Nummer 403 - Januar 2008 | Sachbuch

Die Bürde des Reichtums

Das neue Jahrbuch Lateinamerika beschäftigt sich kritisch mit dem Rohstoffboom auf dem Subkontinent

Dinah Stratenwerth

Beim Thema der lateinamerikanischen Rohstoffe laufen zwei Dynamiken gegeneinander: Progressive Regierungen wie die von Hugo Chávez in Venezuela oder von Evo Morales in Bolivien versuchen mit schon lange genutzten, endlichen Ressourcen wie Erdöl neue Strukturen zu schaffen, die vor allem marginalisierten Bevölkerungsschichten zu Gute kommen. In Brasilien hingegen boomt der Markt der neuen oder auf neue Weise genutzten Ressourcen wie Ethanol und Biodiesel und reproduziert oftmals oligarchische Strukturen, die das Land schon lange beherrschen.
In der medialen Wahrnehmung in Deutschland wird Lateinamerika sowohl kritisch als auch unkritisch als zukünftiger Lieferant von Biomasse wahrgenommen. Das aktuelle Jahrbuch Latein­amerika Rohstoffboom mit Risiken beleuchtet die Ressourcenpolitik der lateinamerikanischen Regierungen historisch, politisch und ökonomisch. Es zeigt, dass die Bruchlinien in der Diskussion wesentlich komplizierter sind als es in den meisten deutschen Medien dargestellt wird.
Elmar Altvater und Ingo Bultmann nähern sich dem Thema historisch: Altvater stellt dar, wie die lateinamerikanischen Staaten seit der Kolonialzeit mit ihrem Reichtum umgingen. Eine Konstante in der mit dem Abbau von Rohstoffen verbundenen lateinamerikanischen Geschichte ist dabei laut Altvater der Streit zwischen Freihandel einerseits und Entwicklung unter Berücksichtigung sozialer Rechte andererseits. Dabei geht es seit Mitte des 20. Jahrhunderts natürlich vor allem ums Öl. In den letzten Jahren sei aber die Produktion von Biomasse zur Alternative geworden. Diese könnte das Öl als Einnahmequelle ablösen, doch das würde den erwähnten Widerspruch nicht ändern: „(…) wenn die Natur in Wert gesetzt und in Ware verwandelt und als solche zur Erzielung von Profiten in den kapitalistischen Kreislauf integriert wird, richtet sich die Produktion nicht mehr nach biologischen Rhythmen, sondern nach den Verwertungsbedingungen von Kapital“, schreibt Altvater. Entsprechend werden ökologische und soziale Schäden den Bedürfnissen des Marktes untergeordnet. Entscheidend, so Altvater, sei also nicht, welcher Rohstoff gefördert wird, sondern auf welche Weise und wie er genutzt wird. Als mögliche Alternative zur Kapitalisierung der Rohstoffe stellt er das von Hugo Chávez ins Leben gerufene, an den Bedürfnissen der Bevölkerung orientierte Integrationsprojekt ALBA dar.
Ingo Bultmann schildert die Geschichte der lateinamerikanischen Rohstoffe aus politischer Sicht und setzt seinen Fokus auf den Ressourcennationalismus. Sein Fazit: der Diskurs ist heute ein ähnlicher wie in den siebziger Jahren, doch die AkteurInnen sind andere. Aus den ethnischen und sozialen Bewegungen, die die politische Praxis verändern konnten, sind teilweise linke Regierungen hervorgegangen, die den Ressourcenreichtum der Länder nutzen wollen, um mehr Verteilungsgerechtigkeit zu schaffen.
Dabei enttäuschen sie jedoch häufig nicht nur UmweltschützerInnen sondern auch soziale Bewegungen. Thomas Fatheuer stellt das am Beispiel des brasilianischen Zuckerrohrs dar. Stefan Thimmel bezieht sich auf Zellulosefabriken in Uruguay und Regine Rehaag berichtet mit diesem Fokus über die Zukunft der Gentechnik in Brasilien. Vor allem Fatheuers Artikel trägt wesentlich dazu bei, die Komplexität des Themas darzustellen. Und er hat die Größe zuzugeben, dass viele Faktoren noch unbekannt sind: „Bevor die internationale Umweltgemeinde vorschnell viel Geld und Energie auf bestimmte Lösungsansätze verwendet, sollten wir uns eingestehen, dass wir sehr wenig über die Entwicklungsmöglichkeiten des Agroalkohols in Brasilien wissen.“ Fatheuer zeigt, dass es vor allem um die Landnutzung geht. Der künftige Anbau von Zuckerrohr zur Gewinnung von Ethanol verringert das Weideland, das sich dann in Richtung Amazonas verlagert. Lulas Regierung gehe es vor allem um Wachstum, so Fatheuer. Wenige große Konzerne treiben dafür den Ausbau der neuen Rohstoffe voran und so reproduziere die linke Regierung oligarchische Strukturen. Das gelte auch für die Ausbreitung von Gensoja, die Lula zulässt, obgleich er vor seiner Wahl versprochen hatte, Gentechnik in Brasilien zu verbieten.
Auch in Uruguay ist das Verhalten der Regierung dem Wunsch nach Wirtschaftswachstum geschuldet: Massiv wird in Zellulose-Monokultur für den Export vor allem nach Europa investiert. Stefan Thimmel beschreibt, warum dies stark die Umwelt zerstört, ohne dabei Arbeit zu schaffen.
Wie kompliziert in solchen Konflikten die Fronten verlaufen, stellt Michael Pollman am Beispiel des Bergbaus in Peru dar: Die Wahrnehmung von Umweltzerstörung ist eine andere, je nachdem, ob Bäuerinnen und Bauern oder transnationale Unternehmen den Wald abbrennen. Ähnlich argumentiert Ulrich Brandt in seinem Beitrag über Biodiversität. Er beschreibt, wie in Mexiko Staat und NRO zusammenarbeiten, um Gebiete zu schützen und zugleich für transnationale Firmen zugänglich zu machen. Pollman fordert Vermittlung durch neutrale AkteurInnen, während sich Brand darauf beschränkt, die Widersprüche des Konflikts aufzuzeigen.
Wie Kuba sich hinsichtlich dieser Dynamiken positioniert, ist eine Frage, die Silke Helfrich eher unstrukturiert beantwortet. Sie behandelt eine Vielzahl von Themen, die allesamt interessant sind, aber wenig vertieft werden. Klar wird: Auch Kuba will unabhängiger von Rohstoffimporten werden, ist dabei jedoch vor andere Probleme gestellt. So wäre die Erzeugung von Ethanol von der Landnutzung her kein Problem, aber Castro lehnt sie ab, weil auch die USA die Erzeugung von Agro-Treibstoff vorantreiben. Im Zusammenhang mit Kuba wird die Rohstofffrage eher selten erwähnt, deswegen ist der Beitrag im Jahrbuch trotz seiner Schwächen gut platziert.
Generell gelingt es den AutorInnen des Jahrbuchs, neue Konfliktlinien aufzuzeigen und Vorschläge zu einem Thema zu machen, das in der Diskussion um Klimawandel und Energiesicherheit sehr präsent ist. Zugleich zeigen sie, wie Machtstrukturen auf dem lateinamerikanischen Kontinent hartnäckig bestehen bleiben, auch wenn jetzt linke Regierungen die Kontrolle über die fossilen und regenerativen Rohstoffe übernommen haben.

Karin Gabbert et al. (Hg.) // Jahrbuch Lateinamerika 31 Rohstoffboom mit Risiken // Westfälisches Dampfboot Verlag // Münster 2007 // 222 Seiten // 24,90 Euro

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