Kolumbien | Nummer 306 - Dezember 1999

Die Intervention hat schon begonnen

Interview mit Jorge Salazar vom Instituto Popular de Capacitación (IPC) über die Rolle der Paramilitärs im kolumbianischen Konflikt und über den Friedensprozeß

Jorge Salazar arbeitete von 1991 bis Anfang dieses Jahres am Instituto Popular de Capacitación (IPC), einer Bildungs- und Menschenrechtseinrichtung in Medellín, wo er die Abteilung für Menschenrechtsfragen, Frieden und Konfliktlösung leitete. Zusammen mit dem Direktor des IPC, Jairo Bedoya, und den Mitarbeiterinnen Olga Rodas und Claudia Tamayo wurde Jorge Salazar am 28. Januar von rechtsextremen Paramilitärs direkt aus dem IPC entführt und wochenlang gefangengehalten. Die Frauen kamen nach wenigen Tagen wieder frei, die Männer wurden nach 17 Tagen dem Oberkommandierenden der paramilitärischen Allianz AUC (Autodefensas Unidas de Colombia) Carlos Castaño vorgeführt. Nach drei Wochen erreichte nationaler und internationaler Druck auch ihre Freilassung. Da die Vorwürfe, die Mitarbeiter des IPC seien Handlanger der Guerilla, nie zurückgenommen wurden, flüchteten die vier ins Exil. Die Drohungen sind ernst gemeint: Ende August wurde vor dem Sitz des IPC in Medellín eine Bombe gelegt.

Ralf Leonhard, Werner Hörtner

Was macht das IPC für die Paramilitärs so
gefährlich?

Das Institut ist vor allem durch seine Menschenrechtsarbeit bekannt. Jedes Jahr veranstalten wir eine Woche der Menschenrechte. Auf einer Pressekonferenz stellen wir dann unsere jüngste Studie über die Entwicklung auf diesem Gebiet vor. Ich glaube, das ist einer der Punkte, weswegen wir Schwierigkeiten bekommen. In Medellín kommen 140 Morde auf 100.000 Einwohner. Davon sind zwar nur etwa 15 Prozent politisch motiviert, aber das ist noch immer ziemlich viel – landesweit etwa 3200 pro Jahr. Ungefähr 70 Prozent davon gehen auf das Konto von Paramilitärs und Armee.
Darüberhinaus veranstalten wir Seminare über Menschenrechte und humanitäres Völkerrecht. Letztes Jahr gingen wir damit in alle Diözesen der Provinzen Antioquia und Chocó, um Menschenrechtskomitees in allen Pfarrbezirken einzurichten. In den Slumvierteln von Medellín arbeiten wir an Programmen zur alternativen Konfliktlösung, damit die Leute aufhören, wegen jeder Kleinigkeit zur Waffe zu greifen.

Die bewaffneten Gruppen, die einander in Medellín gegenüberstehen, sind auf den ersten Blick nicht überschaubar.

Das ist eine sehr komplexe Geschichte. Die ersten Gruppen waren Milizen, die mit der Guerilla sympathisierten. Dazu kamen die soziale Krise und der Drogenhandel. Mit der Drogenmafia begann sich ein neues Justizsystem durchzusetzen: alles wurde mit der Waffe ausgetragen, weil die staatliche Justiz nicht funktioniert. Geld war leicht zu verdienen. Zum Beispiel durch bezahlte Morde, das Phänomen des „sicariato“. Für ein paar Tausend Pesos, also wenige Dollars, kann man jemanden ermorden lassen. Nicht nur wichtige Personen wurden so umgebracht, sondern ganz gewöhnliche Leute, mit denen jemand aus irgendeinem Grunde Streit hatte. Dann entstanden kriminelle Banden. Sie sperrten oft ganze Straßen ab und raubten ein Haus nach dem anderen aus. Die Polizei ließ sich nie blicken. Also bildeten sich Gegenbanden oder Milizen, um die Einwohner zu schützen. Diese Milizen übten strenge territoriale Kontrolle aus. Das ging soweit, daß die Einwohner eines Viertels nicht in das Nachbarviertel konnten, weil dort eine gegnerische Bande herrschte. In solchen Konflikten versuchen wir zu vermitteln. Es wurden Nichtangriffspakte unterschrieben. In letzter Zeit haben die Milizen, hinter denen oft die Guerilla steckt, an Einfluß verloren. Gleichzeitig geraten die Banden immer mehr unter den Einfluß der Paramilitärs. Sie ermorden Anführer sozialer Organisationen und bedrohen die NGOs. Sie erkaufen sich auch Unterstützung mit Geld. Was wir erleben, ist der Versuch, das Projekt der Paramilitärs in einer Großstadt zu etablieren.

Ihr habt Carlos Castaño, den obersten Chef der Paramilitärs, getroffen. Wie ist dieser Mann, und welches Ziel verfolgt er?

Er ist ein charismatischer Typ und begrüßte uns freundlich: ‘Entschuldigen Sie, daß wir Sie so behandeln mußten.’ Dann kam er schnell zur Sache: ‘Ich werde euch den Prozeß machen wegen eurer Verbindung zur Guerilla.’ Er behauptete, er hätte einen Informanten. Es kam aber nie zur Gegenüberstellung mit dieser Person. Dann hat er uns aus Dokumenten der AUC (Autodefensas Unidas de Colombia) vorgelesen, hat uns seine Meinung über die Situation in Kolumbien vorgetragen.

Hat er über die Massaker an der Landbevölkerung gesprochen, die ihm zur Last gelegt werden?

Castaño hat sogar die Massaker zugegeben. Er sagte: ‘Schaut, wir bringen ein paar Leute um, damit es später nicht noch mehr Tote gibt. Es kommen 20 oder 30 Menschen um. Wir haben das genau untersucht: Die Leute fliehen von ihrem Land, und 30 Prozent kommen dann wieder zurück. Mit diesen und einigen anderen, die wir dort ansiedeln, bauen wir dann das Land wieder auf, und so vermeiden wir einen weiteren Krieg – dieses Gebiet lebt dann in Frieden.’ So hat er die Massaker gerechtfertigt.

Und hat er auch einen Plan für die anderen 70 Prozent, die nicht zurückkehren?

Nein, die sind ihm gleich, die sollen tun, was sie wollen …

Wie stehen die Paras zum Friedensprozeß?

Da gibt es einige Punkte, die für sie inakzeptabel sind. Zum Beispiel werden sie nicht akzeptieren, daß die Regierung nur mit der Guerilla verhandelt. Oder daß im Land autonome Regionen eingeführt werden, in denen dann die Guerilla die Kontrolle ausüben könnte. Und hinsichtlich des freien Unternehmertums werden sie keine Restriktionen akzeptieren.
Auch das Militär läßt in einigen Punkten nicht mit sich reden. Als zum Beispiel bekannt wurde, daß in der Agenda der geplanten Friedensgespräche mit der Guerilla auch die Rolle der Streitkräfte aufgenommen wurde, gab es große Unruhe in der Armee. Natürlich ist das ein grundlegender Punkt: das Thema der Straflosigkeit und die Demilitarisierung der Gesellschaft, darüber muß gesprochen werden – aber die Militärs wollen das nicht.

Kann man sagen, daß Castaño die Anordnungen der Militärs ausführt, oder hat er schon eine gewisse Autonomie in seinem Handeln erreicht?

Wenn Castaño hören würde, daß man ihn als Befehlsempfänger der Militärs bezeichnet, würde ihn das nur ein Lachen kosten. Hinter Castaño steht doch viel mehr. Sicherlich die Militärs, aber eben auch noch andere Kreise. Natürlich würde Castaños Macht reduziert, wenn die Militärs ihm die Unterstützung entzögen. Seine militärische Schlagkraft ist sehr auf die Hilfe der Armee angewiesen, aber das ist ja hinlänglich bekannt: Zum Beispiel benutzen die Paras Militärhubschrauber. Auch bei unserer Entführung flogen wir eine Stunde lang mit dem Hubschrauber, mit Handschellen gefesselt und einer Kapuze über dem Kopf.

Wie ist die innere Struktur der Paramilitärs? Kann man sagen, daß Carlos Castaño wirklich der oberste Chef aller im Lande operierenden paramilitärischen Einheiten ist?

Er ist der Oberkommandant und der offizielle Sprecher der Paramilitärs, aber jeder regionale Verband hat seine Autonomie. Zum Beispiel die von Santander, die für das Massaker von Barrancabermeja verantwortlich sind. Von den ‘Autodefensas’ von Córdoba und Urabá hingegen ist Castaño der uneingeschränkte Chef, das sind seine eigenen Truppen und gleichzeitig die mächtigsten. In der AUC sind sieben solcher regionalen paramilitärischen Verbände zusammengeschlossen, die einen gemeinsamen Generalstab haben und eine einheitliche Struktur. Die einzelnen Verbände wiederum haben natürlich viele Beziehungen auf lokaler Ebene.

Wie arbeiten der militärische und der zivile Flügel der Paras zusammen?

Das mit dem zivilen Flügel der Paramilitärs ist eine sehr undurchsichtige Sache, da ist es schwierig – und auch höchst gefährlich –, Namen zu nennen. Aus all dem, was Castaño uns erzählte, geht hervor, daß er einen ganzen Stab von Beratern hat. Er ist ausgezeichnet informiert: Es ist eindrucksvoll und erschreckend, wie gut er informiert ist. Er selbst sagt, daß er auch eine Gruppe von Intellektuellen hat, die ihn beraten.
Schlimm ist auch, was sich zur Zeit an den Universitäten abspielt. Die Paras dringen dort immer stärker ein. Es gibt bereits ‘Autodefensas’ der Universidad de Antioquia in Medellín, und diese Paramilitarisierung der Universitäten breitet sich immer weiter aus.

Ich bin immer wieder erstaunt über den so gut funktionierenden Geheimdienst der Paras. Da arbeiten sie wohl eng mit dem Militär zusammen.

Das ist der Bereich, wo man am deutlichsten die enge Zusammenarbeit sieht. Der Geheimdienst der Paras ist eigentlich der Geheimdienst des Militärs, der alle Informationen weitergibt.

Und wie steht es mit der Unterstützung für die Paramilitärs aus Kreisen der Wirtschaft?

Es gibt eine ganze Reihe von Unternehmern, die Carlos Castaño unterstützen, weil er Effizienz bewiesen hat. Es gibt aber auch einen Sektor, der die Paras nicht will, und der Auffassung ist, man solle direkt das Militär stärken und in seinem Kampf gegen die Guerilla unterstützen.
Eine verzwickte und undurchsichtige Sache ist die Haltung der USA gegenüber Castaño. Es gibt Informationen, wonach sie ihn bremsen wollen und nicht mit ihm einverstanden sind. So hat Washington ja die Zusammenarbeit einiger hoher Offiziere mit den Paras publik gemacht und bei der kolumbianischen Regierung auf deren Absetzung gedrängt. Offenbar – aber das ist eine unbestätigte Information – gab es ein Abkommen zwischen der US-Drogenbekämpfungsbehörde DEA, der US-Botschaft in Bogotá und Castaño zur Bekämpfung des Rauschgifthandels im Süden des Landes. Und das, obwohl sie wissen, daß Castaño mit dem Kokainhandel, der von Urabá aus läuft, zu tun hat. Die Vereinigten Staaten reden immer nur von der Narcoguerilla, also der Verbindung der FARC mit dem Rauschgifthandel, aber sie reden nie davon, wie sehr die Paramilitärs in diesem Geschäft stecken. Und in diesem Zusammenhang ist immer nur von einer Offensive gegen die Guerilla, aber nie gegen die Paramilitärs die Rede. Aber wie gesagt, wir wissen nicht genau, was die USA mit Castaño vorhaben. Und wir wissen auch nicht, was Castaño von den USA hält, denn er ist sicher kein Dummkopf und wird sich schon eine diesbezügliche Strategie ausgedacht haben.

In letzter Zeit wird immer wieder von einer drohenden militärischen Intervention der USA in Kolumbien gesprochen. Was halten
Sie davon?

Also ein massives Eingreifen wie in Vietnam wird es nicht geben. Ich glaube, es wird eher wie damals in El Salvador: mit Beratern und logistischer Unterstützung, das läuft ja de facto bereits. Es gibt über 1.000 sogenannte Militärberater im Land. Dazu könnte lokal begrenzt eine Art Krieg wie in Serbien kommen: mit Bombardements aus der Luft, unterstützt zu Land von den nationalen Sicherheitskräften.

Und was denkt die kolumbianische Öffentlichkeit über dieses Szenario?

Das ist eine komplizierte Sache. Eine Meinungsumfrage ergab, daß eine Mehrheit der Bevölkerung für eine US-Intervention ist. Wie soll man sich das erklären? Es ist ein Ausdruck der Angst und der Verzweiflung der Menschen. Da es keine sichtbare Alternative gibt, wollen sie einfach irgendeine Lösung des Konflikts, egal wie, wenn nur der gegenwärtige Alptraum aufhört. Für viele ist es ja nicht klar ersichtlich, woher die Gewalttätigkeit kommt, wer der Urheber ist. Und da sagen sie sich: egal, wer es nun ist – ob ein Vertreter der harten Hand oder ein Faschist – egal, wenn er nur mit dieser Gewalt aufhört. Diese Haltung hat auch dazu geführt, daß Castaño in verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen an Sympathie gewonnen hat. Und aus diesem Grund würden sie auch eine US-amerikanische Intervention unterstützen.

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