Asien | Lateinamerika | Nummer 327/328 - Sept./Okt. 2001

Die japanische Mauer

Stationen der wechselhaften Geschichte ostasiatischer EinwanderInnen in Peru

Chinesische Kulis wurden vor 150 Jahren als Arbeitssklaven nach Peru gebracht, japanische EinwanderInnen gesellten sich 50 Jahre später dazu. Die einen wurden ausgebeutet, misshandelt oder in den Tod getrieben, die anderen verfolgt und deportiert. Heute spielen beide Bevölkerungsgruppen eine wichtige Rolle im Land.

Rolf Schröder

Das Jahr 1873 war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Zu dieser Überzeugung gelangt, wer auf der Internetseite des japanischen Außenministeriums die Geschichte der peruanisch-japanischen Beziehungen nachliest. Diese begannen in jenem Jahr mit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Kurze Zeit später, 1899, betraten die ersten 790 japanischen EinwanderInnen auf der Suche nach Arbeit in der peruanischen Hafenstadt Callao lateinamerikanischen Boden.
Heute ist die japanische Kolonie in Peru mit 80.000 Menschen die zweitgrößte in Lateinamerika. Das japanische Außenministerium erwähnt stolz, dass es mit Alberto Fujimori ein nisei, ein Sohn japanischer Einwanderer, bis zum Präsidenten gebracht habe. Es lobt außerdem die exzellenten Handelsbeziehungen zwischen beiden Ländern, und es zitiert eine peruanische Meinungsumfrage: Nach ihr hielten im Jahre 1995 über 70 Prozent der peruanischen Bevölkerung Japan für die vertrauenswürdigste Nation der Welt.
Dabei unterscheiden die PeruanerInnen ihre MitbürgerInnen japanischer Herkunft nicht einmal von jenen, die aus China oder Korea stammen: alle OstasiatInnen werden unter dem Oberbegriff chinos, Chinesen, zusammengefasst. Das liegt wohl daran, dass die chinesischen EinwanderInnen noch vor den ersten JapanerInnen peruanischen Boden betraten und deren Gemeinde, zählt man die Abkömmlinge aus Mischehen mit, inzwischen auf über eine Millionen Menschen zur größten chinesischen Kolonie in ganz Lateinamerika angewachsen ist. Die aktuelle Erfolgsbilanz der chinesisch- und japanischstämmigen PeruanerInnen liest sich nicht schlecht: zahlreiche Ministerposten und Abgeordnetensitze in den letzten zehn Jahren sowie Bilderbuchkarrieren in Wirtschaft und Behörden. UnternehmerInnen chinesischer Herkunft besitzen etwa 40 Prozent der peruanischen Lebensmittelgeschäfte und stellen den mächtigsten Supermarktbetreiber des Landes; über 70 Prozent der japanischstämmigen PeruanerInnen ist im Handel tätig.

Der Ex-Präsident im japanischen Exil

Nach dem ruhmlosen Abtritt Präsident Fujimoris ist allerdings der Einfluss der beiden Kolonien auf die Politik wieder spürbar zurückgegangen. Kein Wunder: Die Regierung Fujimori stellte sich als das korrupteste Regime der peruanischen Geschichte heraus. Überdies hob das peruanische Parlament erst Ende August einstimmig Fujimoris Immunität auf, die ihm als Ex-Präsident zustand. Damit kann er wegen mehrfachen Mordes angeklagt werden. Denn Fujimori steht unter dringendem Verdacht, zwei Massaker angeordnet zu haben, bei denen über 25 ZivilistInnen von Paramilitärs hingerichtet wurden.
Die Beziehungen zwischen Peru und Japan sind inzwischen auf einem Tiefpunkt angelangt, weil die japanische Regierung sich beharrlich weigert, den in das Land seiner Vorfahren geflüchteten Ex-Präsidenten auszuliefern. Nicht nur das: Neben Fujimori wurde auch seiner Schwester Rosa und deren Mann Victor Artomi die japanische Staatsbürgerschaft zuerkannt. Artomi war bis Ende letzten Jahres peruanischer Botschafter in Tokio und wird zusammen mit seiner Frau von der peruanischen Justiz beschuldigt, Dollarbeträge in Millionenhöhe veruntreut zu haben.
Die japanische Kolonie in Peru ist über diese Entwicklung nicht glücklich. Seit einigen Monaten versammeln sich in steter Regelmäßigkeit DemonstrantInnen – zuweilen Tausende – vor der japanischen Botschaft in Lima und fordern die sofortige Auslieferung Fujimoris und Artomis.

Abriss der Botschaftsmauer

Sogar vor dem japanischen Kulturinstitut, einer Einrichtung, die hauptsächlich von japanischstämmigen PeruanerInnen genutzt wird, werden Protestaktionen organisiert. Die Bürgermeisterin des Hauptstadtbezirks Lince ließ kürzlich ohne Vorwarnung eine Sicherheitsmauer niederreißen, die die japanische Botschaft umschloss, worüber sich die japanische Regierung verstimmt zeigte. Als Begründung für den Abriss wurde angegeben, die Mauer sei vor über zehn Jahren ohne Genehmigung der zuständigen Behörden errichtet worden. Der anschließende Applaus der peruanischen Medien zeigte deutlich: Die zehnjährige Regierungszeit Fujimoris hat das Ansehen der JapanerInnen nur vorübergehend gehoben. Würde die vom japanischen Außenministerium auf seiner Internet-Seite zitierte Umfrage heute wiederholt, sähen die Ergebnisse sicher völlig anders aus.
Auch die chinesische Gemeinde in Lima musste Federn lassen. Zu sehr hatte Präsident Fujimori neben seinen japanischstämmigen FreundInnen auch Angehörige der chinesischen Minderheit mit guten Posten versorgt. Deren oberster politischer Repräsentant Victor Joy Way, unter Fujimori Parlamentspräsident und Industrieminister, steht seit einigen Wochen unter Hausarrest. Er soll unter anderem Staatsgelder aus der Privatisierung öffentlicher Unternehmen in großem Rahmen für illegale Waffenkäufe abgezwackt haben, für die er Provisionen in Millionenhöhe kassierte. Etlichen PolitikerInnen japanischer oder chinesischer Herkunft gelang es Anfang der 90er Jahre auch deshalb Karriere zu machen, weil ihnen weniger der Stallgeruch der Korruption anhaftete als der zuvor herrschenden politischen Klasse. Dieser Vertrauensvorschuss ist endgültig dahin.

Die Mär von der Freundschaft

Das japanische Außenministerium müsste seine Internetseite über die Beziehungen zur Republik Peru aber nicht nur dringend aktualisieren, sondern auch völlig neu gestalten. Denn die Mär von der peruanisch-japanischen Freundschaft war schon immer falsch. Ein Blick zurück auf die Geschichte der japanischen EinwanderInnen: Zwischen 1899 und 1924 kamen etwa 18.000 Arbeit suchende JapanerInnen im Hafen von Callao an.
Die große Mehrheit waren landlose BäuerInnen oder ehemalige Soldaten, die nach dem Ende des japanisch-russischen Krieges keinen Sold mehr bezogen. Sie heuerten als LandarbeiterInnen an, betrieben nach kurzer Zeit Restaurants, Bäckereien, Frisörläden, Bazare, Schneidereien oder widmeten sich Export- und Importgeschäften. Ab 1924 zogen nur noch FreundInnen und Verwandte der bereits in Peru ansässigen JapanerInnen nach. Nicht zuletzt den Handelsaktivitäten der japanischen SiedlerInnen war es zu verdanken, dass ihr altes Mutterland bereits Anfang der 30er Jahre den zweiten Platz bei den peruanischen Importen einnahm. Dabei war in Peru der Billigimport von Textilien nicht gern gesehen. Verschiedene peruanische Medien starteten damals eine Hetzkampagne gegen japanische Textilimporteure, von denen sie die heimische Fertigung bedroht sahen. In der Folge kam es im Mai 1940 zu einer Plünderung japanischer Geschäfte, die 620 japanische EinwanderInnen obdachlos werden ließ.
Der zweite Weltkrieg brachte weiteres Unheil für die japanische Gemeinde in Peru. Im Jahre 1942 brach die peruanische Regierung die diplomatischen Beziehungen zu Japan ab, suspendierte sämtliche kommerziellen und finanziellen Beziehungen und ließ 1500 ansässige JapanerInnen auf Druck der US-Regierung in Konzentrationslager der Vereinigten Staaten deportieren. Im Februar 1945 erklärte die peruanische Regierung Japan den Krieg und beschlagnahmte japanische Besitztümer, unter anderem allein in Lima fünf Schulen. Nicht zuletzt diese Ereignisse trugen dazu bei, dass sich die japanische Gemeinde in Peru stark zusammenschloss und weitgehend isolierte.

Chinesische Zwangsarbeiter

Die Geschichte der chinesischen Einwanderung stand von Anfang an unter keinem guten Stern. Sie begann 1849 mit einem Gesetz der peruanischen Regierung, das jedem Menschenhändler, der 50 Arbeitskräfte im Alter zwischen zehn und fünfzig Jahren nach Callao beförderte, eine stattliche Prämie zusicherte. Hintergrund war der Guanoboom, der inzwischen das Land erfasst hatte. Die Exkremente, von riesigen Vogelschwärmen auf den peruanischen Felsen der Pazifikküste hinterlassen wurden, sorgten damals in Europa als Düngemittel für eine Agrarrevolution. Die auf den Plan gerufenen Menschenhändler wurden vor allem in China fündig und schafften bis 1875 knapp hunderttausend Männer heran, insbesondere aus der Provinz Kanton und der portugiesischen Kolonie Macao. Schon auf den Transportschiffen wurden die Chinesen wie Tiere zusammengepfercht. Über zehn Prozent der Passagiere bezahlte die Überquerung des Pazifiks mit dem Leben.
Einmal in Peru angekommen, wurden sie an Plantagenbesitzer oder Guanoexporteure verkauft. Der Form halber – es handelte sich formal schließlich nicht um SklavInnen – bekamen die frischen Arbeitskräfte einen Kontrakt für die Zeit von acht Jahren. Doch da sie fast ausschließlich Analfabeten waren, konnten sie ihre Verträge ohnehin nicht lesen. Fakt war: Während der acht Jahre durften sie ihren Arbeitsplatz nicht ohne Zustimmung ihres Patrons verlassen, und die meisten konnten es auch anschließend nicht, weil ihr Patron dafür sorgte, dass sie anstelle von Ersparnissen Schulden bei ihm anhäuften. Sie lebten zum großen Teil unter den gleichen Verhältnissen wie die schwarzen Sklaven auf den Baumwollfeldern und Zuckerrohrplantagen an der peruanischen Pazifikküste. Bis zu 10.000 Chinesen wurden zum Bau der Eisenbahnlinien herangezogen, auf denen peruanische Erze und Mineralien aus dem Andenhochland zu den Häfen der Pazifikküste transportiert werden sollten. Deren Landsleute hatten sich schon zuvor als prächtige Zwangsarbeiter beim Bau der US-Eisenbahn über die Rocky Mountains erwiesen.
Tausende chinesischer Arbeitssklaven verendeten unter der Obhut ihres Patrons elendig. Meutereien oder Massensuizide verbesserten die Arbeitsbedingungen nicht. Die Diskriminierung der Chinesen erreichte ihren Höhepunkt, als im peruanisch-chilenischen Salpeterkrieg die auf peruanisches Territorium vorgerückte chilenische Armee chinesische Zwangsarbeiter aus ihren menschenunwürdigen Arbeitsverhältnissen befreite und diese wiederum als Dank in chilenischer Uniform gen Lima marschierten. Als Folge kam es 1881 zur Plünderung chinesischer Geschäfte in Lima und zu einer Reihe weiterer Übergriffe gegenüber der chinesischen Bevölkerung. Noch 1936 verabschiedete die peruanische Regierung ein Gesetz, das sich explizit gegen japanische und chinesische BürgerInnen richtete. Danach wurde die Einwanderung auf 16.000 Personen einer Nationalität begrenzt, eine Ziffer, die bis dato nur von den ImmigrantInnen dieser beiden Länder erreicht worden war.

Kochkunst aus Kanton

Die Integration in die ohnehin multikulturelle peruanische Gesellschaft ist den ChinesInnen dennoch besser gelungen als den JapanerInnen. Sie waren schließlich von Anfang an gezwungen gemischte Ehen einzugehen, weil die Menschenhändler damals für chinesische Frauen keine Prämien erhielten. Ein Großteil der chinesischen Bevölkerung hat sich taufen lassen. Viele Nachkommen der ersten Einwanderer beherrschen die chinesische Sprache heute weder in Wort noch Schrift. Doch der Einfluss der chinesischen Kultur in Peru nicht zu übersehen. In Lima gibt es immer noch zwei chinesischsprachige Zeitungen, und das direkt hinter dem peruanischen Kongress gelegene chinesische Viertel der Hauptstadt wird restauriert. Fest zur peruanischen Kultur gehören vor allem die vielen chifas, die chinesischen Restaurants, von denen es allein in Lima über tausend gibt. Die dort angebotenen Gerichte sind Produkt der kantonesischen Kochkunst und werden von den PeruanerInnen inzwischen sogar als Nationalgerichte akzeptiert.
Die japanische Kolonie in Peru hat sich dagegen bis heute weitgehend abgesondert und ebenso wie die Botschaft ihres Mutterlandes eine Mauer um sich errichtet. Das ist vor allem immer noch den schlechten Erfahrungen während der Kriegszeit geschuldet. Zwar sind auch von den Nachfahren der japanischen EinwanderInnen viele zum christlichen Glauben übergetreten, doch eine ganze Reihe PeruanerInnen japanischer Abstammung hat sich auch in der vierten Generation noch nicht auf eine Mischehe eingelassen. In der japanischen Gemeinde wird weiterhin der Gebrauch der Muttersprache gepflegt, obwohl sie teilweise nicht mehr korrekt gesprochen wird. Nur ist es nach den Erfahrungen mit der Regierung Fujimori äußerst unwahrscheinlich, dass es in naher Zukunft nochmals einem chino gelingt, peruanischer Präsident zu werden.

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