Arbeit in Lateinamerika | Nummer 377 - November 2005

Der Traum vom Eldorado

Die rasante Entwicklung des Kleinbergbaus in Peru

Hunderttausende PeruanerInnen graben auf eigene Faust nach Gold. Die Preisentwicklung des Edelmetalls trägt dazu bei, dass es immer mehr werden. Der Armut entkommen die Kleinbergleute durch ihre Arbeit nicht, doch aus ihrem Kampf ums Überleben wird immer mehr ein Kampf um eine bessere Zukunft. Denn sie beginnen, sich zu organisieren und zu kleinen Unternehmen zusammenzuschließen.

Felix Hruschka

Im September 2005 fand in Cuatro Horas, einem kleinen Dorf im bergigen Hinterland der peruanischen Südküste, ein Regionalkongress der Kleinbergleute statt. „Einen Kongress organisiert man nicht in einem Provinzdorf, das macht man in Lima“, meinten viele. Doch die mineros/as wollten zeigen, wozu sie fähig sind. Über 400 TeilnehmerInnen, darunter auch ausländische Gäste, fanden sich ein. Die OrganisatorInnen waren stolz. Gemessen an den 60.000 Familien, die in Peru heute vom Kleinbergbau leben und hauptsächlich nach Gold graben, entsprach der Andrang den Erwartungen.

Der reiche Berg
Die Goldproduktion der Kleinbergleute nimmt sich mit 22 Tonnen pro Jahr bescheiden aus, wenn man die größte Goldmine Lateinamerikas, die in der nordperuanischen Region Cajamarca liegt, zum Maßstab nimmt: Die Yanacocha-Mine beschäftigt lediglich 2.000 Arbeitskräfte, produziert dafür aber pro Jahr über 90 Tonnen Gold. Allerdings ist es nicht möglich, Kleinbergbau durch Großbergbau zu ersetzen oder umgekehrt. Die technischen Mittel des Kleinbergbaus sind nicht tauglich, eine Lagerstätte wie Yanacocha auszubeuten. Und ein Abbau der nur wenige Zentimeter dicken Goldadern der Kleinbergbauleute wäre für große Minenkonzerne schlichtweg unrentabel. Obwohl in Yanacocha wenig Arbeitsplätze geschaffen wurden, hat sich die Einwohnerzahl Cajamarcas aufgrund der Minentätigkeit seit 1990 auf über 140.000 verdoppelt. Die Goldgräberorte sind dagegen kleine, verlassene Nester. Cerro Rico ist – wie Cuatro Horas – ein typisches solches Dorf an der peruanischen Südküste. Der Name, reicher Hügel, erinnert an den sagenumwobenen Silberberg im bolivianischen Potosí, der den spanischen Kolonisatoren einst einen unglaublichen Reichtum, den AnwohnerInnen aber nur Armut und Elend bescherte.
Vor vielen Jahren gab es in Cerro Rico einmal eine richtige Mine. Die mineros/as hatten sich ihr Wissen in der Praxis angeeignet, ihre Techniken unterscheiden sich nur wenig von jenen der Kolonialzeit. Ob Männer oder Frauen, alle gruben nach Gold. Die Frauen suchten hauptsächlich auf der Halde der ehemaligen Minengesellschaft, die Männer im Stollen. Immer wieder kam es zu Unfällen in der Mine. Denn jeder grub dort einen neuen Stollen, wo er glaubte, fündig zu werden. Und um das Gold aus dem Gestein zu lösen, verwendeten die GoldgräberInnen giftiges Quecksilber.
Die derzeitigen BesitzerInnen des Minengeländes wohnten in Lima. Sie schickten Aufpasser, um einen bestimmten Anteil der Produktion einzutreiben. Wer nicht zahlte, wurde bei nächster Gelegenheit von der Polizei festgenommen und wanderte wegen unerlaubtem Besitz von Dynamit ins Gefängnis.

Wer nicht zahlt wird festgenommen
Im wüstenartigen Küstenabschnitt zwischen den südperuanischen Städten Ica und Arequipa gibt es bis heute über hundert solcher Kleinbergbaudörfer. Das Andenhochland, die östlichen Andenabhänge in der Region Puno und der Urwald von Madre de Dios sind noch wichtigere Kleinbergbaugebiete in Peru. Doch die Lebensbedingungen der mineros/as verändern sich, ihre Hoffnung auf eine bessere Zukunft wächst.
Gold ist nicht zufällig das Hauptprodukt des peruanischen Kleinbergbaus. Es ist einfach zu vermarkten. Die GoldschürferInnen können morgens in der Mine arbeiten, am Nachmittag das Erz mahlen und am Abend bereits das Edelmetall verkaufen. Angefangen hatte es mit dem individuellen Goldbergbau in Peru zu Beginn der 80er Jahre, als der Goldpreis einen Höhenflug erlebte. Selbst Ende der 90er Jahre, als der Goldpreis mit etwa 270 US-Dollar pro Feinunze (etwa 31 Gramm) wieder auf einem Tiefpunkt angelangt war, bot der Kleinbergbau immer noch eine attraktive Alternative zur Landwirtschaft. Ob auf der Halde oder im Stollen, die Tagesproduktion eines Goldgräbers liegt bei etwa einem Gramm Gold. Das waren Ende der 90er Jahre etwa 9 US-Dollar und damit deutlich mehr als die 1,5 US-Dollar, die ein Taglöhner in der Landwirtschaft verdiente, auch wenn davon Kosten für Werkzeuge, Sprengstoff, die Miete des Mühlsteins, Quecksilber oder Bestechungsgelder abgezogen wurden.

Vom Kleinbauern zum Bergmann
Nicht alle Kleinbergleute arbeiten ausschließlich in Minen. Viele von ihnen kommen aus rein landwirtschaftlichen Gebieten und sind Kleinbauern und -bäuerinnen, deren Ernteerträge ein Überleben nicht ermöglichen. Das Zusatzeinkommen aus dem Bergbau, in der Zeit zwischen Aussaat und Ernte, ermöglicht ihnen die weitere Bewirtschaftung ihrer Felder. Manche wollen nur vorübergehend Gold schürfen und bleiben schließlich für immer. Zurzeit boomt die Branche. Denn der Preis des Edelmetalls ist auf 15 US-Dollar pro Gramm gestiegen. Die Anzahl der Familien, die sich vom Kleinbergbau ernähren, ist entsprechend in den letzten sechs Jahren um 50 Prozent gewachsen. Die Produktion stieg in diesem Zeitraum zwar nur um ein Drittel, doch deren Wert verdoppelte sich. Das Geld bleibt im Land, denn die Kleinbergleute importieren keine teuren Maschinen. Ihr Kapital ist die Arbeitskraft.

Die Geburtsurkunde der Kleinbergleute
Trotz seiner wachsenden Bedeutung wurde der Kleinbergbau in Peru und auch anderswo in Lateinamerika jahrelang ignoriert. Erst im Jahre 2001 wurde auf Initiative eines Schweizer Entwicklungsprojektes von VertreterInnen des Bergbauministeriums, einzelnen GoldgräberInnen und dem Privatsektor ein Vorschlag für ein Kleinbergbaugesetz ausgearbeitet. Das Gesetz wurde noch im selben Jahr verabschiedet. Danach dürfen die Kleinbergleute erstmals eigene Konzessionen erwerben oder Abbauverträge schließen. „Das Gesetz ist bei weitem nicht perfekt“, urteilt Manuel Reinoso, Präsident von der Mineroorganisation AMASUC (Zusammenschluss der Kleinbergleute des Südens und des Zentrums Perus), und fügt hinzu: „Immerhin wurde zum ersten Mal offiziell eingestanden, dass wir Kleinbergleute überhaupt existieren und Rechte besitzen. Das Gesetz ist quasi unsere Geburtsurkunde.“
Die neuen gesetzlichen Rahmenbedingungen veränderten den Bergbau. Fast in allen Minenstandorten gründeten die Kleinbergleute Interessensorganisationen. Diese unterstützen ihre Mitglieder in technischer, organisatorischer und juristischer Hinsicht, so dass es anschließend zu einer Serie von Betriebsgründungen in Form von Aktiengesellschaften oder Kooperativen kam. So auch in Cuatro Horas. Valerio Condori, einer der Goldschürfer vor Ort, fragt: „Wer investiert schon in etwas, das einem nicht gehört? Jetzt sind wir selbst Minenbesitzer. Wir haben bislang vier Bergbaukonzessionen erhalten und vier weitere beantragt. Unser Betrieb hat 500 Aktionäre, mehr als 1000 Mineros arbeiten täglich in der Mine. Wir teilen die Produktion gerecht unter allen Arbeitern und Arbeiterinnen auf und ein Anteil bleibt für Investitionen in der Mine und im Dorf.“

Fernsehen ohne Bier
In Cuatro Horas steht jetzt eine Schule, es gibt Strom, Fernsehen, einen Arzt und eine Apotheke. Eine Wasserleitung von einer acht km entfernten Quelle ist in Bau. Doch die Sitten sind streng. Denn die BürgerInnen haben beschlossen, in ihrem Ort keinen Alkohol mehr auszuschenken. „Wir haben das alles selbst aufgebaut, vom Staat kam kein Centavo. Selbst die Löhne der Lehrer zahlen wir selbst. Wir wollen, dass unsere Kinder eine Schulausbildung bekommen und nicht mehr, wie früher, mit zehn Jahren in der Mine arbeiten“, erklärt Valerio Condori nicht ohne Stolz. Die EinwohnerInnen stammen aus den Regionen Puno, Apurimac, Ayacucho, von dort, wo die Armut am größten ist. Auch ehemalige Sträflinge, die sonst nirgends mehr Arbeit finden, sind in Cuatro Horas angekommen. Wer bereit ist, hart und ehrlich zu arbeiten und sich ein neues Leben aufzubauen, sei in Cuatro Horas willkommen, sagt Condori.
So wie in Cuatro Horas ist es auch in anderen Bergbaudörfern. Überall haben sich Regionalorganisationen gegründet, die auf nationaler Ebene im Kleinbergbaudachverband CONAMA (Nationale Koordinationsstelle der Kleinbergleute) zusammengeschlossen sind. Auch die Frauen beginnen sich zu organisieren. Zwar werden ihre typischen Arbeiten, wie die Sortierung des Minerals, die Haldenklaubung oder die Verpflegung der Arbeiter, von den Männern noch als Hilfsdienste abqualifiziert, ihre Basisorganisationen bemühen sich aber, die Lebensbedingungen in den Dörfern zu verbessern. CONAMA hat mittlerweile weitere gesetzliche Verbesserungen des Kleinbergbausektors erreicht, darunter spezifische und praxisnahe Regelungen im Umweltbereich. So haben viele Dörfer gemeinschaftlich nutzbare Installationen eingerichtet, in denen das bei der Goldgewinnung genutzte Quecksilber aufgefangen wird. Damit wird eines der Hauptrisiken für Gesundheit und Umwelt zu reduziert. Firmengründungen wie in Cuatro Horas haben sich herumgesprochen. Wer noch nicht Aktionär einer Kleinbergbaufirma ist, gründet zusammen mit ein paar Kumpeln ein neues Unternehmen und nimmt seine Zukunft in die eigene Hand.

Die Mühlen der Bürokratie
Der Übergang von einer anonymen, rechtlosen Randgruppe zu einem formalen Wirtschaftszweig geht nicht von heute auf morgen. Die Kleinbergleute kämpfen mit bürokratischen Hindernissen. Traditionelle Gepflogenheiten lassen sich nicht immer mit staatlichen Normen in Einklang bringen. In aller Regel wird das goldhaltige Erz aufgeteilt, das jeder individuell aufbereitet und als Gold verkauft. In Goldgräberort La Rinconada, in der Region Puno, läuft das anders. Dort besteht die Bezahlung für HelferInnen in einer festgelegten Anzahl von Tagen, während derer sie die Mine auf eigene Faust ausbeuten dürfen. Die Kopfschmerzen, die solche Gebräuche den Steuer- oder Arbeitsämtern bereiten, lassen sich nachvollziehen. Das Dilemma der Behörden besteht darin, dass derartige Praktiken, von konventionellen Bergbaubetrieben angewandt, eine Ungerechtigkeit wären. Im Falle des Kleinbergbaus sind sie aber die gerechteste Entlohnungsform. Peruanischen BeamtInnen ist die Realität des eigenen Landes oft zu fremd, um dies zu verstehen.
In Teilen des Urwaldes von Madre de Dios dreht sich die öffentliche Diskussion um indigene Gebietsansprüche. Der Hintergrund vieler Proteste indigener Stämme gegen die Vergabe von Bergbaukonzessionen in den von ihnen beanspruchten Gebieten ist jedoch, dass sie selbst schon längst – ohne Konzession und unter Umgehung der Umweltauflagen – begonnen haben, das Gold mit Schubraupen aus dem Urwaldboden auszugraben. Diesem Dilemma steht der peruanische Staat ratlos gegenüber.
Wie wichtig der Kleinbergbau in Peru inzwischen vom Staat genommen wird, zeigte sich jüngst in Ananea, in der Region Puno. Dort verzichtete die Regierung darauf, die örtlichen Minen Pampa Blanca und Chaquiminas zu privatisieren und dekretierte deren Übergabe an lokale Kleinbergleute.

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