Nummer 288 - Juni 1998 | Sport

Die Freude des Torhüters auf den Elfmeter

Paraguays Fußballheld spielt im und vor dem Tor

Mit dem verhinderten Präsidentschaftskandidaten Lino Oviedo soll er sich schon geprügelt haben: José Luis Chilavert, die schillernde Figur des paraguayischen Fußball, ein toreschießender Torhüter, der aber auch schon mal mit der Faust ins Schwarze trifft.

Jürgen Vogt

Ich will Präsident werden und der Korruption in meinem Land ein Ende setzen,” sagte Südamerikas Fußballer des Jahres 1996. Bevor es vielleicht einmal soweit sein könnte, wird er für sein Land nach Frankreich fahren und dort zumindest versuchen das eigene Tor sauber zu halten.
José Luis Felix Chilavert González, 32 Jahre alt, Torwart und paraguayischer Staatsbürger, hat einen großen Anteil daran, daß Paraguay nach zwölf Jahren Wartezeit wieder zur Endrunde einer Fußballweltmeisterschaft fahren wird. Dabei verhinderte Chilavert nicht nur jede Menge Tore gegnerischer Stürmer, er schoß und schießt selber welche: Als der Schiedsrichter kurz vor Ende des Qualifikationsspiels gegen Argentinien Freistoß gepfiffen hatte, schnappte er sich den Ball, legte ihn sich zurecht und zirkelt ihn aus 20 Metern zum 1:1 Endstand ins Tor des argentinischen Gastgebers. Für Chilavert nichts Ungewöhnliches, hat er doch während seiner bisherigen Karriere als Torhüter schon über dreißig Mal ins gegenerische Netz getroffen. Die Mehrzahl davon als sicherer Elfmeterschütze vom ominösen Punkt.
Als Gruppenzweiter hinter Argentinien schaffte Paraguay den Sprung zur WM. Und die Argentinier wurmt es heute noch, daß sie dabei im eigenen Land ausgerechnet gegen Paraguay unentschieden spielten. Der Schütze zum Ausgleich bekommt das fast an jedem Spieltag der Liga zu spüren, denn als Vereinsspieler hütet José Luis Chilavert das Tor des argentinischen Spitzenclubs Vélez Sarsfield. Und auch das mit Erfolg: Beim Abbruch der laufenden Rückrundensaison steht er mit seinem Verein an der Tabellenspitze, hat von sechzehn Spielen nur eines verloren und mit zwölf Gegentreffern die wenigsten Tore von allen kassiert. Zwar fehlen noch drei Spieltage, aber alles spricht für Vélez als Meister, wenn, ja wenn die Runde zu Ende gespielt wird.
Daß die Saison in Argentinien wegen der Gewalt auf den Rängen vorerst abgebrochen wurde, liegt nicht an Chilavert. Aber ein Vorbild im Sinne von ‘Keine Macht den Doofen’ ist Chilavert beileibe nicht. Er gilt als undiszipliniert, arrogant, exzentrisch, cholerisch und als guter Schauspieler. Außerhalb des Spielfeldes wurde er im September 1996, pikanterweise kurz nach seinem 1:1-Ausgleich, von einem argentinischen Zivilgericht zu drei Monaten Gefängnis und einer dreizehnmonatigen Spielsperre verurteilt, weil er zwei Jahre zuvor einen Platzwart verprügelt hatte. Ins Gefängnis ging er allerdings nicht und auch die Spielsperre wurde vom argentinischen Verband ausgesetzt. Während der Qualifikationsrunde wurde er nach einer Faustkampfeinlage gegen den kolumbianischen Spitzenspieler Faustino Asprilla für fünf Spiele gesperrt und auch in der nun ausgesetzten Rückrundensaison stand er wegen unsportlichem Verhaltens nicht alle sechzehn Begegnungen im Tor.

Prügelknabe Chilavert

Trotz Negativschlagzeilen nach Prügelszenen ist Chilavert der unumstrittene Star der paraguayischen Nationalelf. Ein überragender Keeper, reaktionsschnell auf der Linie, mit gutem Stellungsspiel, und er kann Fußball spielen. Eine Eigenschaft, die nicht jeder Torwart besitzt. Seine Laufbahn begann bei seinem Heimatverein Sportivo Luqueño. Bereits mit fünfzehn Jahren stand er im Tor der ersten Mannschaft. Mit achtzehn wechselte er 1984 zu Guariní Asunción in die erste Liga. Und, logisch, das Ausland kaufte ihn weg: Ein Jahr später stand er im Tor des argentinischen Erstligisten San Lorenzo. Vier Jahre später zog es ihn zu Real Zaragoza in die spanische Liga, aus der er 1992 noch immer ohne irgendeinen bedeutenden Titel nach Argentinien zum Renommierverein Vélez Sarsfield zurückkehrte. Hier begann das Titelsammeln: Dreimal hat er die argentinische Meisterschaft, 1994 die Copa Libertadores (südamerikanischer Vereinsmeisterpokal), danach gegen den AC Mailand den Weltpokal für Vereinsmannschaften und 1996 die Supercopa gewonnen. Auch als Einzelspieler heimste er einige Titel ein: 1995 Argentiniens Fußballer des Jahres, 1996 Südamerikas Fußballer des Jahres und 1997 wurde er gar zum Welttorhüter des Jahres gewählt.
Seine Laufbahn im Tor der Nationalmannschaft begann während seiner Zeit in Spanien mit einem 2:1 Sieg gegen Kolumbien. Einer der Torschützen: José Chilavert. Sein erstes Turnier als die Nummer Eins für Paraguay spielte er 1991 in Chile bei der Copa América. Nach der Vorrunde war aber schon Schluß. Zwei Jahre später schaffte es Paraguay immerhin ins Viertelfinale. Richtig große Erfolge feierte Chilavert mit der Nationalelf bislang jedoch nicht. So ist allein die Qualifikation für die WM in Frankreich als Zweitplazierter vor Kolumbien und Chile ein Triumph, der die paraguayischen Fußballfans in Euphorie versetzte. Aber auch ein Verdienst des brasilianischen Trainers Paulo Cesar Carpegiani. Er brachte Chilavert 1995 nach einem zweijährigen Dauerstreit des Keepers mit den Funktionären des Fußballverbandes ins Nationalteam zurück und machte aus einer Ansammlung von Arbeitsmigranten ein Team: Von den 22 für Frankreich vorgesehenen Spielern stehen gerademal drei bei paraguayischen Vereinen unter Vertrag. Die Mehrzahl spielt in den Nachbarländern Brasilien und Argentinien. Und was die WM-Teilnahme für die nationale Befindlichkeit bedeutet, bringt Abwehrspieler Carlos Gamarra auf den Punkt: “Wir werden der Welt beweisen, daß wir gute Fußballspieler haben. Viele denken doch, bei uns wohnen nur Indios, Analphabeten und Bauern.”
Sollte Paraguays Nationalelf in Frankreich gut abschneiden, die eine oder andere Überraschung an den Tag legen und vor allem Chilavert hinten den Kasten sauber halten und vorne einen rein machen, dann könnte der ohnehin schon als Nationalheld geltende Torhüter eines Tages wirklich das Präsidentenamt hüten, sauber halten und das Land nach vorne bringen. Bleibt also nur zu hoffen, daß er nicht die Sportart wechselt und mit General Oviedo in den Ring steigt.

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