Literatur | Nummer 273 - März 1997

Der Stolz des kleinen Mannes…

… in einem kleinen Buch aus Uruguay

“Die Ballade von Johnny Sosa” ist das erste auf Deutsch erschienene Werk von Mario Delgado Aparaín. Wenn auch die Begeisterung übertrieben ist, die von einem Literaten über das Buch geäußert wurde und mit der der Verlag auf dem Umschlag werbend protzt – die Lektüre lohnt; das Buch sei empfohlen.

Valentin Schönherr

Es handele sich um “die erste Geschichte, die ein Lateinamerikaner geschrieben hat, in der die Guten haushoch gewinnen”, so Luis Sepúlveda. Darauf meint er uns mit aller Euphorie, zu der er fähig ist, im Nachwort zur “Ballade von Johnny Sosa” hinweisen zu müssen. Nun gut, sehe jeder einmal sein Bücherregal durch, ob das stimmt. Es ist ohnehin nebensächlich und ändert am “Balladen”-Text nur insofern etwas, als daß wir ihn mit einer bestimmten Erwartung lesen. Das wäre nicht nötig gewesen, das Buch ist auch so ein gelungenes.
Interessant an der Feststellung von Sepúlveda ist aber, was er als einen haushohen Sieg der Guten bezeichnet. Es ist dies nichts weiter als die Entscheidung eines Mannes, sich nicht länger an die Machthaber zu verkaufen, sondern in würdevoller Freiheit zu leben, auch wenn ihm damit keine Karriere möglich sein wird.
Das ist an Handlung schon fast alles: Johnny Sosa, Jazzsänger in einem uruguayischen Dorfbordell, ein verträumter, liebenswerter Mann, wird von den Militärs bedrängt, die mit der Diktatur ins Dorf kommen. Nicht auf Englisch soll er singen wie der wunderbare, verehrte Lou Brakley im Radio, sondern Spanisch, also Tango, Bolero. Damit er seine unpatriotischen Musikvorlieben aufgibt, versprechen sie ihm – des Lächelns wegen – weiße Zähne nebst Auftritten auf den renommierten Musikfestivals der Badeorte. Ein Star soll er werden, und er soll gute Miene machen zum bösen Spiel.
Aber das Spiel ist böse, und Johnny Sosa kriegt das mit. Nicht nur, daß im Radio statt der Lou Brakley-Sendung nun endlose Marschmusik läuft und er mit seinen Jazzprogrammen nicht mehr auftreten darf. Es werden Bekannte aus dem Dorf verhaftet; warum? Was sollen sie getan haben? Und was stört die neuen Herren der Jazz?
Die Entscheidung, sich trotz des Verbots wieder auf die kleine Bühne im Bordell zu stellen, ist seine Art zu sagen: Ich spiele nicht mehr mit. Die Gitarre muß er daraufhin abliefern. Der Verhaftung entkommt er durch Flucht. Schluß, aus.
Mir hat das Buch gut gefallen. Es ist sympathisch, daß Mario Delgado Aparaín sich tatsächlich auf eine “kleine” Geschichte beschränkt. Die Handlung geht über die Dorfgrenzen nicht hinaus und bleibt bei wenigen Menschen; die Weltpolitik braucht nicht herbeizitiert zu werden, um zu sagen, worum es geht. Der Grundkonflikt zwischen Freiheit und Unterordnung wird an eine scheinbar nebensächliche Frage geknüpft: Kann Musik ein Vehikel für politische Bekenntnisse sein? Und welche Art Musik sollte dann wofür stehen? Der Autor läßt seinen Protagonisten nun ausgerechnet Gringo-Musik lieben, er widersetzt sich jedem Kulturnationalismus und gibt damit selbst die Antwort.
Das schmale Bändchen ist reich an sprachlicher Tiefe, die Beobachtungen sind genau formuliert und wirken so ungekünstelt, so selbstverständlich, daß es leicht fällt, dem Geschehen zu folgen. Nach den hundert Seiten, Johnny Sosa ist seinen Verfolgern gerade so entwischt, hatte ich das sichere Gefühl, daß er am Leben bleiben wird.
Nichts mit Sieg, wie Sepúlveda meinte. Denn die Verlierer, die Militärs, verlieren gegen sich selbst – sie sind den Versuchungen der Macht nicht gewachsen.

Mario Delgado Aparaín, Die Ballade von Johnny Sosa. Übersetzt von Thomas Brovot, Nachwort von Luis Sepúlveda, Luchterhand Literaturverlag, München 1996, 117 Seiten, 29,80 DM (ca. 15 Euro).

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