Der neoliberale Frieden
Zur Wirtschaftsentwicklung El Salvadors in der Nachkriegszeit
Die Modernisierung, die der Frieden El Salvador gebracht hat, ist greifbar. Mexikanisches Toastbrot der Marke „Pan Bimbo“ und Fernsehfutter von Nabisco bekommt man heute im entlegensten Laden des Landes. Natürlich auch in den Tankstellen-Shops von Esso, Texaco oder Shell, die die ganze Nacht geöffnet haben. In San Salvador steigt, wer des legendären Sheratons überdrüssig ist, im Princess ab, an dem die unter anderem mit der Toyota-Konzession reich gewordene Familie Poma beteiligt ist. Und wer sich neu einkleiden will, kann seine Marke in einer Boutique in den Galerias am schon immer reichen Paseo Escalón kaufen, dem Einkaufszentrum der Simáns, die ähnlich wie die Pomas während des Krieges aus dem Mittelfeld in die Spitzengruppe der Reichen aufgestiegen sind – oder alternativ im Second-Hand-Geschäft, wo die in den salvadorianischen Maquilas „lohnveredelte“ Konfektion nach einem kurzen Ausflug in die USA landet.
Die Kriegswirtschaft
Aufgrund der mittelamerikanischen Kriege in den 80er Jahren hat sich der neoklassische Wirtschaftsliberalismus in El Salvador erst etwas später breit gemacht als anderswo in Lateinamerika. Seine Zeit begann etwas mehr als zwei Jahre vor dem Friedensschluss von 1992 mit dem Wahlsieg der ARENA-Partei unter Cristiani und der allmählichen Rückkehr der internationalen Finanzinstitutionen. Während des Krieges gab es nur einen Weltbankkredit für den Wiederaufbau nach dem Erdbeben von 1986 und ein paar IWF-Standby-Kredite für die Übergangsregierung von 1982/83. USAID übernahm stattdessen die Rolle, von außen die strukturellen Veränderungen im Sinne der Reaganomics anzustoßen, allerdings mit den entsprechenden Anpassungen an die Bedingungen der Aufstandsbekämpfung. Deshalb wurde in einer ersten Phase die Rolle des Staates gestärkt, indem die Agrarreform-Behörde gefördert und die Verstaatlichung der Banken zugelassen wurde.
Erst Mitte der 80er Jahre leitete die US-Entwicklungspolitik die Umstrukturierung der Wirtschaft ein. Mit Wirtschafts- und Militärhilfe im Umfang von circa drei Milliarden Dollar wurde nicht nur Krieg geführt und regiert, sondern unter anderem auch die Unternehmer-Stiftung FUSADES, ein Think-Tank und eine der renommiertesten NGOs des Landes, aufgebaut. Das Wirtschaftsprogramm von FUSADES wurde von Cristiani in sein Wahlprogramm übernommen und, nachdem er Präsident geworden war, ab Juni 1989 in seinem Plan de Desarrollo Económico y Social konsequent umgesetzt: Damals wurden die VerbraucherInnenpreise teilweise liberalisiert, die Strom-, Wasser- und Transportpreise erhöht und die ersten Zollsenkungen vorgenommen.
Frieden und wirtschaftlicher Neubeginn
IWF und Weltbank schickten ihre ersten Friedensmissionen nach El Salvador, deren Aktivitäten von der November-Offensive der FMLN im Jahre 1989 kurz unterbrochen wurden. Ein Jahr später – inzwischen waren die Banken und der Außenhandel bereits reprivatisiert und die Friedensverhandlungen hatten begonnen – wurde die erste Vereinbarung mit dem IWF getroffen. Die US-Regierung erließ El Salvador 1992 nach Abschluss der Friedensverträge 460 Millionen Dollar Schulden.
Insgesamt haben die FMLN-Offensive, die eine Verlängerung des Low Intensity War auf unbestimmte Zeit in Aussicht stellte, der Fall der Berliner Mauer und das US-Interesse an einer neoliberalen Stabilisierung der lateinamerikanischen Volkswirtschaften die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die Regierung Cristiani einerseits ernsthafte Friedensverhandlungen aufnahm und andererseits die neoliberale Anpassung einleitete und vorantrieb. Das spiegelt sich auch in den Friedensverträgen wieder.
In dem zuletzt ausgehandelten Kapitel über wirtschaftliche und soziale Fragen wird ausdrücklich fest gehalten, dass der Plan de Desarrollo Económico y Social von den Friedensvereinbarungen nicht berührt sein soll. Dortselbst wird vermerkt, dass die FMLN dazu eine andere Meinung hat, und eingeräumt, dass die Strukturanpassung mit sozialen Kompensationsmaßnahmen abgefedert werden soll. Ebenso vorbereitet war der Plan de Reconstrucción Nacional (PRN), mit dem die Cristiani-Regierung in die von der Weltbank ausgerichtete Geberkonferenz im März 1992 ging. Dort wurde die FMLN in erpresserischer Weise vor die Alternative gestellt, entweder den PRN mit unwesentlichen Modifikationen zu akzeptieren, oder dafür verantwortlich zu sein, dass das Land keine Mittel zugesagt bekommt. Auch eine Landbank, eine Institution für die markt-orientierte Landreform wie sie die Weltbank betreibt, war längst ins Leben gerufen, als die FMLN in die Detail-Verhandlungen über das in den Friedensverträgen vereinbarte Landübertragungsprogramm trat. Zu diesem Zeitpunkt konnte sie schon nichts mehr ändern, weil sie selbst im Landkapitel der Friedensverträge zugestimmt hatte, dass Alteigentümer keineswegs verkaufen müssen, sondern ein Verkauf ganz im Geiste eines freien Bodenmarktes dem ebenso freien (Unternehmer-)Willen überlassen bleibt. Im übrigen wurden die Begünstigten der Landübertragungen zuerst mit einem chaotischen Förderprogramm in die Schuldenfalle getrieben und erst nach einer weiteren Parzellierung des Landes wieder aus dieser herausgeholt.
Während die Weltbank zwischen 1991 und 1995 ihr Engagement in El Salvador von Null auf über 300 Millionen Dollar hochfuhr und ihre Regionaltochter, die Interamerikanische Entwicklungsbank BID, das ihre auf über eine Milliarde Dollar mehr als verdreifachte, gab die Entwicklungsorganisation der Vereinten Nationen UNDP eine Studie in Auftrag, die den von Anfang an herrschenden Widerspruch zwischen Friedens- und Strukturanpassungsprozess thematisierte. Unter dem Titel „Adjustment Toward Peace“ widerlegten bekannte Wissenschaftler in der 1995 veröffentlichten Studie die im Vorspann des Wirtschafts- und Sozialkapitels der Friedensverträge unterstellte Behauptung, dass ein erfolgreicher Friedensprozess sich nicht in die Wirtschaftspolitik einmischen darf. Im Gegenteil: Nur wenn der Friedensprozess die Wirtschaftspolitik neu gestalten dürfe, würden beide erfolgreich sein, so die Autoren.
Als die Studie in den Schubladen verschwand, waren die Weichen längst gestellt. Mit der Reprivatisierung des Außenhandels bekamen die Kaffeebarone wieder die volle Kontrolle über die vor Ort stattfindende Wertschöpfung. Obendrein wurden die Kaffeeexportsteuer abgeschafft und immer wieder, zuletzt nach den Erdbeben von 2001, Stützungsprogramme für diesen Sektor aufgelegt.
Die Maquila El Salvador
Außerdem hat sich El Salvador in 10 Jahren zum zweitwichtigsten Maquila-Standort nach Honduras in der Region gemausert. Auch die dritte ARENA-Regierung in Folge versäumt keine Gelegenheit, auf die vielen, vielen Arbeitsplätze hinzuweisen, die damit geschaffen wurden und darauf, dass der Export von aus Maquiladoras stammender Konfektion inzwischen die zweitwichtigste Deviseneinnahmequelle ist. Nach den remesas, den Überweisungen des vor allem in den USA lebenden Viertels der salvadorianischen Bevölkerung. Bei der Präsentation der stolzen Exportergebnisse wird allerdings unterschlagen, dass den Maquila-Exporten erhebliche Importe von Vorleistungen gegenüberstehen: Während die Maquila-relevanten Exporte im Jahre 2000 1,6 Milliarden Dollar ausmachten, betrugen die entsprechenden Importe im selben Jahr 1,15 Milliarden Dollar. Zudem verschwand letztes Jahr eine Studie des Arbeitsministeriums aus der Öffentlichkeit, die detailliert beschreibt, wie in den überprüften Weltmarktfabriken jedes nationale Arbeitsrecht mit Füßen getreten wird – ganz zu schweigen von den Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), von denen El Salvador einige bis heute nicht unterzeichnet hat. Um diese Konventionen gab es bald nach Kriegsende einige Monate lang Auseinandersetzungen im „Forum für wirtschaftliche und soziale Konzertierung“, einer weiteren „Errungenschaft“ der Friedensverträge, die bald darauf sang- und klanglos entschlief. Wer gegen die üblen Arbeitsbedingungen in den Maquiladoras aufmuckt, wird als übleR VaterlandsverräterIn im Solde der US-Gewerkschaften niedergeschrieen.
Der Wahlkampfslogan des zweiten ARENA-Präsidenten Calderón Sol war sogar, aus ganz El Salvador eine Maquila zu machen. Dazu schuf die Banken-Reprivatisierung die Grundlage für den zweiten Boom-Sektor, die Finanzdienstleistungen. Die Banken-Privatisierung wurde für jene in der ARENA-Partei, die mit deren Vorbereitung beschäftigt waren, ein Schnäppchen. Die Regierung des Geschäftsfreundes Cristiani, der sich selber auch nicht scheute, zuzugreifen, übernahm Schulden in Höhe von schätzungsweise 400 Millionen Dollar. Die Details des damaligen Banken-Coups werden bis heute unter Verschluss gehalten. Gleichzeitig belebten die Einführung eines festen Wechselkurses im Jahre 1993 und Mechanismen zur Erfassung der remesas das Bankengeschäft.
Größte Bank im Land ist die Banco Agrícola Comercial, deren Hauptaktionär Archie Baldochi Dueñas ist. Die Dueñas waren bis in die 70er Jahre derart mächtige Kaffeebarone, dass einige ihrer Plantagen unter die 1.Phase der Agrarreform (privates Grundeigentum über 500 ha) fielen. Archie hat diese und andere Scharten ausgewetzt und ist im Laufe der Friedensjahre ein so erfolgreicher Geschäftsmann geworden, dass ihn der Nationale Exekutivrat der ARENA-Partei vor kurzem zum Vizepräsidenten für Organisationsfragen gewählt hat. Präsident des Exekutivrats ist Boby Murray Meza, ebenfalls ein moderner Unternehmer, dessen Erfolg den Pragmatismus der Neoliberalen illustriert, stammt doch seine Fortune aus der einzigen Brauerei und Softdrink-Firma des Landes, La Constancia, deren Monopol der Meza-Familie in freilich anderem Sinne einen „vollkommenen Markt“ schenkt.
Der Beginn eines wunderbaren Aufschwungs
Einen sagenhaften Aufschwung erlebte auch die Fluggesellschaft TACA, deren Hauptaktionäre die schon erwähnten Poma und Baldochi Dueñas sind. Sie nimmt inzwischen eine regionale Monopolstellung ein und ist vor allem ein Nutznießer der massiven Migration. Ohne die Migration, und damit ohne die remesas, die auch nach dem Krieg kontinuierlich auf mittlerweile 1,7 Milliarden Dollar geklettert sind, wäre der Wirtschaftsboom nach dem Krieg nicht denkbar gewesen, hätte die Inflation nicht auf international akzeptiertem Niveau, nämlich auf rund vier Prozent, gehalten werden können. Vor allem aber hätten sich die diversen ARENA-Friedensregierungen ohne diese Deviseneinnahmen nicht ein ständig wachsendes Handelsbilanzdefizit leisten können, das im Jahre 2000 bereits 1,7 Milliarden Dollar betrug. Sie hätten die Nationalwährung Colón abwerten müssen. Damit wäre aber auch das internationale Image El Salvadors angekratzt worden, dessen mit dem neoliberalen Friedensprozess erreichte Prosperität mit Wachstumsraten von sechs bis neun Prozent in den Jahren 1992 bis 1995 erwiesen schien. So wollte die Flores-Regierung auch nach dem Wirbelsturm Mitch 1998 und den Erdbeben 2001 keine Schuldenerleichterung, obwohl die Auslandsschulden im Jahr 2000 bereits zehn Prozent der Exporte ausmachte.
Die zum 1.Januar 2001 in Gang gesetzte Dollarisierung hat die Überbewertung des Colón festgeklopft. Der Kurs wurde bei 8,75 Colones für einen US-Dollar fixiert, was dem Wechselkurs der vorangegangenen sieben Jahre entspricht. Damit ist dem neoliberalen Tabu „Unter keinen Umständen eine Abwertung“ Genüge getan. Für die vage Aussicht, die Dollarisierung würde zu einer Senkung des Zinsniveaus auf das US-amerikanische Niveau und damit zu mehr Investitionen, Konsum und Wachstum führen, wurde eine eigenständige Währungspolitik aufgegeben, mit der eine Regierung rezessive Einflüsse von außen, wie sie jetzt massiv aus USA kommen, per Abwertung abfedern kann. Da der Wechselkurs bereits weitgehend fixiert und die Inflation in all den Jahren niedrig war, entbehrt die Dollarisierung jeder sachlichen Begründung und entlarvt sich als politisches Manöver, mit dem Präsident Flores von seiner ansonsten erfolglosen Wirtschaftspolitik ablenken wollte. Das Ziel, eine Abwertung zu vermeiden, kommt einem anderen, nämlich die Exporte im Rahmen der selektiven Weltmarktintegration zu steigern, in die Quere. Denn mit der Dollarisierung werden die salvadorianischen Exporte relativ teuer.
In einem anderen Sinn gelingt die selektive Weltmarktintegration vor allem mit nicht-traditionellen Exporten (überwiegend Maquila-Produkte) von mal zu mal besser: immer mehr SalvadorianerInnen machen sich auf den teuren und gefährlichen klandestinen Weg in den Norden. El Salvador ist seit der politischen Unabhängigkeit Anfang des 19.Jahrhunderts ein Auswanderungsland gewesen, aber so richtig zugenommen hat die Abwanderung erst während des Krieges. In den 80er Jahren brach die Beschäftigung bei den Erntearbeiten ein, die realen LandarbeiterInnenlöhne und die Erzeugerpreise für Grundnahrungsmittel sanken. Dieser Einbruch war so schwer wiegend, dass er neben dem Krieg die wohl wichtigste Ursache für die massive Abwanderung der ländlichen Bevölkerung in die Städte und ins Ausland war.
Die Bourgeoisie, die schon immer fand, dass in El Salvador zu viele Hungerleider leben, hat das nicht geschert. Sie hat es verstanden, die historische Grundlage ihres Reichtums, den Landbesitz, halbwegs unbeschadet durch Krieg und Frieden zu bringen. Dazu hat sie mit Hilfe von USAID und den Internationalen Finanzinstitutionen ein neues Akkumulationsmodell errichtet, das auf nicht-traditionelle Exporte, auf Tourismus, Bauwirtschaft, Handel, Import, Transport und Telekommunikation setzt. In diesen Bereichen waren die Zuwachsraten im Jahr 2000 traumhaft, während die Landwirtschaft in der Rezession steckt.