Korruption | Nummer 587 - Mai 2023 | Venezuela

Dialog und Dollar

Während der Gespräche zwischen der Venezolanischen Regierung und der Opposition erschüttert ein Korruptionsskandal den Erdölstaat

Seit November vergangenen Jahres liegt der Dialog zwischen Opposition und Regierung in Caracas auf Eis. Kolumbiens Präsident Gustavo Petro startet nun eine neue Initiative. Venezuela selbst geht derweil gegen massive Korruptionsfälle im Erdölsektor vor. Was genau dahinter steckt ist unklar.

Von Tobias Lambert

Petro in Caracas Gespräche zwischen dem kolumbianischen und dem venezolanischen Präsidenten im März 2023 (Foto: Presidencia de Colombia via Flickr , CC BY-SA 4.0)

Es ist ein ambitioniertes Vorhaben. Ende April versammelte der kolumbianische Präsident Gustavo Petro in Bogotá Delegationen aus 19 Ländern und der Europäischen Union, um über eine mögliche Wiederaufnahme des Dialogs in Venezuela zu sprechen. Anwesend waren unter anderem Vertreter*innen aus den USA, Deutschland, Mexiko, Norwegen, der Türkei sowie mehrerer lateinamerikanischer Länder. Aus Venezuela selbst nahm niemand an dem Gipfel teil. Vertreter*innen der Opposition hatten sich im Vorfeld jedoch mit Petro getroffen und die Regierung von Nicolás Maduro drückte öffentlich ihre Unterstützung für das Treffen aus. Greifbare Ergebnisse brachte dies zunächst nicht, eine gemeinsame Abschlusserklärung blieb aus. Die kolumbianische Regierung formulierte jedoch das Ziel, einen verbindlichen Fahrplan für transparente Wahlen sowie die Aufhebung aller Sanktionen gegen Venezuela zu erreichen. Zudem setzt sich Petro dafür ein, dass Venezuela wieder Teil des Interamerikanischen Menschenrechtssystems wird. „Amerika kann kein Raum für Sanktionen sein. Es muss ein Raum der Freiheit und Demokratie sein“, betonte der kolumbianische Präsident. Diese Position hatte Petro seinem US-amerikanischen Amtskollegen Joe Biden bereits bei einem US-Besuch am 20. April übermittelt.

Der kolumbianische Präsident versucht als moderater Linker sowohl zu den Regierungen in Caracas und Washington, als auch zur venezolanischen Opposition einen guten Draht aufzubauen. Aufgrund der venezolanischen Migration und aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus hat er ein genuines Interesse an einem politisch und ökonomisch stabilen Nachbarland. Um konkrete Schritte zu vereinbaren, will Petro in Kürze nach Venezuela reisen und sich dort mit Regierung und Opposition treffen.

An dem Treffen in Bogotá nahmen 19 Staaten teil, jedoch niemand aus Venezuela

Die venezolanische Regierung begrüßte Petros Vorstoß prinzipiell, knüpfte die mögliche Wiederaufnahme des Dialoges jedoch an Bedingungen. Neben der Aufhebung der Sanktionen zählt dazu die Freigabe von drei Milliarden US-Dollar aus eingefrorenen Geldern Venezuelas, die dann unter UN-Verwaltung für soziale Belange verwendet werden sollen. Darauf hatten sich Regierung und Opposition bei ihrem letzten Treffen im vergangenen November geeinigt. Die USA hatten die Sanktionen auf den Erdölsektor damals leicht gelockert. Der Energiekonzern Chevron darf über seine vier Joint Ventures mit dem venezolanischen Staatsunternehmen PDVSA seitdem wieder venezolanisches Erdöl in die USA exportieren, die Einnahmen werden mit bestehenden Schulden verrechnet. Doch die vereinbarten drei Milliarden US-Dollar sind bis heute blockiert, der Dialog liegt nach diesem kurzen Tauwetter erneut auf Eis. Darüber hinaus fordert die venezolanische Regierung die Freilassung des in den USA inhaftierten kolumbianischen Geschäftsmanns Alex Saab. Dieser hatte im Auftrag der venezolanischen Regierung unter anderem den Import von Lebensmitteln unter Sanktionsbedingungen abgewickelt (siehe LN 569/570).

Überschattet wurde das Treffen in Kolumbien von der Personalie Juan Guaidó. Der ehemalige selbsternannte Interimspräsident Venezuelas war über die grüne Grenze nach Kolumbien eingereist, um laut eigenen Angaben an dem Venezuela-Gipfel teilzunehmen. Das kolumbianische Außenministerium erklärte jedoch prompt, Guaidó sei überhaupt nicht eingeladen. Dieser reiste anschließend nach Miami weiter und beklagte, aus Kolumbien ausgewiesen worden zu sein. Petro widersprach: „Offensichtlich wollte ein politischer Sektor den freien Verlauf der internationalen Konferenz zu Venezuela stören“, erklärte der kolumbianische Präsident. Es habe jedoch einen Deal gegeben, wonach Guaidó in die USA einreisen durfte. Kolumbien habe Transit gewährt, anstatt ihn nach Venezuela zurückzuschicken, obwohl Guaidó nicht offiziell eingereist sei. Guaidó selbst erklärte, vorerst kein Asyl beantragen zu wollen, sondern sich als Besucher in den USA aufzuhalten. In Venezuela allerdings fürchte er derzeit um seine Sicherheit.

Zuletzt mehrten sich die Gerüchte über einen bevorstehenden Haftbefehl. Dass Guaidó bisher auf freiem Fuß geblieben ist, war stets eine politische, keine juristische Entscheidung. Nach rechtsstaatlichen Kriterien hätte ihm nach mehreren Umsturzversuchen und Korruptionsfällen längst ein Prozess gemacht werden können. Die Regierung wollte ihn anscheinend bisher bewusst nicht belangen, weil dies international für weitere Spannungen gesorgt hätte und Guaidó eine so schwache Performance abgeliefert hat, dass er der Regierung mehr nützte, wenn er Oppositionsführer bleibt. Das ist er schon längst nicht mehr. Anfang des Jahres wählte ihn das Parlament von 2015, das sich nach wie vor zu digitalen Sitzungen trifft und von der US-Regierung als „letzte demokratische Institution Venezuelas“ anerkannt wird, sogar offiziell ab (siehe LN 584). In den Umfragen zur Vorwahl, mit denen die Opposition am 22. Oktober 2023 über eine gemeinsame Präsidentschaftskandidatur entscheiden will, spielt er keine Rolle.

Dass Guaidó bisher auf freiem Fuß geblieben ist, war stets eine politische, keine juristische Entscheidung

In Venezuela sieht sich die Regierung seit Mitte März indes mit einem massiven Korruptionsskandal konfrontiert. Durch die aufgrund der Sanktionen völlig intransparente Zahlungsabwicklung sollen im Erdölsektor mindestens drei Milliarden US-Dollar veruntreut worden sein. Der Nachrichtenagentur Reuters zufolge gehe aus internen Unterlagen hervor, dass dem venezolanischen Staat seit 2020 gar mehr als 20 Milliarden US-Dollar an Einnahmen entgangen sind, weil Zwischenhändler*innen das erhaltene Rohöl nicht bezahlten. Bis Ende April wurden laut offiziellen Angaben 61 Personen verhaftet. Darunter befinden sich drei Richter, ein Bürgermeister, ein ehemaliger Abgeordneter der Regierungspartei, der bisherige Leiter der Aufsichtsbehörde für Kryptowährungen Sunacrip, sowie zahlreiche Geschäftsleute und Funktionär*innen des staatlichen Erdölkonzerns PDVSA und des staatlichen Metallverabeitungskonglomerats Corporacion Venezolana de Guayana (CVG). Zudem liegen mindestens 20 weitere Haftbefehle vor. Einer der Beschuldigten, Leoner Azuaje, wurde in einer Haftzelle des Geheimdienstes Sebin tot aufgefunden. Laut einer Untersuchung der Generalstaatsanwaltschaft soll er Selbstmord begangen haben.

Erdölminister Tareck El Aissami war infolge der Ermittlungen bereits am 22. März zurückgetreten. Er kündigte an, die Aufklärung der Korruptionsfälle „voll und ganz zu unterstützen“. Angeklagt ist er selbst anscheinend nicht. Laut Gerüchten befindet er sich im Hausarrest, in der Öffentlichkeit hat er sich seitdem nicht mehr geäußert. El Aissami ist ein langjähriger chavistischer Funktionär, der bereits viele wichtige Posten bekleidete und als machtvoller Akteur innerhalb der Regierung galt. Präsident Maduro ersetzte ihn durch den Militär Pedro Rafael Tellechea, der seit Anfang des Jahres bereits den Erdölkonzern PDVSA leitet. Damit erhält das Militär noch mehr Einfluss innerhalb der Regierung und vor allem innerhalb des Erdölsektors, der praktisch sämtliche Devisen des Landes erwirtschaftet. Die Streitkräfte stellten sich hinter die Korruptionsermittlungen, auch wenn sich unter den Verhafteten mehrere Militärs befinden.

Dass es jetzt zu Korruptionsermittlungen kommt, ist erstaunlich. In den letzten Jahren war es in der Regel so, dass nur dann Ermittlungen gegen Chavist*innen eingeleitet wurden, wenn diese bereits mit der Regierung gebrochen hatten. Was nun genau dahinter steckt ist nicht ganz klar, die Opposition geht von Machtkämpfen innerhalb des Chavismus aus. Die Probleme bei PDVSA waren allgemein bekannt, die Regierung ignorierte sie jedoch bis zuletzt. Bereits 2020 hatten zwei junge Mitarbeiter*innen des Konzerns, Aryenis Torrealba und Alfredo Chirinos, beispielsweise auf Missstände und Korruption hingewiesen. Daraufhin wurden sie zunächst der Spionage bezichtigt, inhaftiert und standen zuletzt unter Hausarrest. Chavistische Basisorganisationen setzten sich jahrelang für die Beiden ein, Anfang April erhielten sie schließlich ihre Freiheit zurück. Dass El Aissami und andere Regierungsmitglieder von der Korruption innerhalb von PDVSA nichts gewusst haben sollen, gilt als höchst unwahrscheinlich. Auch dass zahlreiche amtierende Funktionär*innen plötzlich in enormem Reichtum leben, der mit ihren offiziellen Gehältern kaum zu erklären ist, dürfte niemandem entgangen sein.

Im Erdölsektor sollen mindestens drei Milliarden US-Dollar veruntreut worden sein

Korruption ist im Erdölland Venezuela seit Jahrzehnten ein großes Problem. Hugo Chávez gewann 1998 nicht zuletzt deshalb die Wahl, weil er im Gegensatz zu seinen Kontrahent*innen als nicht korrumpierbar galt. Während des Rohstoffbooms ab 2003 wurden jedoch viele Milliarden US-Dollar veruntreut, ohne dass Funktionär*innen zur Rechenschaft gezogen wurden. In den letzten Jahren sanken die staatlichen Einnahmen allerdings rapide, die Veruntreuung von Geldern fällt nun stärker ins Gewicht. Gründe dafür sind gefallene Erdölpreise, gesunkene Fördermengen, ausgebliebene Investitionen und die ab 2017 schrittweise verhängten US-Sanktionen. Diese führten dazu, dass venezolanische Erdölgeschäfte immer intransparenter abgewickelt wurden.

Maduro kündigte an, die korrupten Strukturen innerhalb des Staates restlos aufzudecken. Ende April verabschiedete das Parlament ein Gesetz, dass es künftig erlaubt, Besitztümer korrupter Personen zu beschlagnahmen. Im Zuge der laufenden Ermittlungen sollen laut Regierungsangaben bereits mehr als 1.000 Besitztümer beschlagnahmt worden sein, darunter Luxusapartments, Autos und Privatflugzeuge.

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