Die im Haus arbeiten sieht man nicht
Der lange Kampf der Hausangestellten um ihre Rechte ist mit der Verabschiedung der ILO-Konvention 189 einen Schritt vorangekommen
Die Abstimmung am 16. Juni dieses Jahres in Genf fiel eindeutig aus: Von den 475 stimmberechtigten Verteter_innen von 183 Regierungen, Arbeitgeber_innen und Arbeitnehmer_innenorganisationen votierten 396 für die Konvention 189 der Internationalen Arbeitsorganisation ILO. Nur 16 Delegierte stimmten dagegen, 63 enthielten sich. Damit wurden drei Jahre Gremien- und Lobbyarbeit erfolgreich beendet und das „Übereinkommen über menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte“ verabschiedet. Erstmals gibt es nun international festgelegte Standards für die laut ILO weltweit schätzungsweise 53 bis 100 Millionen Hausangestellten.
„Das war ein großer Erfolg für uns, für unsere jahrelange Arbeit“, bekräftigt Creuza Maria Oliveira, Hausangestellte und Gewerkschaftsführerin aus Salvador da Bahia, die seit ihrem zehnten Lebensjahr ihrem Beruf als Hausangestellte nachgeht. „Wir Hausangestellte werden immer wieder diskriminiert, bei der Arbeit, arbeiten prekär, oft ohne Papiere, ohne Sozialversicherung“, erläutert die Mittfünfzigerin im Gespräch mit LN. Die Gewerkschafterin ist Vorsitzende der Hausangestelltengewerkschaft Federação Nacional das Trabalhadoras Domésticas (Fenatrad) und hatte als Delegierte mit Beobachter_innenstatus an der Sitzung in Genf teilgenommen.
„Was da in Genf erreicht wurde, ist enorm wichtig für uns“, meint Oliveira. „Denn wir Hausangestellte werden arbeitsrechtlich immer nur als nachrangig angesehen: so als wäre die Arbeit des Putzens, Waschens, Kochens, Einkäufe Besorgen, auf Kinder Aufpassen, all das, was unser Beruf ist, als sei das gar kein richtiger Beruf“, beklagt Oliveira. Dies sei Diskriminierung, die sogar von der brasilianischen Verfassung gedeckt werde. Dort sind Hausangestellte explizit aus dem Paragraphen über die Rechte der Arbeiter_innen ausgenommen. „Aber nun wurde unsere Arbeit von der Arbeitsorganisation ILO als komplett gleichwertig wie alle anderen Berufe anerkannt, mit dem gleichen Anspruch auf Rechte – und das gilt es nun, auch in Brasilien umzusetzen.“
Dies sieht auch die Regierung in Brasília laut eigenem Bekunden so. Laut der Senatorin Ângela Portela von der regierenden Arbeiter_innenpartei PT gibt es derzeit 78 Gesetzesvorhaben und Verfassungsänderungsanträge, die die Gleichstellung der Hausangestellten mit allen anderen Arbeiter_innen zum Ziele haben, die aber im Kongress seit Jahren brachliegen. Für die Ministerin des Sondersekretariats für Politik für Frauen, Iriny Lopes, liegt das auch daran, das viele der Parlamentarier_innen selbst Hausangestellte haben. Hinzu käme, so Lopes, dass diese Berufssparte oft „nicht als produktiv wirkende Arbeit, die Mehrwert schafft, wahrgenommen wird“.
„Aber wir Hausangestellten kämpfen seit Jahren dafür, dass wir endlich die gleichen Rechte wie alle anderen Berufszweige erhalten“, meint Creuza Maria Oliveira. Dies wären neben anderem der Acht-Stunden-Tag bei einer maximalen Wochenarbeitszeit von 44 Stunden; Überstundenbezahlung und Nachtzuschläge. Oliveira ist aber zuversichtlich, dass diese rechtliche Gleichstellung bald erreicht werde. „Wie viele Jahre haben wir international gekämpft, um in der ILO die Konvention 189 zu bekommen? Viele meinten: ‚das wird doch sowieso nichts‘. Aber wir haben es geschafft! Nun müssen wir das in Brasilien umsetzen und gleichzeitig die Rechte der Hausangestellten in Brasilien verbessern“, meint Oliveira. Die Chancen dafür in Brasilien schätzt Oliveira derzeit als günstig ein. Die PT-Regierung habe das Problem erkannt, und direkt nach der Verabschiedung der ILO-Konvention 189 in Genf kündigten brasilianische Kabinettsmitglieder die zügige Ratifizierung an. Brasilien wolle die Konvention als eines der ersten Länder umsetzen.
Das Arbeitsministerium in Brasília zählt rund zehn Prozent der ökonomisch aktiven Bevölkerung als Hausangestellte, also 7,2 Millionen Personen, von denen 93 Prozent Frauen sind. Nach Angaben des landesweiten Zensus PNAD aus dem Jahre 2008 sind 61,6 Prozent der Hausangestellten in Brasilien schwarze Frauen.
Von den 7,2 Millionen verfügen laut Ministeriumszahlen nur zwei Millionen über geregelte Arbeitsverträge – demnach arbeiten über fünf Millionen Hausangestellte in Brasilien informell. Schätzungen der Gewerkschaft Fenatrad zufolge arbeitet rund die Hälfte der Hausangestellten in Brasilien ohne geregelten Arbeitsschutz, Rentenabsicherung, Arbeitslosen- oder Sozialversicherungsschutz – und zwei Drittel der Haushalte, die Angestellte haben, brechen laut Fenatrad-Schätzungen geltendes Arbeitsrecht. „Viele der Hausherren weigern sich, Arbeitsverträge zu unterzeichnen, wollen nicht die Sozialabgaben zahlen“, kritisiert Creuza Maria Oliveira. Und der Durchschnittslohn der Hausangestellten lag im Jahre 2009 laut Zahlen des staatlichen Forschungsinstituts für angewandte Ökonomie, IPEA, bei 386,45 Reais, also 18 Prozent unter dem damaligen gesetzlichen Mindestlohn von 465 Reais (damals umgerechnet 175 Euro).
Die größte Tageszeitung Brasiliens, O Globo, hatte noch vor kurzem darüber berichtet, dass „die ‚Neue Hausangestellte‘ einen Neuwagen hat, zur Uni und ins Fitness-Studio geht“. Und der Finanzminister Guido Mantega sprach von der „enormen Arbeitsreserve“ an Hausangestellten, die angesichts des starken Wirtschaftswachstums im Land nun in andere, in – so Mantega – „produktivere“ Wirtschaftsbereiche abwandern würden weswegen sich das Angebot an Arbeitskräften im Haushalt verknappen werde. Dies bewirke, dass die Löhne der Hausangestellten in Brasilien steigen und sich somit ihre soziale Situation verbessern werde. – Doch so einfach wie ihn Medien und Politiker_innen bisweilen darstellten ist dieser Zusammenhang nicht.
Laut Oliveira habe sich in den letzten acht Jahren PT-Regierung viel verändert, etlichen Millionen von Brasilianer_innen sei eine Verbesserung ihrer sozialen Situation ermöglicht worden. Der bedeutsame Anstieg des Mindestlohnes in den letzten Jahren habe viel dazu beigetragen. Aber die aktuellen Zahlen des Statistikinstituts IBGE sprechen immer noch eine deutliche Sprache: der von O Globo selbst zitierte Durchschnittslohn für Hausangestellte in Brasilien liegt bei 395 Reais – nach derzeitigem Kurs umgerechnet 169 Euro. Und die Zahlen, die die Zeitung präsentierte, von 700 bis 1.200 Reais monatlich, seien Zahlen für diaristas – also als Putzkräfte im Haushalt ohne Arbeitsvertrag – im Ballungsraum São Paulo, erläutert Creuza Oliveira. In anderen Landesteilen, wie im Nordosten oder Norden, sehe das schon ganz anders aus. Hinzu komme die Unsicherheit: „Wenn du als diarista das Geld direkt auf die Hand bekommst, dann scheint dir das viel zu sein. Aber was dir fehlt, ist der Arbeitsvertrag und die Sozialversicherung ebenso wie die Rente“, erklärt Creuza Oliveira.
„Es liegt noch sehr vieles im Argen“, betont Oliveira. „Aber wir müssen um unsere Rechte kämpfen, sonst macht das keiner für uns.“ Von der Gründung des ersten professionellen Vereins 1936 bis zum ersten Arbeitsgesetz für Hausangestellte 1972 mussten die Hausangestelltengewerkschaften einen langen Weg gehen. Damals sah der Gesetzgeber zum ersten Mal das Recht auf einen formellen Arbeitsvertrag für die Hausangestellten vor, wurden erstmals 20 Tage Urlaub im Jahr vorgeschrieben und Hausangestellte überhaupt erst in das System der Sozialversicherung eingebunden. Ab 1988 gab es dann den gesetzlich garantierten Mindestlohn, Kündigungsfristen, wöchentlich eine Mindestzahl an arbeitsfreien Tagen, 120 Tage Elternzeit für Frauen, ein Drittel des Lohnes im Urlaub – „Für uns als Gewerkschaft waren das alles Meilensteine, weil sie unsere Rechte verbrieften; auf dem Papier zumindest.“, erzählt Oliveira. „ Aber bei der Umsetzung all dieser Rechte, gibt es noch sehr viele Defizite, wir haben noch immer mit schweren Problemen zu kämpfen“, betont Oliveira. Rassismus, sexuelle Belästigung und Gewalt sind nach wie vor präsent. „Da geben wir Beratung, vermitteln juristischen Beistand oder versuchen direkt zu helfen.“
Für ihre Gewerkschaftsarbeit, erweist sich aber ein Problem immer wieder als das schwierigste: wie die Hausangestellten erreichen, um sie überhaupt über ihre Rechte in Kenntnis zu setzen? „Die im Haus arbeiten, die sieht man nicht“, so Oliveira. „Wir Hausangestellten können uns nicht im Betrieb treffen, zusammensetzen und Gewerkschaftsarbeit beginnen: wir Hausangestellten arbeiten in Privathäusern, isoliert, allenfalls beim Einkaufen auf dem Markt kommen wir zusammen“, beschreibt die Gewerkschafterin das Problem.
Sie selbst habe von der Existenz einer Hausangestelltengewerkschaft, damals in den achtziger Jahren, übers lokale Radio erfahren. Da war sie dann zu einem der angekündigten Treffen gegangen – und seither lässt sie die Gewerkschaftsarbeit für ihre Rechte nicht mehr los. Lokale Radiosendungen, die über ihre Arbeit berichten, die Ort und Zeit des nächsten Treffens bekannt geben, sind eines der erprobten Mittel, um andere Hausangestellte zu erreichen. „Wir verteilen auch Flugblätter auf dem Wochenmarkt, oder wir kleben Infozettel an die Bushaltenstellen, um so die anderen zu erreichen“, berichtet Oliveira.
Einen Lichtblick sieht Creuza Maria Oliveira in der Frage der Kinderarbeit. Im Jahre 1995 wurde die brasilianische Politik von Zahlen der Arbeitsorganisation ILO zu diesem Thema aufgeschreckt. Nach diesen Angaben mussten in Brasilien, vor allem im Nordosten und Norden des Landes, eine halbe Million Kinder und Jugendliche im Alter zwischen fünf und siebzehn Jahren als Hausangestellte arbeiten. Der ILO zufolge ging die Mehrzahl dieser Kinder nicht oder nicht ausreichend zur Schule.
Es dauerte dann aber noch bis zum Jahr 2006, dass die Tätigkeit als Hausangestellte für Minderjährige unter 18 Jahren in Brasilien gesetzlich verboten wurde. „Heute ist die Kinder- und Jugendlichenarbeit in den Haushalten natürlich noch nicht verschwunden: nach neuesten Zahlen des Arbeitsministerium ist die Zahl aber mittlerweile um 17 Prozent gesunken“, erläutert Oliveira. Dies zeige, so Oliveira, wie wichtig eine verbesserte Gesetzgebung ist: „Aber das ist halt nur die eine Seite: die andere Seite ist, dass das auch umgesetzt werden muss. Und dafür müssen wir kämpfen.“