderung von uns allen. Die Frauen helfen den Männern, die Felder zu bestellen und den Kaffee zu ernten. Die Witwen müssen ihr Land allein bearbeiten. Gesetzlich haben die Frauen kein Recht, Land zu besitzen. Innerhalb unserer Organisation gibt es dieses Recht, und wir wollen, daß das anerkannt wird. Wir wollen Land besitzen, gutes Ackerland, nicht solche Steinhaufen, die wir jetzt bearbeiten.
Wie Ramona erzählt hat, wurden wir Frauen früher nicht ernst genommen. Es gibt eine jahrhunderte alte Unterdrückung aus Gewohnheit. Die Frauen durften noch nicht mal an den Versammlungen in den Gemeinden teilnehmen. Aber als die Dörfer sich nach und nach organisierten, wurde den Frauen klar, daß auch sie sich zusammenschließen müssen. Sie organi­sierten sich, lernten und nahmen an der Bewegung teil. Sie kämpften weiter und weiter, bis sie ein Revolutionäres Gesetz der Frau verlangten.

Wie leben die indigenen Frauen?
Ana: Die Frau hat keine Ruhe, sie arbeitet von früh bis spät. Auf dem Land steht sie morgens um drei Uhr auf, um das Frühstück für die Männer vorzubereiten. Sie braucht Holz für das Feuer, also geht sie und holt Holz, sie geht und holt Mais – immer mit dem Kind auf dem Rücken oder an der Brust. Sie kommt zurück und bereitet das Essen zu und kümmert sich um die Arbeiten im Haus. So verbringt sie den ganzen Tag, von Montag bis Sonntag. Die Männer können sich wenigstens am Sonntag ausruhen, Karten oder Basketball spielen, aber die Frauen nicht, sie arbeiten den ganzen Tag, die ganze Woche – ohne Pause. Sie haben keine Vergnügungen – nichts.
Ramona: Die Frau hat weniger Zugang zu Bildung und Vergnügungen. Von klein auf schleppen wir die Geschwister herum, helfen, den Mais zu mahlen, Tortillas zu machen, das Haus zu fegen oder zu waschen. Wenn die Mutter ihr Baby zu Hause lassen muß, muß die größere Schwester auf es aufpassen und kann nicht zur Schule gehen. So erging es mir auch.
Mit 13 oder 14 Jahren werden die Frauen gezwungen zu heiraten. Wenn in den indi­genen Gemeinden einem Jungen ein Mäd­chen gefällt, geht dieser nicht zu ihr, son­dern bringt dem Vater eine Flasche Schnaps oder etwas zu essen, und wenn der Vater annimmt, ist das Mädchen ver­kauft, gezwungen zu heiraten – gegen ih­ren Willen. Viele Frauen gehen heulend zum Haus des Bräutigams oder in die Kir­che. Deshalb haben wir im Gesetz der Frauen das Recht auf freie Partnerwahl beschlossen. Im Dorf kannst du mit nie­mandem zusammen sein, wenn du nicht verheiratet bist. Es ist eine Sünde, gegen den Brauch. Wenn es entdeckt wird, wer­den beide bestraft, ins Gefängnis gesteckt oder an die Pfosten des Basketballfeldes gebunden, bis die Gemeinschaft meint, sie wären genug bestraft.

Wie seid ihr zum EZLN gekommen?
Ramona: Ich kam zum bewaffneten Kampf, als ich mein Dorf verlassen muß­te, um in der Stadt Arbeit zu suchen. Ich erlebte die Diskriminierungen der Frauen vom Land. Die Menschen in den Städten respektieren die Indígenas nicht. Sie neh­men uns nicht ernst, wenn wir unsere Pro­dukte verkaufen, sie bezahlen uns nicht gut – wir verschenken unsere Sachen fast. Wir können uns in der Stadt nicht frei be­wegen, werden verachtet und übergangen. Dadurch wurde mir vieles bewußt; mir wurde klar, daß wir uns organisieren müssen.
Ana: Das ist eine lange Geschichte. Meine Eltern waren organisiert und nahmen uns Kinder mit zu ihren Versammlungen und zu Demonstrationen. So begann ich schon mit acht Jahren Erfahrungen zu sammeln und ein politisches Bewußtsein zu entwickeln. Als die Menschen merkten, daß sie jahrelang gekämpft und nichts erreicht hatten, daß die Regierung nicht auf ihre Forderungen reagierte, begannen sie, den bewaffneten Kampf vor­zu­bereiten.
Während der friedlichen Kämpfe besetz­ten sie Ländereien – es kamen die Solda­ten und räumten sie mit Gewalt, mit Schlägen, Folter und Unterdrückung. Nach der gesamten Repression, sagten wir uns: “Wir müssen uns bewaffnen, wir müssen uns verteidigen! Wenn die Re­gierung keine friedliche Lösung will, dann eben eine gewalttätige.”
Ich kam sehr jung, mit 14 Jahren, zum EZLN. Einige Compañeros lehrten uns le­sen und schreiben, bildeten uns in Kampf­techniken aus. Später unterrichteten sie uns in Politik. Zu Beginn, vor zehn Jah­ren, waren wir zwei Frauen im EZLN, ei­ner damals noch kleinen Gruppe von acht bis zehn Leuten. Mit der Zeit füllten sich die Reihen, wir konnten eine Kompanie bilden, dann ein Bataillon, ein Regiment usw. Als wir stark genug waren, beschloß die Bevölkerung, den bewaffneten Kampf zu beginnen. Andere Frauen, die uns im EZLN sahen, lernten ihre Töchter, Schwe­stern, Enkelinnen an und sagten ihnen: “Nehmt eine Waffe und geht kämpfen!” Heute sind wir ungefähr 20 bis 30 Prozent Frauen im EZLN. Wir verrichten die glei­che Arbeit wie die Männer, militärisch und politisch.

Du bist Aufständische und Ramonas politische Vertreterin. Was ist der Unterschied?
Ana: Es gibt keinen Unterschied. Wir kämpfen für die gleiche Sache, sind Teil des EZLN: Nur daß eine Aufständische (“Insurgente”) ihre Familie verläßt, nicht mehr mit ihnen lebt und ihr auch nicht bei der Arbeit helfen kann.

Wie entstand der “Kampf innerhalb des Kampfes”?
Ramona: Als wir merkten, daß wir Frauen in den Versammlungen und Plenas nicht ernstgenommen wurden, nicht wirklich teilnehmen durften, dachte ich:” Was kann ich tun?” Wir organisierten uns, benannten Vertreterinnen und kamen mit der Frauenarbeit gut voran. Ich wurde zur Vertreterin im Geheimen Revolutionären Kommitee der Indígenas ernannt. Meine Arbeit besteht darin, die Nachrichten der Organisation den Frauen meiner Sprache mitzuteilen.
Ana: Es gibt Dinge, die wir brauchen, die den Männern einfach nicht einfallen, weil sie nur ihre Situation sehen und nicht nach der Meinung der Frau fragen. So ent­standen unsere Forderungen. Zum Bei­spiel nach speziellen Schulen, in denen auch ältere Frauen lesen und schreiben lernen können. Wir fordern ein Geburts­haus und Gynäkologen. Zu Hause liegt das Neugeborene auf dem Boden im Staub. Die Nabelschnur wird mit der Ma­chete, die der Mann zur Arbeit benutzt, durchtrennt. Es gibt keine ausreichende Gesundheitsversorgung für Frauen und Kinder. Wir brauchen Werkstätten und Maschinen, um den Frauen die Hand­arbeit, ihre Stickereien, zu erleichtern und einen eigenen Markt, auf dem sie ihre Handarbeiten verkaufen können. Die Besitzer der Kunsthandwerksläden in den Städten zahlen sehr schlecht. Die indi­genen Frauen werden stark mißhandelt. Weitere Forderungen sind Kindergärten, Vorschulen und Nahrungsmittel für die am Hunger sterbenden Kinder.
In den Gemeinden arbeiten wir daran, gleichberechtigte Strukturen für Männer und Frauen zu schaffen. Anfangs kamen nur Männer in die Versammlungen und Studienzirkel. Die Frauen beschwerten sich, die Männer können lernen, warum wir nicht? Warum gehen nur die Männer trainieren? Wir wollen auch kämpfen lernen! Inzwischen beteiligen sich viele “milicianas”, die in ihren Dörfern leben, am bewaffneten Kampf, wenn sie ge­braucht werden.

Wie ist die Liebe unter den “Insurgentes”?
Ana: Wir praktizieren gleichberechtigte Beziehungen. Wenn eine Frau heiraten möchte, weil ihr ein Compañero gefällt, muß sie den/die Vorgesetzte/n um Erlaubnis bitten. Die Männer müssen das genauso. Es gibt die Möglichkeit, sich eine Weile kennenzulernen, zusammen­zusein, und – wenn man dann noch will- anschließend zu heiraten. Alle kommen zusammen und der/die BefehlshaberIn gibt bekannt, wer heiraten möchte. In­nerhalb des EZLN gibt es verschiedene Heiratszeremonien. Wenn das Paar eine Heiratsurkunde möchte, wird diese von der/dem Vorgesetzten ausgestellt. An­sonsten bitten die beiden um die Er­laub­nis, zusammensein zu dürfen, dies nennen wir Vereinigung (unión). Religiöse Paare können auch vor dem Traualtar heiraten.
Wir “Insurgentes” können keine Kinder bekommen, weil wir immer in Bewegung sind und das Leben eines Kindes in den Bergen nicht aufs Spiel setzen können. Wenn eine Compañera ein Kind möchte, geht sie zu ihrer Familie. Und wenn sie wieder weiterkämpfen will, läßt sie das Kind dort.

Was sind die Aufgaben der Frauen innerhalb des EZLN?
Ana: Eine wichtige Rolle spielte immer die Arbeit der Frauen für die Sicherheit. Wir haben ein Kommunikationsnetz und in jedem Dorf Stützpunkte. Die Frauen in den Dörfern bedienen die Radios und geben Bescheid, wenn die Soldaten kom­men oder eine andere Gefahr besteht. Dies war auch ihre Aufgabe, als wir die Städte angegriffen haben.
In jedem Dorf bilden wir Frauengruppen und organisieren Gemeinschaftsarbeiten. Frauen, die lesen und schreiben können, bringen es den anderen bei. Die Arbeit in den Dörfern wird vor allem von ver­hei­rateten Frauen mit Kindern geleistet, die nicht am bewaffneten Kampf teilnehmen können. Sie kümmern sich darum, daß die KämpferInnen in den Bergen Essen ha­ben, bereiten Tortillas, Pinole und Pozol zu, bauen Gemüse an und bringen die Sachen in die Zeltlager. Wir jungen Frau­en kämpfen und die alten passen auf die Kinder auf.
Alles, was wir für die Armee brauchen, stellen wir selbst her. Wir haben Schneidereien und Waffenschmieden, in denen auch Frauen arbeiten und Waffen­teile bauen oder kleine Bomben, um sich zu verteidigen. Jede/r kann diese Arbeit machen. Es gibt keinen Unterschied. Zum Beispiel kochen an einem Tag die Männer und am nächsten die Frauen.

Wie denkt Ihr über den Tod?
Ramona: Wenn es schon notwendig ist zu sterben, ist es besser kämpfend zu sterben, für eine gerechte Sache, für das Wohl meines Volkes. Weil es scheinbar keine andere Möglichkeit gibt, Gerechtigkeit zu finden. Ich bin bereit, den Kampf fort­zuführen.
Ana: Ich weiß nicht, was ich antworten soll. Ich spüre nichts bei der Vorstellung tot zu sein. Vielleicht, weil wir eh nie existiert haben oder ernstgenommen wur­den. Als wir friedlich kämpften, gab es schon viele Tote in den Dörfern. Viele Indígenas sterben an Hunger und Krank­heit. Es ist, als wäre schon immer Krieg, weil es schon immer viele Tote gab. Jetzt sterben wir, weil sie uns töten….
Wir Frauen sind von unserem Kampf überzeugt, und die Vorstellung zu sterben, schmerzt uns nicht. Viel schmerzlicher ist es, die Kinder an heilbaren Krankheiten (Cholera, Masern, Tetanus…) sterben zu sehen, von denen die Regierung be­haup­tet, sie existierten nicht.
Zwei Mädchen starben in meinen Armen, weil wir nichts tun konnten. Zuerst starb ihre Mutter, und wir hatten nichts zu essen für sie – sie starben. So wie diese Kinder sind tausende Kinder an Hunger oder Krankheit gestorben. Das ist nicht gerecht. Während der Zeit der friedlichen Kämpfe sind viele, sehr viele Kinder gestorben. Bei jeder Krankheitswelle wurden unzählige dahingerafft. Deshalb widmen wir uns nun dem bewaffneten Kampf.

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