Mexiko | Nummer 449 - November 2011

Deutsches Öl ins mexikanische Feuer

Kriegswaffenexporte aus Deutschland nach Mexiko sind stark angestiegen

In Mexiko tobt ein Krieg, an dem deutsche Unternehmen kräftig verdienen. Gegen das Rüstungsunternehmen Heckler & Koch läuft ein Ermittlungsverfahren wegen verbotener Lieferungen. Die deutsche Regierung zeigt derweil wenig Interesse, Exportgeschäfte Menschenrechtserwägungen unterzuordnen.

Peter Clausing

Deutschland verstärkt seine Zusammenarbeit mit Mexiko deutlich. Parallel zur Militarisierung des Landes, auf die Mexikos Präsident Felipe Calderón seit Ende 2006 im Rahmen seines „Krieges gegen den Drogenhandel“ setzt, kam es zu einem sprunghaften Anstieg deutscher Kriegswaffenexporte nach Mexiko. Diese haben sich um mehr als das Fünfzehnfache erhöht, vergleicht man die Angaben der Rüstungsexportberichte von 2003 bis 2005 (Exportvolumen im Bereich um 200.000 Euro jährlich) mit jenen von 2007 bis 2009 (im Durchschnitt über drei Millionen Euro pro Jahr). Der Bericht für 2010 steht noch aus. Die Bundesregierung verweigert die Auskunft darüber, wer die Lieferanten sind. In ihrer Antwort auf eine diesbezügliche Kleine Anfrage im Bundestag von Abgeordneten der Linkspartei vom 5. Juli 2011 verweist sie darauf, dass „eine Aufstellung der Ausfuhrgenehmigungen im gewünschten Detaillierungsgrad Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse des Unternehmens offenbaren (würde)“. Die Annahme, dass das Rüstungsunternehmen Heckler & Koch – einer der weltgrößten Hersteller von Handfeuerwaffen – Hauptnutznießer dieser Entwicklung ist, ist offensichtlich. Bereits 2005 erhielt die Firma vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle die Genehmigung, G36-Sturmgewehre an die zentrale Beschaffungsstelle des mexikanischen Verteidigungsministeriums zu liefern. Allein von 2005 bis 2007 lieferte das Unternehmen laut Homepage des Rüstungsinformationsbüros in Freiburg 8710 dieser Sturmgewehre, was einem Wert von 7,8 Millionen Euro entspricht.
Die Liefergenehmigung wurde laut der Bundesregierung seit Frühjahr 2007 mit dem Vorbehalt erteilt, dass örtliche Polizeikräfte in den mexikanischen Staaten Chiapas, Chihuahua, Guerrero und Jalisco mit diesen Waffen nicht ausgerüstet werden dürften. In diesen vier Bundesstaaten werde die Menschrechtslage als kritisch eingestuft. Sie fielen somit unter die Beschränkungen der Rüstungsexportrichtlinien. Bereits die Beschränkung dieses Vorbehalts auf nur vier Bundesstaaten und die dortigen örtlichen Polizeikräfte erscheint angesichts der landesweiten Menschenrechtsverletzungen durch faktisch alle Arten von Sicherheitskräften irrational. Doch von Heckler & Koch wurde selbst gegen diese minimale Beschränkung verstoßen: Polizeikräfte im Bundesstaat Chihuahua wurden nicht nur mit G36-Gewehren beliefert, sondern offenbar auch von Heckler & Koch an diesen ausgebildet.
Als Jürgen Grässlin, Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft, davon erfuhr, erstattete er am 19. April 2010 Strafanzeige gegen die Geschäftsführer der Firma. Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft begann zu ermitteln, das ARD-Fernsehen („Report Mainz“) berichtete im Dezember 2010 und der Fall war um die Weihnachtszeit in über 50 Zeitungen und Internetplattformen präsent. Die mexikanische Regierung selbst bestreitet hingegen, dass es seitens der deutschen Regierung oder des Waffenunternehmens eine Auflage gegeben habe, die Waffen nicht in bestimmten Bundesstaaten einzusetzen.
Heckler & Koch selbst behauptet, keine Waffen in die fraglichen Bundesstaaten geliefert oder Schulungen daranan diesenverweist hingegen auf ein Schreiben der Behörden des Bundesstaats Jalisco vom Herbst 2008, in dem sich diese für die Schulung an den Waffen bei Heckler & Koch bedankt. Ein ehemaliger Mitarbeiter der Waffenschmiede bestätigt zudem Lieferungen und Schulungen. Als Konsequenz der Anzeige Grässlins fand bei Heckler & Koch eine Hausdurchsuchung statt, das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft ist allerdings noch nicht abgeschlossen. Laut Holger Rothbauer, Anwalt von Jürgen Grässlin, sieht die Staatsanwaltschaft zwar den objektiven Tatbestand, aber nicht den subjektiven Tatbestand als erfüllt an, dass Heckler & Koch also wissentlich gegen die Auflagen verstoßen habe. Insgegesamt geht Rothbauer derzeit davon aus, dass das Verfahren eingestellt wird. Zum einen, da vor einiger Zeit ein ähnliches Verfahren gegen das Unternehmen in Bezug auf Georgien eingestellt wurde, zum anderen, da die Staatsanwaltschaft wenig engagiert sei. Grässlin selbst äußerte gegenüber den Lateinamerika Nachrichten, er „gehe fest davon aus, dass die Staatsanwaltschaft Stuttgart Anklage gegen Heckler & Koch erheben wird. Angesichts der Beweislage, wäre die Einstellung  des Verfahrens ein Skandal.“ Allerdings hat die Justiz in der Vergangenheit häufiger die Tendenz gezeigt, Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und das Außenwirtschaftsgesetz, die sich aus den Rüstungsexportrichtlinen ableiten, als Kavaliersdelikt zu behandeln.
Die Anfang 2000 von der damaligen rot-grünen Bundesregierung verabschiedeten Richtlinien sind nach wie vor gültig. Darin enthalten ist die Verpflichtung, bei Rüstungsexporten die Einhaltung der Menschenrechte in den Empfängerländern zu beachten. Die Richtlinien nehmen Bezug auf den „Verhaltenskodex der Europäischen Union für Waffenausfuhren“ vom 8. Juni 1998, der nach zehnjährigem Zögern durch den Gemeinsamen Standpunkt des Europäischen Rates zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (2008/944/GASP) zu einem für die EU-Länder verbindlichen Dokument wurde. Dort ist unter anderem festgelegt, eine Ausfuhrgenehmigung sei zu verweigern, wenn „eindeutig das Risiko besteht, dass die Militärtechnologie oder die Militärgüter, die zur Ausfuhr bestimmt sind, zur internen Repression benutzt werden können.“ Als interne Repression definiert der Gemeinsame Standpunkt „unter anderem Folter sowie andere grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung, willkürliche oder Schnell-Hinrichtungen, das Verschwindenlassen von Personen, willkürliche Verhaftungen und andere schwere Verletzungen der Menschenrechte und Grundfreiheiten“. Die Auflistung könnte als Kurzzusammenfassung der Menschenrechtssituation in Mexiko betrachtet werden.
Darüber hinaus verpflichten sich die Mitgliedsstaaten der EU eine Ausfuhrgenehmigung von Rüstungsgütern zu verweigern, wenn sie im Bestimmungsland bewaffnete Konflikte verlängern oder bestehende Spannungen oder Konflikte verschärfen würden. In Mexiko ist dies angesichts der ständig zunehmenden Gewalt und zivilen Opfern eindeutig der Fall. Die deutsche Regierung scheint dies wenig zu kümmern. Zwar äußerte sich der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning (FDP), im März 2011 gegenüber dem Südwestrundfunk dahin gehend, dass „wir derzeit überhaupt keine Waffen mehr nach Mexiko verkaufen (sollten).“ Doch mit dieser Haltung steht Löning in Regierungskreisen offenbar alleine da. In punkto Sicherheitstechnik und Transportmitteln, die nach wie vor nach Mexiko exportiert werden, sieht die Bundesregierung ebenfalls keinen Handlungsbedarf.
In ihrer Antwort auf eine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Inge Höger (Partei DIE LINKE) vom 4. Mai 2009 argumentiert die Bundesregierung, dass es sich bei Sicherheitstechnik und Transportmitteln nicht um Kriegswaffen handele, so dass diese von den Rüstungsexportberichten nicht erfasst werden. Aufgrund der so fehlenden Transparenz werden die Politischen Grundsätze aus dem Jahr 2000 praktisch nicht anwendbar. Dabei übergeht die Regierung geflissentlich, dass der Gemeinsame Standpunkt des Europäischen Rates die Exportbeschränkungen bei Menschenrechtsverletzungen nicht auf Kriegswaffen beschränkt, sondern auch auf „Militärtechnologie“ beziehungsweise „Militärgüter“ bezieht. Das beträfe demzufolge auch Kampfhubschrauber, die einen bedeutenden Posten der Rüstungsexporte von Deutschland nach Mexiko ausmachen. Im Februar dieses Jahres gab die in Donauwörth ansässige Firma Eurocopter, die Teil des deutsch-französischen Luft- und Rüstungskonzerns EADS ist, bekannt, dass sie ab dem zweiten Quartal 2011 zwölf Eurocopter EC725 (geschätzter Wert: mindestens 60 Millionen Euro) an das mexikanische Verteidigungsministerium liefern wird. Laut Pressemitteilung werden diese zwar nicht mit Bordwaffen bestückt sein, sondern „für Transport- und Zivilschutzaufgaben genutzt werden“.
Doch können unbewaffnete Helikopter durchaus unter das vom „Gemeinsamen Standpunkt“ definierte Kriterium für Rüstungsexportverbote fallen, wenn im Kontext der „Transportaufgaben“ Menschenrechtsverletzungen begangen werden. Dies wäre der Fall, wenn die Kampfhubschrauber für das „Verschwindenlassen von Personen“, für „willkürliche Verhaftungen“ beziehungsweise den Transport von Sicherheitskräften verwendet werden, die während ihres Einsatzes schwere Menschenrechtsverletzungen begehen. Hierzu gibt es zahlreiche Beispiele in Mexiko. So haben mexikanische und internationale Menschenrechtsorganisationen dokumentiert, wie während des Aufstandes der Bevölkerung im südmexikanischen Bundesstaat Oaxaca im Jahr 2006 Hubschrauber zum Einsatz kamen, um Tränengasgranaten abzuschießen oder um Scheinhinrichtungen durchzuführen, indem Festgenommenen angedroht wurde, sie während des Fluges hinunter zu stoßen. Ein „Grund zu der Annahme“, dass das Rüstungsgut „Kampfhubschrauber“ in Mexiko zu interner Repression genutzt wird, wie es im Gemeinsamen Standpunkt heißt, besteht daher allemal. Vor allem angesichts des frappierenden Zusammenhangs zwischen Militarisierung und Menschenrechtsverletzungen durch mexikanische Militärs und Polizei sowie fehlender Rechtsstaatlichkeit.
Denn mit dem Einsatz des Militärs für Aufgaben der inneren Sicherheit stieg die Zahl der Beschwerden bei der staatlichen Menschenrechtskommission (CNDH) stark an. Im Zeitraum von Dezember 2006 bis Juli 2011 erhielt die CNDH 5055 Beschwerden über Menschenrechtsverletzungen, die von Militärs gegenüber Zivilisten begangen wurden. Daraus wurden in 86 Fällen (1,56 Prozent) Empfehlungen abgeleitet, bei denen es in 13 Fällen zur Einleitung von Strafverfahren gegen eine oder mehrere Personen kam – also bei 0,3 Prozent der eingegangenen Beschwerden. Bei Menschenrechtsverletzungen durch die Sicherheitskräfte herrscht also de facto Straflosigkeit. Während der Sitzung des UNO-Menschenrechtsrates im Februar 2009 stellten über 40 mexikanische Organisationen in einem gemeinsamen Dokument fest, dass Folter eine systematische, allgemeine und straffreie Praxis ist, dass es einen fehlenden politischen Willen gibt, Fälle von Folter zu untersuchen, und dass willkürliche Verhaftungen von Führer_innen und Mitgliedern sozialer Bewegungen auf der Tagesordnung stehen. Selbst der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung kam im März 2011 nicht umhin festzustellen, dass sich „die Menschenrechtslage in Mexiko (…) in den letzten zwei Jahren weiter verschlechtert (hat)“. Warten die Gremien der Europäischen Union beziehungsweise des Europäischen Rates und die deutsche Bundesregierung auf eine Art Selbstanzeige der mexikanischen Regierung beim UNO-Menschenrechtsrat bevor ein Exportverbot für Kriegswaffen und Militärtechnologie ausgesprochen und angewandt wird? Den Preis zahlt bis dahin die mexikanische Bevölkerung.

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