Die “grüne” Macht
Kampf der Landlosenbewegung gegen Agrartreibstoffe wird angesichts eines sich formierenden industriellen Komplexes schwieriger
Noch vor zwei Jahren wurde ihm die „goldene Kettensäge“ verliehen. Blairo Maggi, der Gouverneur des Bundesstaates Mato Grosso do Sul und ehemals größter Sojaproduzent der Welt, erhielt sie von Greenpeace im Jahr 2005. Diese wenig willkommene Auszeichnung bekommt die Person die nach Meinung von Greenpeace am meisten für die Abholzung der letzten Regenwälder verantwortlich ist. Die Umweltorganisation warf Maggi vor, dass er mit seiner Politik und seinen Unternehmen die Zerstörung des Regenwaldes massiv vorantreibe. Als Politiker setzte er ehrgeizige Infrastrukturprojekte durch, die den Transport von Soja aus dem Staat im Westen Brasiliens erleichtern sollten; als Sojaanbauer tat er dies sicherlich nicht nur aus uneigennützigen Überlegungen. Der Sojaanbau wurde so in Mato Grosso immer attraktiver, weshalb immer mehr Waldflächen gerodet wurden, um die Bohne anbauen zu können.
Doch die Zeiten ändern sich. Inzwischen versucht Maggi durchaus erfolgreich, sich als ökologisch bewussten Unternehmer darzustellen. Möglich macht das der internationale Rummel um Agrartreibstoffe, die des „grünen“ Images wegen gern auch als „Biotreibstoffe“ bezeichnet werden. Dank des hohen Preises für fossiles Öl lassen sich Agrartreibstoffe derzeit mit guten Gewinnaussichten herstellen. Aus Sojabohnen lässt sich Biodiesel produzieren, und angesichts dieser Möglichkeiten werden die Augen von Blairo Maggi sicher leuchten.
Auch die Europäische Union (EU) will die vermeintlich ökologische Alternative zu fossilen Treibstoffen fördern. Erklärtes Ziel ist es, bis 2020 dem herkömmlichen Treibstoff mindestens 10 Prozent Biodiesel beizumischen. Diese Menge Biodiesel können die LandwirtInnen der EU unmöglich selbst produzieren. Deshalb soll der Import von Agrartreibstoffen aus den Ländern des Südens gefördert werden. Auch Ethanol soll in Zukunft in großen Mengen importiert werden. Dies biete ebenso Entwicklungspotenziale für diese Länder, so die die EU in ihrem Werben.
Um diesen Vorstellungen vom ökologisch produzierten „Biotreibstoff“ etwas entgegen zu setzen und über die negativen Seiten von Agrartreibstoffen zu informieren, reiste im November Edivar Lavratti gemeinsam mit anderen AktivistInnen nach Deutschland. Lavratti ist Mitglied der nationalen Koordination der MST. Er wohnt auf einer Landbesetzung in der Nähe von Ribeirão Preto im Bundesstaat São Paulo, dem wichtigsten Zentrum für Zuckerrohranbau und Ethanolproduktion in Brasilien. Lavratti kennt somit die Probleme der Produktion von Agrartreibstoffen aus seiner unmittelbaren Nachbarschaft. „Die brasilianische Regierung ist begeistert von der Idee, mit dem Export von Ethanol oder Biodiesel Devisen ins Land zu holen. Die Pläne für eine Agrarreform dagegen stellt die Regierung hinten an“, berichtet er. Die Pläne für die Ausdehnung der Produktion von Agrartreibstoffen sind seiner Meinung nach mit einer Agrarreform unvereinbar. Damit eine Ethanolanlage wirtschaftlich rentabel arbeitet, benötigt sie mindestens 30.000 Hektar Land im unmittelbaren Umkreis, auf dem Zuckerrohr in Monokultur angebaut wird. „Man kann diese Treibstoffe im kapitalistischen System nicht produktiv in der kleinbäuerlichen Landwirtschaft herstellen“, meint Lavratti. Trotzdem wird immer wieder behauptet, dass Agrartreibstoffe Entwicklungsmöglichkeiten für die ländlichen Regionen Brasiliens bieten. So könne die Landflucht in Brasilien gestoppt werden. Laut Lavratti ist jedoch das Gegenteil der Fall. Er glaubt, dass eine größere Produktion von Agrartreibstoffen noch mehr Landflucht bedeuten würde. Noch mehr Menschen würden gezwungen sein, in die Favelas der großen Städte zu ziehen, wo sie kaum die Möglichkeit haben, ein menschenwürdiges Auskommen zu erreichen. „Agrartreibstoffe fördern die weitere Konzentration von Land in den Händen Weniger.“
Unter anderem aus diesen Gründen ist die MST gegen die Produktion von Agrartreibstoffen. Dafür wird sie von brasilianischen Medien als „fortschrittsfeindlich“ diffamiert. „Die Medien tun so, als würden wir, weil wir die industrielle Produktion von Biodiesel und Ethanol ablehnen, die Zukunft der Erde gefährden, als würden wir uns einer ökologischen Produktion in den Weg stellen. Wir werden dargestellt, als wären wir Feinde des Planeten!“ Außerdem werde die MST von den Medien wegen ihrer ablehnenden Haltung als Feindin der Nation dargestellt, da Brasilien der weltgrößte Ethanolproduzent ist. In diesem Jahr hat Brasilien bereits 20 Milliarden Liter Ethanol hergestellt, in wenigen Jahren sollen es bereits 80 Milliarden Liter sein.
Dabei stellt die Produktion von Agrartreibstoffen eine nicht zu unterschätzende Belastung für die Umwelt dar. „Um einen Liter Ethanol herzustellen, werden 12 Liter Chemikalien, also Dünger und Schädlingsbekämpfungsmittel, in die Umwelt versprüht. Dadurch wird das Grundwasser verseucht, da die Substanzen im Boden versickern“, berichtet Lavratti. Im Süden Brasiliens käme es bereits zu Wüstenbildung wegen des halbjährlichen Wechselanbaus von Soja und Weizen. So hätten die Böden keine Chance, sich zu erholen. Schwere Erntemaschinen, die den Boden komprimieren, gäben ihm den Rest. Auf manchen Flächen wachse inzwischen so gut wie nichts mehr. Die weit verbreitete Aussage, dass Agrartreibstoffe generell eine „erneuerbare“ Energiequelle darstellten, ist schlichtweg unhaltbar.
„Wir erleben bei der Produktion von Agrartreibstoffen eine Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“, meint Lavratti weiter. Einerseits wird viel zur Ethanol- oder Biodieselproduktion geforscht: GenforscherInnen wollen neue Zuckerrohr- oder Eukalyptussorten züchten, aus denen billig Ethanol hergestellt werden kann, AgraringenieurInnen versuchen, mit Hochtechnologie die Erträge zu steigern. Dieser hoch technologisierten Forschung stehen auf der anderen Seite archaische Produktionsverhältnisse gegenüber. So wird Zuckerrohr noch immer wie zu kolonialen Zeiten geerntet. „Eine Studie der Universität von Araquara zeigt, dass die durchschnittliche Lebensdauer eines heutigen Arbeiters in der Zuckerrohrernte niedriger ist als die der Sklaven in der Kolonialzeit.“ Und immer wieder werden auf brasilianischen Farmen sklavereiähnliche Arbeitsbedingungen entdeckt. Die Ethanolproduktion ist nur deshalb rentabel, weil die Arbeitskraft so gering bezahlt wird. „Bei uns in der Nachbarschaft haben wir entdeckt, dass ein ganzes indigenes Dorf – Frauen, Kinder, einfach alle – von Mato Grosso auf eine Zuckerrohrplantage nach São Paulo zum Arbeiten gebracht wurden.“ Die Indigenen mussten dort in einer Halle wohnen, in der vorher Hühner gezüchtet wurden.
Trotz des momentanen Booms von Agrartreibstoffen gibt es auch für die BesitzerInnen der Produktionsmittel große Risiken. „Energiepreise beeinflussen schon seit längerem die Agrarpreise. Je mehr Nutzpflanzen nun in Spritfabriken verschlungen werden, umso enger diese Kopplung“, schreibt Thomas Fritz in einer Broschüre zu Agrartreibstoffen des Forschungs- und Dokumentationszentrums Chile-Lateinamerika.
Da sich in den letzten Jahrzehnten gerade in Brasilien gezeigt hat, dass die Gewinnmargen verschiedener zu Energie verwandelbarer Stoffe starken Marktschwankungen unterliegen, müssen die verschiedenen Firmen kooperieren, um die Risiken aufzuteilen. Anhand der Konzentrationsprozesse in den Branchen der „erneuerbaren“ Energien lassen sich „geradezu exemplarisch die Wirkungen kapitalistischer Konkurrenz studieren“, schreibt Thomas Fritz. „Die Bioenergien wirken förmlich als Katalysator für Branchen übergreifende Kooperationen und formelle Verflechtungen.“ Ein neuer industrieller Komplex aus Agrar-, Biotechnologie-, Energie-, Öl- und Autounternehmen entsteht derzeit.
Diese Entwicklungen beunruhigen die MST stark, da es für die Bewegung immer schwieriger werden wird, die eigenen Interessen gegen diese mächtigen Koalitionen durchzusetzen. So hat beispielsweise im vergangenen Jahr das multinationale Agrarunternehmen Cargill mit der CEVASA in São Paulo die größte Ethanolfabrik der Welt gekauft. Die MST organisierte massive Proteste gegen die Transaktion, der „Ausverkauf an die Multis“ wurde angeprangert. Doch CEVASA kam bereits vorher in die Schlagzeilen, als eine Studie ergab, dass auf den Plantagen 20 Männer an Überarbeitung gestorben waren. Zu dem Zeitpunkt waren die Besitzer von CEVASA aber Brasilianer. Welchen Unterschied macht es dann, ob ein brasilianischer Kapitalist wie Blairo Maggi oder ein internationales Unternehmen die Anlage betreibt? „Keiner von uns glaubt mehr, dass es eine ‚nationale Bourgeoisie‘ gibt, die besser ist als die internationale Bourgeoisie“, antwortet Lavratti. Dennoch habe die immer größere Verflechtung internationaler Unternehmen ganz konkrete Auswirkungen für die MST. „Internationale Unternehmen können leichter internationale Gerichtshöfe anrufen, und so die Regierung Brasiliens dazu zwingen, ihnen nachzugeben.“
Es wird also in Zukunft noch schwieriger für die MST werden, ihr Projekt für eine andere Entwicklung auf dem Land durchzusetzen. Neue, mächtige GegenspielerInnen formieren sich, die auf große Gewinne spekulieren. Die Interessen der brasilianischen Bevölkerung geraten dabei ins Abseits. Die Bevölkerung sei nicht daran interessiert, ob brasilianische AgrarunternehmerInnen Gewinne machen oder die Regierung Devisen einnehmen kann, meint Lavratti. „Unsere Probleme lassen sich nicht mit Agrarkraftstoffen lösen. Unsere Bevölkerung hat Probleme, sich zu ernähren, sie hat Probleme, Anschluss an das Bildungs- und Gesundheitsnetz zu bekommen. Uns geht es um die Sicherung minimaler Lebensbedingungen.“
Die Broschüre Das Grüne Gold. Welthandel mit Bioenergie – Märkte, Macht und Monopole von Thomas Fritz kann über www.fdcl.org bezogen werden.