Musik | Nummer 296 - Februar 1999

Der Stil der Silvana Deluigi

Die Tangosängerin legt ihre dritte Platte vor

Silvana Deluigi ist mehrfache Erbin: Erbin der langen Tradition des Tango, aber zugleich auch vieler anderer Musikstile. Und sie ist Schöpferin einer eigenwilligen musikalischen Sprache, in der sie das ihr Überkommene zusammenzubringen versucht. Ihre neue CD „Loca“ ist davon ein hörenswertes Ergebnis.

Valentin Schönherr

Es ist passend und gelungen, daß die Platte mit einem Cluster endet, einem etwas schräg klingenden Akkord nahe beieinanderliegender Töne. Denn was Silvana Deluigi da präsentiert, ist durchaus beunruhigend, allerdings in einem guten Sinne. Sie singt Tango nicht als etwas Berechenbares, das vor sich hinläuft und einen bestätigt in dem, was man kennt. Tango ist bei ihr viel mehr ein Gefäß, besser: ein Tuch, in das sie hüllt, was ihr begegnet. Dazu gehören eine Ballade von Brecht/Weill („Ich war jung, Gott, erst sechszehn Jahre…“), improvisatorische Freiheiten für die Instrumentalisten und anderes – aber auch Tangoklassiker wie die „Balada para un loco“ von Altmeister Astor Piazzolla.
Die 1960 in Buenos Aires geborene Sängerin, die heute in Paris lebt, dürfte sich die Ingredienzien ihrer Musik hart erarbeitet haben, hat sie doch viele Jahre lang klassischen Gesang studiert und ist im Musicalbereich mehrfach in Hauptrollen aufgetreten. Die Erfahrung merkt man ihr an: Mühelos bringt sie bluesige, gelegentlich auch arhythmische Stellen in ihren Tangos unter. Dem kommt durchaus entgegen, daß sie nicht immer genau im Takt singt, so wie das bei Tangos mit ihrem weich-entschiedenen Grundrhythmus häufig gemacht wird, sondern Töne herüberzieht, zu schleppen scheint und dann doch wieder elegant dort ankommt, wo man sie bereits erwartet hat. Solche und andere konsequent durchgehaltenen Eigenheiten, die ihren Stil ausmachen – etwa auch ihr stets Emotionen zeigender, melodischer, ein wenig schleifender Sprachgang –, fassen alle unterschiedlichen Einflüsse in ihrer Musik souverän zusammen.

Mehr als ein Museumsstück

All dies kommt nicht von ungefähr. „Ich bin zwar in der Tradition des klassischen Tango aufgewachsen, will aber beweisen, daß Tradition niemals mißverstanden werden darf als etwas Museales“, sagt Silvana Deluigi über sich selbst. Bereits mit ihrer ersten CD „Tanguera“ (1991) hat sie begonnen, das von Männern dominierte Museum Tango nach eigenen Vorstellungen zu renovieren, indem sie textliche Schwerpunkte anders setzte. Mit „Loca“ ist die Musik selbst an der Reihe.
Daß Silvana Deluigi ihren HörerInnen mitunter einiges zumutet, fällt vor allem an den Bruchstellen von Tradition und Experiment auf. Die schärfste Herausforderung dürfte dabei die bereits erwähnte Brecht/Weill-Ballade „Surabaya Johnny“ sein, die auf Deutsch gesungen wird – verständlicherweise nicht ganz akzentfrei; das unwirsch-liebende „Nimm doch die Pfeife aus dem Maul, du Hund!“ klingt viel zu umständlich; Manche Passagen werden zum Tango, und doch, trotz aller Rafinesse, atmet man erleichtert auf, wenn es im nächsten Stück auf Spanisch und mit einem Tango reinster Sorte weitergeht:
Sabe que la lucha es cruel / y es mucha, pero lucha y se desangra/ por la fe que lo empecina…
Er weiß, daß der Kampf grausam und schwer ist, aber er kämpft und gibt sich ganz hin für die Passion, die ihn gepackt hat… Da ist die Welt dann wieder in Ordnung.
Die Überzeugungskraft von Silvana Deluigis Konzept wird mitunter geschmälert, und zwar auf einem Gebiet, auf dem sich die Profisängerin nicht in die Karten gucken lassen sollte – ihren stimmlichen Qualitäten. Das fiel insbesondere bei ihrem Livekonzert auf, das sie Ende Januar im Rahmen einer Tournee in Berlin gab. War sie abgesungen, angekränkelt? So berauschend ihre rauchige Stimme in den Mittellagen auch ist, weder in den Höhen noch in den Tiefen verfügte sie über ein angemessenes Repertoire an Gestaltungsmitteln. Zu häufig werden Bögen nicht zu Ende gesungen, gibt es Brüche statt Übergänge. Und auch ihre Intonation läßt stellenweise zu wünschen übrig.

Dennoch: keine ganz Große

Auf der CD sind solche Pannen weitgehend überspielt und fallen nicht so ins Gewicht. Aber eine Sängerin, die zu den besten ihres Faches zählen will, muß auch live souverän sein. Wettgemacht wurden diese Unstimmigkeiten im Konzert übrigens durch die exquisiten Instrumentalisten, von denen leider auf der CD nicht so viel zu haben ist.
Fazit: Eine der ganz Großen ist sie nicht. Aber wer sich für spannende Mixturen in Tangotüchern begeistert, sollte sich davon nicht abhalten lassen.

Silvana Deluigi: Loca.
in-akustik, INAK 9056 CD.

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