Brasilien | Nummer 375/376 - Sept./Okt. 2005

„Der PT hat sich von der Umgestaltung des Landes verabschiedet“

Interview mit José Maria de Almeida, dem Präsidentschaftskandidaten der PSTU bei den Wahlen 2002

Die Sozialistische Partei der Vereinigten Arbeiter (PSTU) wurde 1994 gegründet. Nach langen Jahren der Zusammenarbeit noch während der Militärdiktatur (1964-1984), verließ José Maria de Almeida den PT 1992 wegen inhaltlicher Differenzen und wurde Mitbegründer der PSTU. Die LN sprachen mit ihm über die aktuelle Krise der brasilianischen Regierung und die Zukunft des PT.

Carla Meurer

Was hat es mit den schwarzen Kassen der brasilianischen Parteien auf sich?

Das brasilianische Wahlsystem erlaubt, dass Firmen den Parteien und Kandidaten Gelder für ihren Wahlkampf spenden. Diese Spenden müssen von den Kandidaten und Parteien bei der Wahlkommission registriert werden. Schon allein dieses Prinzip institutionalisiert Korruption und Betrug: Es ist doch offensichtlich, dass eine Bank oder ein großer Konzern einem Politiker nur dann Geld geben wird, wenn dieser Politiker sich für solche Gefälligkeiten seiner Position entsprechend erkenntlich zeigt. Hinzu kommt, dass Politiker auch Gelder einwerben, die sie eben nicht bei der Wahlkommission registrieren lassen. Dies sind dann die schwarzen Kassen, die laut Verfassung explizit verboten sind. Über dieses System verteilte Wahlkampfspenden dienen einerseits den Firmen zur Geldwäsche und Steuerhinterziehung und andererseits dazu, eventuelle Übereinkünfte zwischen Unternehmen und Kandidat so geheim wie möglich zu halten.

Wer trägt Ihrer Meinung nach die Verantwortung für die aktuelle Krise?

Für die derzeitige Krise des PT kann man nicht eine einzelne Person verantwortlich machen. Sie ist vielmehr Entscheidungen bezüglich politischer Handlungsoptionen geschuldet, die die Partei schon vor langer Zeit getroffen hatte. Die PT hat jedwede gesellschaftsverändernde Perspektive für unser Land gegen die Option eingetauscht, um jeden Preis zu regieren. Der Bezhalung dafür war die Allianz mit der Wirtschaft sowie die Übernahme deren Ökonomieverständnisses. Übernommen hat die Regierung damit aber auch einen von Korruption geprägten Politikstil, der dem kapitalistischen System inhärent ist, und den wir beispielsweise auch in Deutschland erleben. Erinnern wir uns an die Skandale der Regierung Kohl oder aktuell an den Volkswagenskandal.

Wie könnte es der Regierung gelingen, die Krise zu überwinden, und dabei ihr Image als ethische Alternative zu bewahren?

Bei den letzten Wahlen fuhr die PT zweigleisig: Einerseits versprach sie deutliche soziale Verbesserungen, Arbeitsplätze, Investitionen in öffentliche Güter, Argrareform etc. Aber gleichzeitig versprach der PT den großen Unternehmern des Landes sowie dem IWF und der Weltbank, dass an der im Land angewandten kapital- und finanzmarktfreundlichen Wirtschaftspolitik nichts geändert werde. Aber solange diese Wirtschaftspolitik nicht geändert wird, solange wird keines der sozialen Versprechen einlösbar sein. Und genau das erleben wir jetzt; der Unmut der arbeitenden Bevölkerung nimmt zu und Lula macht keine Anstalten, die Wirtschaftspolitik zu ändern. Im Gegenteil, er baut sie sogar noch aus.

Was halten Sie von der Einschätzung “Schlimm mit Lula, schlimmer ohne ihn”?

Das ist die Art und Weise, in der einige soziale Bewegungen versuchen, die Arbeiterschaft zu überzeugen, die Regierung auch weiterhin zu unterstützen. Die Argumentation lautet dabei, dass, wenn Lula ginge, wieder eine neoliberale Regierung wie die Fernando Henrique Cardosos käme. Dabei wird übersehen, dass die Rechte schon in der Regierung ist, sei es durch den Industrieminister Luís Fernando Furlan oder den Agrarminister Roberto Rodrigues, Repräsentant der Agrarindustrie. Die Arbeiterschaft darf auf dieses vermeintliche Dilemma “Schlimm mit Lula, schlimmer ohne ihn” nicht hereinfallen, denn weder die Regierung Lula noch die bürgerliche Opposition – seien es PSDB, PFL oder Fernando Henrique Cardoso – dienen den Arbeiterinnen und Arbeitern.

Der Wahlsieg der brasilianischen Linken wurde von den Zivilgesellschaften im Ausland als wichtiger Sieg gefeiert. Jetzt aber hören wir scharfe Kritik an der PT. Wie soll Brasilien sein Bild im Ausland nach dieser Krise wieder verbessern?

Die Enttäuschung im Ausland über die brasilianische Regierung ist sehr groß, weil auch die Erwartungen an diese Regierung sehr groß gewesen sind. Und das sage ich nicht schadenfroh, aber es waren schlichtweg trügerische, gar falsche Hoffnungen. Schon vor langer Zeit hat der PT sich von der sozialen Umgestaltung unseres Landes verabschiedet, seit vielen Jahren ist das Programm der PT an die hier herrschenden Spielregeln angepasst. Die Verwicklung der PT in Korruption und Bestechung war daher nur logische Konsequenz.

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