Nicaragua | Nummer 311 - Mai 2000

Die FSLN am Abgrund

Immer mehr SandinistInnen verweigern Parteichef Ortega die Gefolgschaft

Der Pakt mit den Mächtigen hat in der Geschichte Nicaraguas eine lange Tradition. Präsident Moncada, der sich mit der Okkupation der US-Marines abfinden wollte und Sandino verriet, ist in ebenso unrühmlicher Erinnerung wie Fernando Agüero, der sich seine Popularität von Somoza abkaufen ließ. Auch die Sandinistische Befreiungsfront (FSLN) bekommt wenige Monate nach einem unrühmlichen Arrangement mit den regierenden Liberalen von der eigenen Basis die Rechnung serviert. Immer mehr Parteiaktivisten protestieren durch stillen Boykott der Parteiarbeit oder formieren sich im Linksblock, der Daniel Ortega den Kampf angesagt hat.

Ralf Leonhard

Wir gehen nicht und lassen uns auch nicht rausschmeißen.” Unter diesem Motto trat am 25. März die sandinistische Linke mit einem Manifest an die Öffentlichkeit, das die Parteiführung herausfordert. Gleich im ersten Punkt wird klargestellt: „Die FSLN ist unsere Partei, unser Haus.“ Bisher waren Dissidenten immer als Rechtsabweichler oder von persönlichem Ehrgeiz besessene Individualisten gebrandmarkt und aus der Partei gedrängt worden. Die von Mónica Baltodano angeführte Gruppe will sich aber nicht so leicht in die Flucht schlagen lassen. Sie unterstützt bei den für Herbst vorgesehenen Kommunalwahlen „Kandidaten der FSLN, die sich gegenüber der Bevölkerung auf programmatische Zusagen festlegen.“ Die Ambitionen von Daniel Ortega, die FSLN in die Präsidentschaftswahlen 2001 zu führen, will man durch einen Gegenkandidaten blockieren.
Die 45-jährige Monica Baltodano, eine der wenigen Frauen, die noch auf den Ehrentitel Comandante hört, ist keine Frau, der man mangelnde Loyalität gegenüber der Partei nachsagen kann. Jahrelang stellte sie sich, teils aus Disziplin, teils aus Überzeugung, hinter Entscheidungen, die eigentlich nicht zu verteidigen waren, und hielt zum ewigen Parteichef Daniel Ortega. Doch als Ortega mit Präsident Arnoldo Alemán die politischen Pöstchen aufzuteilen begann und die demokratischen Institutionen wie den Rechnungshof außer Kraft setzte, rebellierte in ihr die Revolutionärin gegen die Parteisoldatin. Sie wurde zu einer der erbittertsten Gegnerinnen des Paktes. Schon nach dem Parteitag vom November 1997 hatte sie sich zunehmend frustriert gefühlt. Daniel Ortega hatte damals in einer historischen Rede versprochen, dass sich die Partei verändern würde. „Aber nach zwei Tagen begann sich der Widerstand gegen diese Veränderungen durchzusetzen“, klagte Mónica Baltodano kürzlich in einem Interview. Ein vom Nationaldirektorium vorgeschlagener Demokratisierungsprozess wurde von einer Gruppe um Tomás Borge systematisch boykottiert. Seither wurde auch das Nationaldirektorium nicht mehr einberufen. Bei den Sandinisten regiert jetzt eine Gruppe von Politsekretären, die dem Parteichef hörig sind.
Wie es seither um die FSLN bestellt ist, kann man in Nicaragua auf Schritt und Tritt beobachten. Leute, die viele Jahre ihres Lebens für die Revolution geopfert haben und sich immer noch als überzeugte Sandinisten bezeichnen, wollen mit der Partei nichts mehr zu tun haben. Die Strukturen auf der Basisebene funktionieren schon lange nicht mehr. Andere haben die Seite gewechselt und sind aus Opportunismus zu den Liberalen übergelaufen. In der Sandinistischen Bewegung sieht kaum mehr jemand eine Option für politische Veränderungen.
Die meisten Künstler und Intellektuellen, die einst auch im Ausland viel für das Image der Sandinistischen Revolution getan hatten, haben sich vor fünf Jahren mit dem ehemaligen Vizepräsidenten Sergio Ramírez abgesetzt. Die von Ramírez gegründete Sandinistische Erneuerungsbewegung (MRS) war zwar ein politischer Rohrkrepierer und wird die nächsten Wahlen nicht mehr überleben, doch ihre Geschichte hat gezeigt, wie wenig Platz in der FSLN für innere Demokratie und offene Debatte ist. Die Parteilinke, in der sich die verbliebenen Denker organisiert haben, hat sich vorgenommen, sich auf keinen Fall hinausekeln zu lassen. Ihr wortgewaltiges Sprachrohr hat sie in William Grigsby Vado, der seinen Radiosender “La Primerísima” zu einem Bollwerk der Paktgegner gemacht hat. „Unsere Mission ist es, der FSLN zu ihrer revolutionären Identität zurück zu verhelfen, die von einer Mehrheit von Anführern des Paktes verpfändet und mit rechten Ideen und zaghaften Positionen usurpiert wurde“, verkündete er kurz nach der ersten offiziellen Versammlung der Parteilinken in Managua. Ziel ist offenbar nicht ein kurzfristiger Putsch in der Partei, sondern ein Kräftemessen auf dem Parteitag von 2002.
Ganz zurückgezogen hat sich Henry Ruiz, einer der historischen Comandantes de la Revolución, der es 1994 gewagt hatte, gegen Daniel Ortega für das Amt des Generalsekretärs zu kandidieren. Die öffentliche Demütigung, mit der sein Vorstoß auf dem Parteitag geahndet wurde, hat er noch weggesteckt. Zur öffentlichen Kritik ließ er sich nie hinreißen. Doch die jüngste Entwicklung war auch ihm zu viel. Vor kurzem hat er offiziell seinen Abschied von der Partei genommen.

Drohungen gegen Vilma Núñez

Ähnlich ging es der Anwältin und Leiterin des Menschenrechtsbüros CENIDH, Vilma Núñez. Auch sie war mit ihrer Kritik immer äußerst zurückhaltend. Im jüngsten Jahresbericht des CENIDH geißelt sie aber die Korruption der Regierung und die Paktpolitik der FSLN-Führung gleichermaßen: „Die Logik des Abkommens basiert auf der gegenseitig zugesicherten Straflosigkeit. Wenn die gegenwärtige Regierung von der öffentlichen Meinung als ‘die korrupteste in der Geschichte Nicaraguas’ gesehen wird, so hat auch die ‘Oppositionspartei’, die mit ihr diese Verfassungsreformen ausgehandelt hat, Anführer, die in schwere Korruptionsakte und Machtmissbrauch verwickelt sind.“ Vilma Núñez, die vom Innenministerium in den Dunstkreis des Terrorismus gerückt wird, hat in letzter Zeit sehr ernst zu nehmende Morddrohungen erhalten, deren Ursprung im liberalen Lager vermutet wird.
Für den Pakt mit Alemán, von dem er sich Aussichten auf die Präsidentschaft bei den nächsten Wahlen erhofft, muss Daniel Ortega einen hohen Preis zahlen. Sogar der Pastor Miguel Angel Casco, lange Zeit einer der vehementesten Verteidiger des Parteichefs, hat sich abgesetzt. Er ist samt seinem Abgeordnetenmandat zur evangelikalen Partei Camino Cristiano übergelaufen. Selbst seinen Stellvertreter im Parlament Orlando Tardencilla konnte er mitnehmen. Tardencilla wurde Anfang der 80er Jahre zum sandinistischen Nationalheld, als er in den Reihen der salvadorianischen FMLN kämpfend von den USA gefangen genommen und verhört wurde, aber nach kurzer Zeit freigelassen werden musste. Camino Cristiano ist auch die politische Endstation von Ortegas ewigem Weggefährten Carlos Guadamuz, der lange Jahre den sandinistischen Sender Radio YA geleitet hatte. Da er seine Aufgabe darin sah, alle politischen Gegner über den Äther mit Jauche zu begießen, gab es wenige, die zu seiner Verteidigung aufstanden, als ihm in einer konzertierten Aktion von Partei, Parlament und Justizapparat zuerst das auf seinen Namen eingetragene Radio und dann sogar die Freiheit entzogen wurden. Einem erklärten Gegner des Paktes wollte man das wichtigste Propagandainstrument der FSLN nicht überlassen.
In ihrem Bemühen, ihre politische Hegemonie in den Medien zurückzuerobern, wollen die Sandinisten sogar die vor zwei Jahren eingestellte Parteizeitung Barricada wiederbeleben. Tomás Borge, der die Tageszeitung damals in den Konkurs ritt, hob Ende März eine Wochenzeitung gleichen Namens aus der Taufe. Im Redaktionsrat wachen ideologische Hardliner wie der ehemalige Außenminister und Maryknoll-Priester Miguel d’Escoto über die korrekte Linie.

Ein General als neuer Hoffnungsträger

Da die beiden Großparteien, Liberale und FSLN, durch eine Reform des Wahlgesetzes jede dritte Kraft so gut wie ausgeschaltet haben, kann sich in Zukunft nur jener Hoffnungen auf die Präsidentschaft machen, der eine der beiden Parteien für sich gewinnt. Agustín Jarquín, der rührige Rechnungshofpräsident, der durch den Pakt als Korruptionsjäger kaltgestellt wurde, dürfte seine Chancen verspielt haben. Der neue Hoffnungsträger der Unabhängigen ist General Joaquín Cuadra, der im Februar als Armeechef abgelöst wurde. Er ist bei vielen Sandinisten hoch angesehen und hat den Vorteil, dass er aus einer der alten konservativen Familien der Stadt Granada stammt. In seinen ersten Erklärungen im Ruhestand deutete er an, dass er eine breite Allianz gegen die Liberalen aufbauen wolle. In die politische Arena zurückgekehrt ist auch Violeta Chamorro, der es gelungen ist, die Verantwortung für ihre desaströse Regierung (1990-1997) ihrem Schwiegersohn Antonio Lacayo anzulasten. In den Umfragen rangiert sie ganz oben. Es ist nicht auszuschließen, dass die 70-jährige Witwe einmal mehr zur Integrationsfigur einer bunten Allianz gegen einen gemeinsamen Gegner wird.


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