Film | Nummer 365 - November 2004

Der Revolutionär als Schelm

Walter Salles verfilmt Che Guevaras lateinamerikanisches Reisetagebuch

Von Buenos Aires Richtung Venezuela: Der junge Medizinstudent Ernesto Guevara bereiste in den Fünfzigern mit seinem Freund Alberto Granado auf dem Motorrad den lateinamerikanischen Kontinent. Der brasilianische Erfolgsregisseur Walter Salles hat diese Reise unter dem Titel The motorcycle diarios als Roadmovie verfilmt und stößt dabei an die Grenzen des Genres.

Stefan Kunzmann

Zwei junge Argentinier steigen 1952 in Buenos Aires auf ein altes Motorrad und begeben sich auf eine lange Fahrt. Mehr als ein halbes Jahr lang durchqueren sie Südamerika. Die Reise führt sie zuerst in die unermessliche Weite Patagoniens, dann nach Chile, Peru, Kolumbien und Venezuela. Einer der beiden, Ernesto “Che” Guevara, wird später Revolutionär in Kuba an der Seite von Fidel Castro und – nach seiner Ermordung durch die bolivianische Armee 1967 – ein Märtyrer der Linken und weltweites Idol der Popkultur.
Guevaras Tagebuchaufzeichnungen sind nach seinem Tod vielfach übersetzt worden. Sie bieten nicht nur Einblick in seine Zeit als Medizinstudent, über die bis dato wenig bekannt war. Sie werfen zudem einen Blick auf die soziale Realität Lateinamerikas.
Während Guevara zusammen mit seinem Studienfreund Alberto Granado durch Südamerika reist, beginnt das politische Denken des späteren Revolutionärs. Das Tagebuch ist eine Art südamerikanisches On the Road – einfach gestrickt und literarisch belanglos.
Der brasilianische Regisseur Walter Salles hat sich mit seinem Film The motorcycle diaries einen lange gehegten Wunsch erfüllt. Für ihn sei das Buch wie ein Heiligtum, sagt er. Er habe fünf Jahre Vorbereitungszeit gebraucht, um das Projekt zu realisieren. Salles war sich auch durchaus bewusst, dass er sich daran die Finger verbrennen konnte. Wegen der vielen Vorschusslorbeeren nach seinem mit Preisen überhäuften Meisterwerk Central do Brasil war der Druck auf ihn riesig, vor allem, nachdem sein darauf folgender Film Abril Despedaçado (Hinter der Sonne), eine mit Symbolik überladene und romantisch verbrämte Geschichte einer Blutrache, nicht den hohen Erwartungen entsprechen konnte.
Wie Central do Brasil ist The motorcycle diaries ein Roadmovie, der die Probleme Lateinamerikas behandelt. Und die sind heute noch dieselben wie vor 50 Jahren: Sozial Schwache werden ausgegrenzt, ArbeiterInnen ausgebeutet, die indigene Bevölkerung benachteiligt. Ernesto und Alberto lernten einen Kontinent der Armut kennen.
Mit Central do Brasil, der von der Reise eines Waisenjungen und einer abgestumpften alten Frau durch Brasilien handelt, war Salles mittels intensiver Bildsprache und einer detailliert eingesetzten Metaphorik eine Spurensuche an den Wurzeln seines Heimatlandes gelungen. Dagegen bleibt The motorcycle diaries an der Oberfläche. Die Schilderung des sozialen Elends wirkt plakativ. Im Zentrum steht eine durchaus unterhaltsame Story, eine Schelmengeschichte mit zahlreichen komischen Elementen – obwohl auch die sich im Laufe des Films allmählich wiederholen, nicht zuletzt die Slapstickeinlagen mit dem Motorrad, das nach der Hälfte des Films den Geist aufgibt.
Die Gegensätzlichkeit der beiden Freunde – der sensible Ernesto und der temperamentvolle Alberto – entwickelt sich schnell zu einem tragenden Handlungselement. Der Wandel von zwei Schürzenjägern, die in allerhand Kalamitäten geraten, zu gezeichneten Helden überzeugt jedoch wenig. An den Darstellern hat es nicht gelegen: Der Mexikaner Gael García Bernal, nach überzeugenden Leistungen in Alejandro Gonzalez Ináritus Amores Perros und Pedro Almodóvars Mala educación der neue Star am spanischsprachigen Filmhimmel, holt als junger Che das Bestmögliche aus dem Potenzial, das seine Rolle hergibt und zeigt eine neue Facette des arg strapazierten Che-Mythos. Unterdessen sorgt der Argentinier Rodrigo de la Serna als Alfredo für den komischen Part. In einer kleineren Rolle überzeugt auch die argentinische Schauspielerin Mia Maestro, die ihr Filmdebüt in Carlos Sauras Tango gab, als Chichina.
Salles’ Versuch, den Erfolg von Central do Brasil zu wiederholen, erstickt insgesamt an den eng gesetzten Genre-Grenzen des Road Movies. Wie einst auch Fernando Solanas leidet er an einer zu durchsichtigen Symbolik. Und der dramatische Höhepunkt des Films, als sich Guevara in den Fluss stürzt, um das Lager der Leprakranken auf der anderen Uferseite zu erreichen, versinkt schließlich im Pathos.

The motorcycle diaries, Regie: Walter Salles, Kanada und Großbritannien 2003, 126 Minuten, Kinostart: 28. Oktober.

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