Der Wald ist nicht käuflich
Was die COP30 in Belém ändern muss

REDD+ (Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation, „Emissionen aus Entwaldung und Waldschädigung reduzieren“) ist als Idee bestechend: Wer Wälder schützt, soll belohnt werden. Mitte der 2000er Jahre, als klar wurde, dass bis zu 20 Prozent der globalen Emissionen durch Entwaldung entstehen – so viel wie der gesamte Verkehrssektor –, wurde der Ansatz unter dem Namen „Reducing Emissions from Deforestation in Developing Countries: Approaches to Stimulate Action“ („Emission aus Entwaldung in Entwicklungsländern reduzieren: Ansätze zur Anregung von Maßnahmen“) ins UN-Klimaregime eingebracht: Auf der COP11 in Montreal (2005) legten Papua-Neuguinea und Costa Rica einen Vorschlag vor, der die Anerkennung von vermiedener Entwaldung als Klimaschutzmaßnahme verlangte. Bald darauf erweiterte man das Konzept zu REDD+, das auch nachhaltige Waldbewirtschaftung und Aufforstung einschloss.
Auf der COP16 in Cancún (2010) einigte man sich auf sogenannte Safeguards („Leitplanken“), die verhindern sollen, dass Waldschutz soziale und ökologische Schäden anrichtet. Sie verlangten die Achtung der Rechte Indigener Völker und lokaler Gemeinschaften, die Sicherung traditioneller Wissenssysteme und eine breite Partizipation. Beispielsweise dürfen Naturwälder nicht in Plantagen umgewandelt werden, und Abholzung darf nicht in andere Gebiete verlagert werden. Diese „Cancún-Safeguards“ sind zwar politisch relevante Mindeststandards, aber völkerrechtlich weniger bindend als etwa die ILO-Konvention 169 zum Schutz Indigener Rechte.
Der entscheidende institutionelle Durchbruch erfolgte dann 2013 auf der COP19 in Warschau: Das Warsaw Framework for REDD+ („Warschauer Rahmenwerk für REDD+“) machte den Mechanismus sozusagen „geschäftsfähig”. Es legte fest, dass Länder nationale Strategien entwickeln, robuste Monitoring-Systeme aufbauen und sogenannte Referenzniveaus (Forest Reference Emission Levels, FREL) festlegen müssen. Diese Basislinien definieren, wie hoch die Emissionen ohne Gegenmaßnahmen wären. Erst wenn die Erfolge nachweislich über diesen Basislinien liegen, können Zahlungen erfolgen. Zudem wurde ein Safeguards Information System (SIS) verpflichtend, über das die Einhaltung der Schutzvorkehrungen transparent gemacht werden muss. Damit war REDD+ ein fester Bestandteil des Klimaregimes – technisch ausgearbeitet, aber politisch höchst umstritten.
Von Beginn an war REDD+ von Spannungen geprägt. Wälder wurden in erster Linie als Kohlenstoffspeicher behandelt. Vor allem für Indigene Völker aber sind sie kulturelle Territorien, spirituelle Räume und physische Lebensgrundlagen. Die Reduktion auf „Carbon Credits („Kohlenstoffkredite“) entwertet und verkürzt diese Vielfalt.
Ein wichtiger Punkt ist das Problem unklarer Landrechte. Viele Indigene Gebiete sind rechtlich nur unzureichend anerkannt. Oft sind die Landrechtssysteme ineffektiv bei der Sicherung von Außengrenzen – noch dazu ein Konzept, das Indigenen Gemeinschaften traditionell oft fremd ist. Wenn REDD+-Projekte auf Flächen unklarer Zugehörigkeit umgesetzt werden, kommt es zu Konflikten. Dokumentiert sind Fälle von „grünem Landraub“ – Landentziehungen im Namen des Klimaschutzes. Im brasilianischen Bundesstaat Pará etwa wurden großflächige REDD+-Projekte gestartet, bei denen Kohlenstoffkredite auf internationalen Märkten verkauft wurden, ohne die lokalen Gemeinschaften angemessen einzubeziehen oder ihnen eine faire Teilhabe zu sichern. Berichte sprechen von Landaneignung und der Verletzung traditioneller Nutzungsrechte.
Auch die technische Dimension sorgt für Misstrauen. REDD+ beruht auf komplexen MRV-Systemen (Monitoring, Reporting, Verification; „Überwachung, Berichterstattung, Prüfung“). Das begünstigt Regierungen, Beratungsfirmen und internationale Institutionen, während lokale Gemeinschaften (neben Indigenen Völkern beispielsweise auch afroamerikanische Gemeinschaften – in Brasilien Quilombolas genannt – oder Ribeirinhos, traditionelle Flussgemeinschaften) am Rand stehen. Kritiker*innen sprechen von Expertokratie – ein System, in dem diejenigen, die den Wald tatsächlich schützen, kaum mitentscheiden können. Schließlich stellt sich die Frage der Verteilung. Die Logik der Kohlenstoffmärkte erlaubt es Industriestaaten und Konzernen, sich durch Zertifikate von eigenen Reduktionsverpflichtungen freizukaufen. Doch die Einnahmen landen häufig nicht bei den Indigenen Wächtern, sondern bei Zwischeninstitutionen. So entsteht das Gefühl, dass Verantwortung externalisiert wird: Der Norden zahlt, der Süden trägt die sozialen Kosten.
Indigene Stimmen zwischen Ablehnung und Pragmatismus
„Man verkauft nicht die Luft, die man atmet, und man verkauft nicht seine Mutter“, bringen viele Aktivist*innen ihr Misstrauen gegenüber REDD+ auf den Punkt. Für sie ist der Wald kein Supermarkt, in dem Kohlenstoff als Ware in Regalen bereitliegt. Sie fürchten, dass mit jedem Vertrag ein Stück Souveränität verloren geht und, dass Versprechen nicht eingehalten werden.
Warum fordern Indigene Organisationen trotzdem finanzielle Unterstützung? Sie verweisen auf die Erbringung einer seit Jahrtausenden erbrachten und oftmals unterschätzten Leistung: den Schutz der artenreichsten Wälder der Erde. Dieser Schutz ist heute riskant und gefährlich. Indigene Wächter riskieren ihr Leben gegenüber Holzfäller*innen und Goldsucher*innen und sie verzichten auf kurzfristigen Profit durch Abholzung. Kompensation ist daher weniger Bezahlung für eine Ware als vielmehr Anerkennung einer globalen Dienstleistung – und eine Investition in ihre Kapazitäten, weiterzumachen.
Doch diese Spannung spaltet. Große Dachverbände der Indigenen Völker wie die APIB (Articulação dos Povos Indígenas do Brasil, „Vereinigung der Indigenen Völker Brasiliens“) lehnen REDD+ und andere marktbasierten Mechanismen weitgehend ab. In manchen Gemeinschaften klingt es pragmatischer: Wenn Geld für Patrouillenfahrzeuge oder Funkgeräte fehlt, erscheint manchen ein REDD+-Projekt, bei dem Mitsprache gesichert ist, als das kleinere Übel. Entscheidend ist die Kontrolle: Volle Einbeziehung von Anfang an, transparente Verträge, direkte Geldflüsse – und die strikte Einhaltung von FPIC (Free, Prior and Informed Consent), dem Prinzip der freien, vorherigen und informierten Zustimmung, wie es auch beim Konsultationsrecht in der ILO Konvention 169 der Fall ist.
Ein ungelöstes Problem bleibt die Haftung. In klassischen Projekten kaufen Unternehmen Zertifikate, die aber wertlos werden, wenn ein Brand – ob durch Dürre oder Brandstiftung – den Wald vernichtet. Wer trägt dann die Verantwortung? Viele Indigene Gemeinschaften lehnen es ab, für Risiken einzustehen, die sie nicht kontrollieren können.
Brasilien als Prüfstein
Die Ausgangslage für COP30 ist widersprüchlich. Brasilien hat unter Präsident Lula den Kurs gewechselt: Nach den Jahren der Entwaldung unter Bolsonaro sank der Waldverlust 2024 auf rund 6.300 km – über 30 Prozent weniger als im Vorjahr. Mit dem PPCDAm (2023-2027), einem laufenden Aktionsplan zur Bekämpfung der Entwaldung im Amazonas, bündelt die Regierung Maßnahmen für Überwachung, Territorialschutz und nachhaltige Entwicklung. Der Fundo Amazônia (Amazonien-Fonds), der durch Zuschüsse statt durch Zertifikate finanziert wird, zeigt, dass auch andere Wege möglich sind. Er wird seit 2008 mit Mitteln aus Norwegen und Deutschland gespeist und finanziert direkt Waldschutzprojekte.
Doch die Realität bleibt hart: Illegale Invasionen dauern an, die Agrar- und Bergbaulobby ist stark. Im Cerrado, im Herzen Brasiliens, der die artenreichsten tropischen Baum-Savannen der Welt beherbergt, steigt die Abholzung weiter. Rechtlich gibt es Fortschritte – etwa das Urteil des Obersten Gerichtshofs, welches 2023 die umstrittene Marco Temporal-These („Zeitrahmen-These“) verwarf und damit die Landrechte Indigener Völker stärkte. Trotzdem bleibt die Durchsetzung lückenhaft.
Auch geopolitisch ist das Bild zwiespältig. Die Amazonas-Staaten wollen internationale Verantwortung übernehmen, gleichzeitig aber Entwicklungsoptionen nicht aufgeben. Die Belém- Erklärung des Amazonas-Gipfels 2023 blieb mit vagen Bekenntnissen hinter den Erwartungen zurück und vermied Ziele wie ein Enddatum für Abholzung. Länder wie Guyana und Surinam erleben einen Ölboom, der Einnahmen und sozialen Fortschritt bringt. Dass ausgerechnet dort die Forderung nach einem fossilen Moratorium auf Widerstand stößt, überrascht nicht. Die COP30 wird daran gemessen werden, ob sie diesen Widerspruch produktiv adressieren kann.
Belém wird also zum Prüfstein: Gelingt es, REDD+ so zu gestalten, dass nicht nur Emissionen gezählt, sondern auch kulturelle Rechte respektiert, historische Leistungen gewürdigt und Gewinne fair verteilt werden? Oder bleibt es beim alten Muster, in dem Industriestaaten ihre Klimabilanz aufpolieren, während die wahren Kosten bei den Indigenen Wächtern des Waldes landen und der Mechanismus als „Kohlenstoff-Kolonialismus“ endet?
Ohne den Erhalt des amazonischen Regenwaldes schwinden die Chancen, die Folgen der globalen Klimakrise eindämmen zu können. Und ohne das Wissen und den Einsatz sowie den Schutz der (territorialen) Rechte Indigener Völker, steht es schlecht um die Zukunft des Regenwaldes. Die COP30 in Belém wird zeigen, ob die globale Gemeinschaft bereit ist, ihnen nicht als Käufer einer Ware, sondern als Partner auf Augenhöhe zu begegnen. Der Fremde im Wohnzimmer muss lernen zuzuhören, bevor er anfängt, es zu vermessen.
René Kuppe ist emer. a.o. Professor für Rechtsanthropologie an der Universität Wien mit Schwerpunkt auf Indigenen Rechten.





