Kolumbien | Nummer 318 - Dezember 2000

„Der Plan Colombia bedeutet für uns mehr Armut“

Delegierte fordern Dialog und soziale Verbesserungen statt Militarisierung

Manuel Sisco und Marciana Quirá sind Delegierte des CRIC (Rat der Indígenas in der Region Cau-ca). Der CRIC repräsentiert rund 90 Prozent der indigenen Gemeinden im Departement Cauca im Südosten Kolumbiens. Sie absolvierten auf Einladung der Gesellschaft für bedrohte Völker eine mehrwöchige Europareise, um für die Einhaltung der fundamentalen Rechte der kolumbianischen Bevölkerung generell und speziell die der Indígenas um Unterstützung zu suchen.

Martin Ling

Wie beurteilen Sie den Plan Colombia?

Manuel Sisco: Generell denken wir nicht, dass der Plan Colombia ein Weg sein kann, eine alternative Entwicklung zu fördern. Darüber hinaus halten wir ihn für verfassungswidrig, da er zu großen Teilen in den Vereinigten Staaten ausgearbeitet wurde. Wir gehen davon aus, dass die USA sich mit dem Plan direkten Zugang zu Kolumbien verschaffen wollen, um dort ihre Mega-Projekte durchzuführen.

Eines der vorrangigen Ziele des Planes ist die Vernichtung der Kokaplantagen durch Besprühen mit giftigen Chemikalien und durch Niederbrennen, was schon in den vergangenen Jahren praktiziert wurde. Für die kolumbianische Bevölkerung bedeutet dies eine unmittelbare Verschlechterung der Lebensbedingungen, und außerdem schafft es viele soziale und gesundheitliche Probleme. So ist bei den indigenen Gemeinschaften die Zahl der Atem-wegserkrankungen sowie der Fehl- und Missgeburten angestiegen. Wir sind überzeugt, dass dies auf das Niederbrennen der Plantagen und den Chemieeinsatz zurückzuführen ist. Die Regierung sieht in dem Plan einen Versuch, das Land zu befrieden. Was halten Sie von dieser Auffassung?

Manuel Sisco: Wir können nicht daran glauben, dass der Plan Colombia zur Befriedung des Landes beitragen kann, solange die Regierung zwar einerseits von Frieden redet, andererseits aber nichts tut, um die Paramilitärs zu entwaffnen, die weiter aktiv sind und den sozialen Frieden stören. Eines der Ziele der Paramilitärs ist, die Bevölkerung von bestimmten Territorien zu vertreiben und sie zu enteignen. Durch den Plan werden die alten Gegensätze zwischen Großgrundbesitzern und ländlicher Bevölkerung zusätzlichen Konfliktstoff erhalten. Die Aufrüstung des Militärs ist ein weiterer Grund, weshalb der Plan nicht zur Befriedung des Landes beitragen wird. Die USA wollen zum Beispiel 46 Militärhubschrauber schicken, und sie haben damit schon begonnen.
Wir halten es auch nicht für sinnvoll, die Kokaplantagen durch Monokulturen zu ersetzen, wie das mit Palmöl geplant ist. In Malaysia und Indonesien haben sich Palmölplantagen verheerend auf das ökologische Gleichgewicht ausgewirkt.

Wie reagieren die indigenen Gemeinschaften?

Manuel Sisco: Uns ist klar – wir sind im Regionalen Rat der Indigenen der Region Cauca (CRIC) organisiert –, dass die Vernichtung der Kokapflanzen für uns mehr Armut bedeutet. Wir können dies nicht schweigend hinnehmen. Deswegen versuchen wir, unsere Position zu formulieren und in die Gesellschaft einzubringen. Wir können nicht schweigen, wenn das Ziel der kolumbianischen Regierung immer deutlicher wird, den militärischen Sektoren viel mehr Aufmerksamkeit zu schenken als den zivilen. Wir fühlen uns nicht repräsentiert, wir haben nicht den Eindruck, dass sich der Staat um die Nöte der Bevölkerungsmehrheit und der indigenen Bevölkerung kümmert.

Wie wollen Sie Einfluss nehmen?

Marciana Quirá: Wir versuchen, die Regierung unter Druck zu setzen, mit Landbesetzungen, Streiks und Mobilisierungen. Dadurch haben wir mehrere Abkommen erreicht. Das Übereinkommen 82 vom letzten Jahr zum Beispiel erkennt die Notlage der indianischen Völker in der Cauca-Region hinsichtlich ihrer sozialen, politischen und wirtschaftlichen Situation an. Obwohl es sich um einen präsidialen Erlass handelt, hat die Regierung bisher keine Anstalten gemacht, die Situation zu verbessern. Das trifft auch auf andere Vereinbarungen zu, zum Beispiel jene über Gesundheitsversorgung oder Bildung. Die Regierung macht Zusagen, um sie dann nicht zu halten. In keinem Fall ist die Regierung auf Verbesserungsvorschläge der Indigenen eingegangen. Zum Beispiel haben die indigenen Gemeinschaften den Vorschlag gemacht, ein befriedetes Territorium zu schaffen, in dem sich alle sozialen Bewegungen treffen können, um konzertiert an einer Lösung des blutigen Konfliktes im Lande zu arbeiten. Wir können es nicht akzeptieren, dass das derzeitige politische System von den Kolumbianern verlangt, ihre ureigensten Interessen entweder an die Regierung oder an die Guerilla zu delegieren.

Und mit Ihrer Europareise verknüpfen Sie Hoffnungen auf Unterstützung?

Manuel Sisco: Sicher. Wir sind bei unserer Reise in Deutschland, Holland, Belgien, Schweiz und Norwegen auf Zuspruch gestoßen. Unsere Gesprächspartner, darunter auch Abgeordnete des Bundestages, haben uns eindringlich ihre Unterstützung für unseren Dialogvorschlag versichert. Für uns ist die Position der Europäischen Union sehr wichtig. Die EU lehnt die weitere Militarisierung des Konflikts entschieden ab, spricht sich gleichzeitig für Investitionen in den sozialen Bereich aus. Das ist eine Position, der wir nur zustimmen können.

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