50 Jahre LN | Dossier | Jubiläumsnummer 588 - Juni 2023 | Solidarität

DER SLOGAN HAT GEWIRKT

Interview mit Hans-Christian Ströbele über die Spendenkampagne „Waffen für El Salvador“

Mit der Spendenkampagne „Waffen für El Salvador“ gelang in den 1980er Jahren die wohl finanziell erfolgreichste als auch umstrittenste Solidaritätsaktion der neueren deutschen Linken. Ein Gespräch mit Mitinitiator Hans-Christian Ströbele über die Beweggründe und praktische Umsetzung der Aktion sowie sein persönliches Verständnis von Solidarität.

Interview: Claudia Fix, Mirjana Mitrovic

Ihr Name ist eng mit der Solidaritätsaktion „Waffen für El Salvador“ verbunden, als Vorstand des Herausgebervereins der Tageszeitung (taz) und Verwalter des Spendenkontos. Aus welcher Motivation ist die Spendenaktion damals ins Leben gerufen worden?
Zunächst muss man sich erinnern, dass Lateinamerika damals, völlig anders als heute, im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit auch in Deutschland stand. Insbesondere deshalb, weil mit Unterstützung der USA, aber auch westeuropäischer Länder, grausame Diktaturen etabliert worden waren. Von Chile über Argentinien, Bolivien, Brasilien, Peru, in Guatemala oder El Salvador. In diesen Ländern entstanden unterschiedliche Formen der Volksbewegung und des Widerstandes gegen die Diktaturen.
In Uruguay die Tupamaros zum Beispiel, die für manche in der undogmatischen Linken eine Zeitlang Vorbild waren. In Nicaragua die Frente Sandinista, die dann nach einiger Zeit auch erfolgreich war. In den Nachbarländern Guatemala und El Salvador hat das sehr, sehr viel länger gedauert. Das waren grauenhafte Bürgerkriege mit schlimmen Massakern und Menschenrechtsverletzungen.
Nachdem in Nicaragua die Widerstandsbewegung gesiegt hatte, wandte sich die Militärregierung in El Salvador im Auftrag der Großgrundbesitzer mit unvorstellbarer Grausamkeit gegen die Bevölkerung. Und dann gab es ein spektakuläres Ereignis, das in der ganzen Welt wahrgenommen wurde: Die Erschießung des katholischen Erzbischofs Óscar Romero in der Kathedrale am Altar – der kein Linker, sondern ein Konservativer war, der sich aber für die Armen eingesetzt hatte. Das lenkte noch einmal mehr Aufmerksamkeit auf El Salvador. Dadurch bekam diese Kampagne „Waffen für El Salvador“, wir haben immer gesagt „Waffen für das Volk von El Salvador“, noch einen großen Schub.

Aus welchem Verständnis von Solidarität ist die Spendenaktion ins Leben gerufen worden?
Erstens wollten wir solidarisch sein. Aber für mich persönlich, und ich glaube für andere auch, ging es auch um die innerdeutsche oder innereuropäische Frage: Gibt es Situationen, in denen man Militanz und Waffengewalt gegen Unterdrücker anwenden kann oder muss? Es gab kaum eine Universität, in der nicht diskutiert wurde, wann und unter welchen Umständen das gerechtfertigt ist. Wir wollten ganz klar zeigen, wir sind auf der Seite des Volkes. Das ging bis weit in die evangelische Kirche hinein. Helmut Gollwitzer, ein ganz berühmter evangelischer Theologe, hat hinterher sogar gespendet. Dass die Solidarität bis weit in die Bevölkerung hineinreichte, zeigte der völlig unerwartete finanzielle Erfolg. Ich glaube, das war die erfolgreichste Spendensammlung der neuen Linken nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland. Insgesamt waren über vier Millionen DM zusammengekommen.

Wie genau wurden die Spenden übergeben? Das war ja damals noch um einiges komplizierter oder?
Die Sammlung lief so ab, dass das Geld in US-Dollar umgetauscht und dann in bar übergeben wurden. Es gab Quittungen und die mussten die Comandantes der vier Guerillabewegungen unterschreiben, weil wir vermeiden wollten, dass nur ein Teil der FMNL-Bewegung das Geld bekam. Die Übergabe haben meistens taz-Redakteure gemacht.
Die Reisen gingen übrigens fast alle über Kuba, weil uns das sicherer erschien als über Miami. Von dort gab es einen Direktflug nach Nicaragua. Weil wir davon ausgingen, dass die Kubaner Verständnis dafür gehabt hätten, wenn man ihnen das erklärt oder ihnen vielleicht auch eine Quittung vom letzten Mal gezeigt hätte. Man müsste die Kubaner mal fragen, ob sie jemals festgestellt haben, was in den Plastiktüten drin war.

In einem anderen Interview mit Ihnen steht, dass Sie nicht glauben, dass Waffen mit dem Geld gekauft wurden, aber dass die Aktion „Mullbinden für El Salvador“ eben keine gesellschaftliche Provokation gewesen wäre. Glauben Sie tatsächlich, dass keine Waffen von den Spenden gekauft wurden?
Natürlich wurde gerätselt, was machen die denn mit dem Geld? Was ich von vielen gehört habe war, dass es nicht für Waffen ausgegeben worden ist, weil sie genügend Waffen hatten. Denn wenn sie Kasernen überfallen haben, haben sie Waffen erbeutet. Waffen waren auch in Mexiko oder sonstwo zu bekommen. Aber dass das Geld explizit für Waffen war, sollte ja Diskussion hier anregen.

Wie kam es dazu, dass auch Christ*innen für den „bewaffneten Kampf“ spendeten? Hatte das vor allem mit der Ermordung Romeros zu tun?
Wenn man jetzt sagt, das war nur, weil der Erzbischof Romero ermordet worden ist, dann stimmt das nicht. Er war ja nicht der einzige. Es wurde auch eine Gruppe von Nonnen ermordet, ganz grausam, in San Salvador. Und ein Jesuiten-Pater. Bischöfe, die der Kirche der Befreiung zugeordnet wurden haben, hatten es sehr schwer und wurden vom Papst nach kurzer Zeit versetzt. Die Repression richtete sich dort gegen alle, die auf der Seite der armen Leute und der Landbevölkerung waren. Der traurige und spektakuläre Höhepunkt war die Ermordung des Erzbischofs Romero, der letztes Jahr vom Papst selig gesprochen wurde.

Es ist heute unvorstellbar, dass so viele Menschen in Deutschland für Waffen spenden, und das zu Zeiten der damaligen Friedensbewegung! Gab es denn auch viel Kritik an der Kampagne?
Klar! Und wie! Das sollte ja auch so sein. Die Auseinandersetzung, ob die Sammlung nicht eingestellt werden sollte, wurde auch in der taz immer wieder heftig geführt. Natürlich waren viele sehr kritisch, zurecht auch in der Redaktion selbst. Diese Stimmen hatten ihre Berechtigung und wir mussten uns damit auseinandersetzen. Aber das ganze war auch Teil der Berichterstattung in der taz.

Warum hat die taz den Restbetrag an die Organisation Pro Búsqueda übergeben, die sich um die Suche nach während des Krieges verschwundenen Kindern kümmert?
Anfang der 1990er Jahre ist die Sammlung eingestellt worden. Ich glaube, etwas mehr als 2.000 Euro waren übrig geblieben. Aber das Problem war: Wer hat denn nun zu sagen, wer das Geld bekommt? Ich hab das immer wieder, auch bei der taz, versucht, zu thematisieren. Aber die hatten zu dem Zeitpunkt andere Sorgen. Also hat sich die Entscheidung über Jahre hingeschleppt. Irgendwann haben wir es dann so geregelt, dass die taz entschieden hat, wir geben das Geld an eine Gruppe in El Salvador. Da gab es mehrere, die zur Auswahl standen.
Das Verschwundene gefunden werden müssen, hatte ja mit dem Krieg zu tun. Andere Länder, wie etwa Südafrika kamen nicht in Frage. Dazu fühlten wir uns nicht berechtigt. Und das Geld an die Leute zurückgeben? An wen? Das waren ja viele tausend Spender mit Spenden von fünf, zehn und viel höheren DM-Beträgen.

Was bedeutet für Sie generell Solidarität?
Es gibt ja berühmte Sprüche wie „Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker“ und so, aber in diesen hohen Regionen will ich mich gar nicht bewegen. Solidarität ist eine dringende Notwendigkeit, nach wie vor, und ich bedaure – ich will das jetzt mal ganz böse formulieren – dass Solidarität manchmal eine Modesache zu sein scheint. Als ob es gar nicht an der Dringlichkeit des Engagements und des Problems hängt, dass man Solidarität übt oder sich überhaupt für andere Länder interessiert. Das darf eigentlich nicht sein.

Alte Texte neu gelesen – dieses Interview erschien im LN-Dossier 14 (Februar 2016) und wurde in der Jubiläumsausgabe 588 zu 50 Jahren LN erneut abgedruckt.

Hans-Christian Ströbele ist seit Jahrzehnten eine feste Größe der deutschen Linken. Unter anderem war er Anwalt der RAF-Gefangenen, Mitbegründer der Grünen Partei und der Tageszeitung taz. Seit 1985 ist er Abgeordneter des Bundestags und gilt als das linke Gewissen seiner Partei

Meine LN, deine LN: Hans-Christian Ströbele über die LN Ich schätze die Lateinamerika Nachrichten sehr. Das ist ja fast einmalig, dass sich so eine – nach wie vor sehr informative – Publikation so lange hält, obwohl Lateinamerika hier in Europa, selbst in den USA, aus dem Blickfeld geraten ist. Und das Tolle und Wichtige ist: Wenn ich in die Länder fahre etwa als Abgeordneter, dann suche ich mir noch mal die Hefte raus und nehme meine Vorinformationen für die Fragen, denen ich nachgehe, nicht nur aus den Informationen der Bundesregierung – denn die gibt es ja auch – sondern aus LN! Denn da weiß ich, das ist eine Berichterstattung von unten, das ist eine Berichterstattung über die wirklichen Probleme. Das sind nicht nur Informationen von der Botschafterebene, denn die Botschaften verkehren ja meistens mit der Oberschicht. Und ich finde das ganz toll, dass das Leute sind, die da selber hinfahren, also nicht nur hier in der Stube sitzen und studieren, sondern selber hinfahren, Erfahrungen sammeln und dann berichten. Deshalb unterstütze ich LN auch. Das wäre ganz, ganz schlimm, wenn es die Zeitschrift nicht mehr geben würde. Nicht nur weil meine Frau Juliana früher bei LN war, mache ich auch Reklame. Wir haben die LN sogar zweimal abonniert. Das sage ich auch allen. Und meiner Mitarbeiterin, die sich um diesen Teil meiner politischen Arbeit kümmert, sage ich stets: „Hier, du musst die Hefte lesen!“ Also meine Solidarität gilt auch den Lateinamerika Nachrichten!

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren