Lateinamerika | Nummer 286 - April 1998 | USA

Die certification, eine abgenutzte Waffe

Neue Runde in der US-Drogen“bekämpfung“

Zwischen Irak-Krise und Sex-Affäre ist Ende Februar eine Nachricht aus Washington weitgehend untergegangen: Die alljährlich fällige certification wurde diesmal keinem lateinamerikanischen Staat verweigert. Seit 1986 wird sie denjenigen Ländern verliehen, die sich nach Ansicht der US-amerikanischen Regierung in ausreichendem Maße der Drogenbekämpfung widmen. Wegen übergeordneter Interessen blieb die Taktik der certification jedoch zahnlos, heute mehr denn je.

Ralf Leonhard

Anders als in den vergangenen beiden Jahren wurde Kolumbien, dessen Präsident Ernesto Samper bis zum letzten Moment zittern mußte, die Bescheinigung „im nationalen Interesse“ der USA ausgestellt. Zwar wurde der bedingte „Freispruch“ von Vertretern der kolumbianischen Regierung und Opposition, von Unternehmern und Menschenrechtsaktivisten gleichermaßen gefeiert, doch gibt es in Kolumbien kaum mehr jemanden, der diesen Mechanismus als taugliches Instrument zur Eindämmung des Dro-genhandels und -konsums betrachtet.
Nicht einmal der Präsidentschaftskandidat der Konservativen, Andrés Pastrana, der 1994 in der Stichwahl gegen Ernesto Samper unterlegen war, hätte sich über eine neuerliche Bestrafung seines Landes gefreut. In einem Brief an den US-Kongreß hatte er sich für die Zertifizierung eingesetzt, obwohl er behaupten kann, er hätte seinerzeit nur verloren, weil Samper von den Drogenbossen sechs Millionen Dollar für die Wahlkampfkasse bekommen hat. Diese von Samper nicht glaubwürdig widerlegten Vorwürfe waren ja auch der Grund für die Maßregelung Kolumbiens durch die US-Regierung.
Im Jahre 1986 verabschiedete der Kongreß in Washington das Drug Abuse Act. Alarmiert durch den steilen Anstieg von Drogenkriminalität und Suchtmittelmiß-brauch in den USA, sollte so die Drogenbekämpfung vor allem zu einer polizeilich-militärischen An-gelegenheit gemacht werden.

Hehre Vorsätz

Seither muß der Präsident jedes Jahr eine Bescheinigung ausstellen, daß Staaten, auf deren Territorien verbotene Suchtmittel hergestellt oder für den Export verladen werden, in der Drogenbekämpfung ausreichend kooperieren. Gerechtfertigt wird diese interventionistische Zeugnisverteilung mit dem Argument, daß es um Steuergelder der US-Bürger gehe. Denn wer nicht besteht, bekommt keine Wirtschaftshilfe.
Seit Ronald Reagan hat denn auch jeder US-Präsident mit einem neuen Programm den Drogen den Krieg erklärt. Mit geringem Erfolg. Der steile Aufstieg der Modedroge Kokain ist nicht aufzuhalten, während das ebenso billige wie gesundheitsschädliche Nebenprodukt Crack ganze Generationen von – hauptsächlich schwarzen – Jugendlichen ruiniert. Der Kokainbedarf der gestreßten Manager, Yuppies, Rockmusiker und Filmsternchen wird fast zur Gänze aus der Produktion der Andenländer gedeckt. Ursprünglich vor allem aus Bolivien und Peru, wo der rituelle Konsum des Coca-Blattes seit Jahrtausenden medizinische und religiöse Bedeutung hat. Verarbeitet wurden die Blätter teils in den Ursprungsländern, teils in Kolumbien. Dort entwickelte sich in den 70er Jahren eine auf den Transport in die USA spezialisierte Mafia. In den letzten Jahren hat sich Kolumbien, wo es kaum traditionelle Coca-Konsumenten gibt, auch als wichtigstes Anbaugebiet etabliert. Zig-tausende Hektar Tropenwälder mußten weichen, um dem rentablen Agrarprodukt Platz zu machen.
Daß Staaten, denen die Zer-tifikation verweigert wird, keine Wirtschaftshilfe von den Vereinigten Staaten bekommen, können die meisten verkraften. Schmerzhafter ist, daß ihnen der Zugang zu günstigen Krediten der internationalen Finanzinstitutionen verwehrt wird, weil sich die USA querlegen. Zusätzlich kann es noch Wirtschaftssanktionen setzen, etwa die Kürzung von Exportquoten oder das Streichen von Zollpräferenzen. Länder wie Afghanistan, Myanmar und Nigeria stehen regelmäßig auf der schwarzen Liste. Nicht zufällig handelt es sich um politisch ausgegrenzte Staaten, mit denen die USA sowieso kaum Wirtschaftsbeziehungen unterhalten.
Für die cocaproduzierenden Andenländer, die wirtschaftlich sehr eng mit den USA verflochten sind, wurde die certification jahrelang nur als Damoklesschwert eingesetzt. Sie diente vor allem dazu, die Regierungen zu radikalen Anti-Drogenprogram-men zu zwingen. Mit verheerenden innenpolitischen Folgen. In Bolivien wurden Spezialeinheiten der Armee eingesetzt, um die Coca-Sträucher auszureißen. Bei Zusammenstößen gab es in diesem sonst eher friedlichen Land Tote und Verletzte.

Wo kein Rubel rollt

Als Kolumbiens Präsident Virgilio Barco 1989 begann, wunschgemäß Drogenhändler an die USA auszuliefern, antwortete das Kokainkartell von Medellín mit einer beispiellosen Terrorwelle, der Richter, Journalisten und mehrere Präsidentschaftskandidaten zum Opfer fielen.
Der Erfolg: Die Anbaufläche der verbotenen Kulturen, Coca und zunehmend Schlafmohn für die Heroingewinnung, weitete sich aus, weil die Nachfrage in den USA zunahm. Programme, die alternative Kulturen fördern sollten, erwiesen sich mehrheitlich als politische Feigenblätter. Zur nachhaltigen Existenzsicherung der Bauern dienen sie nicht.
Schon lange erscheint es den Kritikern des Zertifikationsme-chanismus obszön, daß der größte Kokainkonsument der Welt über den größten Kokainproduzenten richtet. Schließlich gehorcht die vermehrte Produktion nur dem marktwirtschaftlichen Prinzip von Angebot und Nachfrage.

Bei Mexiko ist manches anders

Daß Kolumbien vor zwei Jahren, ausgerechnet nach der Festnahme der wichtigsten Chefs des Drogenkartells von Cali, erstmals dezertifiziert wurde, war auch in den USA nicht unumstritten. So griff die New York Times das Thema in einem Leitartikel auf und stellte die Tauglichkeit der certi-fication als Instrument der Dro-genbekämpfung in Frage. Die Pro-duzentenländer zu bestrafen sei gefährlich und trage nur zur Mythenbildung über die Drogenproblematik bei. Den Menschen werde vorgegaukelt, daß nur Lateinamerika schuld sei und nicht die USA, wo die Nachfrage ständig steige. Im übrigen hätte Kolumbien sicherlich mehr gegen die Drogen unternommen als Mexiko.
Dort erreichte die Verstrickung der Drogenmafia mit allerhöchsten Kreisen von Regierung und Armee zwar unter Präsident Salinas de Gortari (1988-1994) einen makabren Höhepunkt, wird aber unter Ernesto Zedillo keineswegs wirksam bekämpft. Dennoch kann das Land aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus nicht dezertifiziert werden. Eine rote Karte für den NAFTA-Partner wür-de die Integrationspolitik, von der besonders die USA profitiert haben, zunichte machen.
Kolumbien hat zwar in den letzten Jahren keine Wirtschaftshilfe, aber zunehmend Militärhilfe bekommen. Daß die für Drogenbekämpfung bestimmten Gelder in zunehmendem Maße für die Guerillabekämpfung eingesetzt werden, ist dem Pentagon längst bekannt. Schließlich wurden die Guerillaorganisationen FARC und ELN, die Coca-Bauern beschützen und „Steuern“ von Zwischenhändlern kassieren, erfolgreich als „Narco-Guerilla“ gebrandmarkt. Unangenehm nur, daß selbst das State Department in seinen jüngsten Länderberichten einen Zusammenhang mit den zunehmenden Menschenrechtsverletzungen durch Armee und Paramilitärs herstellt. Der Zertifikationsmecha-nismus hat damit entscheidend an Überzeugungskraft eingebüßt. Wenn Präsident Clinton durch eine Offensive gegen die Drogen von seinen Grapsch-Affairen ablenken will, wird er sich wohl eine neue Strategie zurechtlegen müssen.

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren