Kolumbien | Nummer 415 - Januar 2009

„Der Staat ist verantwortlich!”

Der Menschenrechtsanwalt Augustín Jiménez über Hinrichtungen durch das Militär in Kolumbien^

Tote Guerilleros bringen Prämien in Kolumbien. Das führt dazu, dass die Militärs wahllos töten und ihre Opfer als Widerstandskämpfer präsentieren. Augustín Jiménez und seine Organisation CCEEU haben die Fälle außergerichtlicher Morde dokumentiert. Hoffnung auf eine große Veränderung der Politik hat er nicht.

Luis Montilla

Die „Koordination Kolumbien Europa/USA” (CCEEU), hat einen Bericht veröffentlicht, laut dem Sicherheitskräfte zwischen Januar 2007 und Juli 2008 535 Personen durch außergerichtliche Hinrichtungen töteten. Aufgrund dieses Skandals hat Präsident Uribe die Absetzung von 27 Offizieren und Unteroffizieren der Streitkräfte wegen „gefälschter Erfolgsmeldungen” bekannt gegeben. Was bedeutet das?
In Kolumbien betreibt die Regierung eine „Politik der Demokratischen Sicherheit” – so nennt sie es. Sie verlangt von den Sicherheitskräften eine härtere Vorgehensweise und vergibt Prämien für im Kampf getötete Guerilleros. Militär und die Polizei haben einige Regionen des Landes eingenommen und die Guerilla zu einem taktischen Rückzug gezwungen. Deswegen sind die direkten militärischen Konfrontationen zwischen der Guerilla und dem Militär nicht mehr so häufig, wie die Medien es teilweise dargestellen. Trotz des Rückzugs der Guerrilla behaupten die Militärs jedoch, dass sie mehr als 13.600 Guerilleros getötet hätten. Diese hohe Zahl hat unsere Aufmerksamkeit erregt, denn das würde heißen, dass es praktisch keine Guerilleros mehr gibt.

…was ja nicht der Fall ist.
Genau. Wir forschten nach und erhielten eine alarmierend hohe Zahl von Anzeigen wegen außergerichtlicher Hinrichtungen. Einige Leute erzählten uns, dass das Militär behauptete, ihre toten Familienangehörigen seien im Kampf umgekommen, obwohl sie in Wirklichkeit festgenommen worden waren. Manche waren von der Polizei oder vom Militär aufgefordert worden, Informationen preiszugeben, und später tauchten sie tot auf und es wurde behauptet, sie seien im Kampf gefallen. Mit diesen Informationen erstellten wir einen ersten Bericht. Als wir ihn der Interamerikanischem Kommission präsentierten, beschuldigte uns die Regierung, den Terrorismus zu unterstützen und die im Kampf Umgekommenen auf Seiten der Guerilla als Opfer von Menschenrechtsverletzungen zählen zu wollen.

Ist all dies eine direkte Konsequenz der Umsetzung der „Politik der demokratischen Sicherheit”?
Wir haben immer gesagt, dass die „Politik der Demokratischen Sicherheit” eine Gefahr für die Sicherheit des Landes ist. Erstens ist sie unmenschlich und zweites verletzt es alle internationalen Abkommen, wenn man Tote als Beweis für positive Ergebnisse im Kampf gegen die Guerilla präsentiert. So gibt man den Militärs einen Anreiz, Menschenrechtsverbrechen zu begehen. Diese gesamte Politik hat dazu geführt, dass die willkürlichen Festnahahmen zugenommen haben. Das Militär ist gar nicht so sehr dazu bereit, die Guerilla in den Wäldern anzugreifen, wie der Präsident glaubt. In den Wäldern könnte es die Schlacht verlieren. Das wissen die Soldaten. Deswegen täuschen sie lieber „Erfolge” vor, indem sie wehrlose BürgerInnen in bewohnten Gebieten umbringen.

Zielt die Gesetzgebung darauf ab, dass so etwas passiert, oder sind die Gesetze einfach schlecht formuliert?
Klar ist, dass es eine Politik der Anreize gibt. Die Regierung fordert vom Militär Ergebnisse um jeden Preis. Der Staat ist also verantwortlich, auch wenn wir keinen direkten Befehl dokumentieren können. Es gibt aber andere Beweise. Zum Beispiel sind in bestimmten Departements die außergerichtlichen Hinrichtungen zurück gegangen, nachdem wir das Problem öffentlich gemacht hatten. Im Nachbardepartement gab es dafür mehr Hinrichtungen. Auch in den Städten kam diese Art von Morden vor. Als wir aufklärten, was für Menschen das waren, die ermordet wurden, veränderte sich die Situation. Nun wurden Drogenabhängige und Obdachlose ausgewählt, von denen die Täter dachten, dass sie nicht von ihren Familien gesucht würden. All das weist darauf hin, dass es einen Plan gibt.
Wir haben bei unseren Recherchen entdeckt, dass das Militär Vorbereitungen traf, um außergerichtliche Hinrichtungen durchzuführen. Sie nahmen extra Waffen und Munition mit und auch neue Uniformen, die sie nach den Morden anzogen, um so den Verdacht von sich zu weisen.

Können Sie einen Ihrer Fälle beschreiben?
Die Stiftung betreut einen Fall, in dem ein junger Bettler vom Marktplatz in der Stadt Tunja, den die VerkäuferInnen alle sehr gut kannten, als ein im Kampf gefallener Wirtschaftskommandant der FARC präsentiert wurde. Angeblich war er die Person, die sich um die Geldangelegenheiten bei der FARC kümmerte. Inzwischen haben wir viele ZeugInnen, die bereit sind zu sagen, was dieser junge Mann wirklich tat. Als wir weiter forschten, kamen mehr als acht Familien zu uns, die ihre Familienangehörigen suchten, die BettlerInnen in Tunja waren und ebenfalls ermordet und als Guerilleros bezeichnet worden waren.
Und dann ist da noch ein 16-jähriger Jugendlicher, der Zeuge des Mordes an seinem Freund war. Wir haben ihn nach Bogotá gebracht, er sagte an verschiedenen Orten aus, und die Regierung verpflichtete sich, ihn zu schützen. Deswegen erlaubten wir, dass er in seine Region zurückkehrte. Drei Monaten nach seiner Rückkehr brachten sie ihn und seinen Vater um, und das Militär stellte ihn als im Kampf gefallenen Guerillero dar.

General Mario Montoya ist wegen dieser Angelegenheit zurückgetreten, und Präsident Uribe hat an seine Stelle General Peña González gesetzt. Wird sich die Situation in Kolumbien mit dieser Ernennung ändern? Hat die Regierung die Absicht, Ihre Politik zu ändern?
Nein. Das muss ganz klar gesagt werden. Die Regierung will ihre „Politik der Demokratischen Sicherheit” nicht ändern. Sie hat sie öffentlich als die beste Form, die Menschenrechte zu schützen, verteidigt.

Und die Menschenrechte werden in Kolumbien an vielen Stellen verletzt. Sie sind auch Mitglied der Stiftung Solidaritätskomitee mit den Politischen Gefangenen (FCSPP). Wie viele politische Gefangene gibt es momentan in Kolumbien?
Laut der Stiftung befinden sich in Kolumbien ungefähr 6.000 Personen in Gefangenschaft wegen politischer Vergehen oder Verbindungen dazu. Ungefähr die Hälfte dieser Personen wurde während der bewaffneten Konflikte festgenommen, das heißt, dass sie in den Guerillagruppen aktiv waren. Um die 1.800 Gefangene sind Personen, die in den Einflussgebieten der Guerilla leben. Die Regierung beschuldigt sie nur deswegen, der Guerilla anzugehören. Die Mehrzahl von ihnen sind Bauern und Bäuerinnen oder BewohnerInnen von kleinen Städten, die sich gezwungen sehen, auf die eine oder andere Weise Beziehungen zur Guerilla zu unterhalten. Die Regierung meint, sie gehörten dadurch automatisch zur Guerilla. Und über 1.000 der gefangenen Personen sind Führungpersonen der sozialen Bewegungen. Wegen ihrer Aktivitäten und ihrer Position werden sie beschuldigt, der Guerilla angzugehören oder sie zu unterstützen.

Der Plan Colombia der USA hat dazu gedient, einen Großteil der Operationen des kolumbianischen Militärs zu finanzieren. Hoffen Sie, dass sich die Situation mit Obama verändern wird?
Wir wissen eines: Die Politik in Kolumbien hängt von den USA ab, weil die kolumbianische Elite sich leider vor langer Zeit an Washington gebunden hat. Bis jetzt hatte das nur negative Auswirkungen. Wir wissen nicht, wie die Politik von Obama sein wird, aber uns macht es viel Hoffnung, dass er dem Tod der GewerkschafterInnen und der Gewalt gegen MenschenrechtsaktivistInnen im Land Beachtung geschenkt hat. Dies deutet auf eine Veränderung hin. Aber wir wissen auch, dass noch viel zu tun ist, um von dort aus zu einer konkreten Politik zu gelangen. Die SenatorInnen in den USA müssen verstehen, dass sie seit mehr als acht Jahren Geld spenden, das einzig und allein den bewaffneten Konflikt in Kolumbien hat eskalieren lassen. Sollten die USA ihre Politik in Kolumbien tatsächlich verändern, wird es der kolumbianischen Elite schwerfallen, sich weiter gegen eine politische Lösung zu sperren. Und hoffentlich nutzt die Guerrilla dann diese Dialogsituation, um die Probleme Kolumbiens zu lösen.
// Interview: Luis Montilla
// Übersetzung: Katja Schatte

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