Kuba | Nummer 355 - Januar 2004

Die Kluft zwischen den Generationen wächst

Interview mit dem kubanischen Soziologen Haroldo Dilla Alfonso

Haroldo Dilla Alfonso lehrte und forschte lange Jahre am Studienzentrum für Amerikaforschung (CEA) in Havanna. Mitte der neunziger Jahre kritisierte er in zahlreichen Texten die Politik der Regierung von links und trat für Reformen ein. Seit nunmehr drei Jahren lebt der 51-Jährige in der Dominikanischen Republik, wo er an der Latin American Faculty of Social Sciences (FLACSO) als Forschungskoordinator tätig ist.

Knut Henkel

Herr Dilla Alfonso, Sie sind nach Deutschland gekommen, um an der internationalen Kubakonferenz „Cuba: The Challenges ahead“ teilzunehmen. Die Erfahrungen Kubas wurden mit jenen der osteuropäischen Transitionsländer verglichen. Ist Kuba mit diesen Ländern zu vergleichen?

Es ist ein spannender Ansatz derart unterschiedliche historische Abläufe zu vergleichen. In der Realität ist die Transitionsforschung ein sehr theoretischer Ansatz, der aufgrund der zentralen Implikationen kaum in der Praxis auf Kuba anwendbar ist.

Gibt es Ihrer Meinung nach eine Transition in Kuba und wenn ja, in welche Richtung verläuft diese?

Wenn man sich die kubanische Entwicklung der letzten zwölf, dreizehn Jahre anschaut, dann findet man am ehesten im wirtschaftlichen Bereich Ansätze einer Transition. Kuba, das zu Beginn der neunziger Jahre eine zentralistische Wirtschaftsstruktur besaß, die wenig gemein hatte mit der Vision einer sozialistischen Wirtschaft, hat sich in Richtung Markt gewandelt. Das Entscheidende dabei ist, dass die Transition in Kuba eben nicht wie in einigen Ländern Osteuropas verlief, wo es einen Wandel von einem autoritären Regime hin zur Demokratie westlicher Prägung gab. Das ist das Kernelement der Transitionstheorie, die in Kuba so kaum anwendbar ist. In Kuba gab es einen Umbruch von einer zentralistischen und überaus bürokratischen Wirtschaft hin zu einer im wesentlichen kapitalistischen Wirtschaft. Dieser Wandel hat natürlich politische Implikationen, aber die sind mit der Transitionstheorie kaum zu greifen. Die beinhaltet als Schlüsselelement den Wandel in Richtung Demokratie und dieses Element fehlt in Kuba.

Welchen zentralen Herausforderungen sieht sich Kubas Wirtschaft gegenüber?

Kuba versucht, sich in den internationalen Markt zu integrieren und konkurrenzfähig zu werden – das ist die zentrale Herausforderung. Es geht darum, ein akzeptables Produktivitätsniveau zu erreichen.

Aber die Produktivität in Kuba ist in vielen Sektoren sehr niedrig und bahnbrechende Produktivitätszuwächse in der Breite hat es in den letzten Jahren nicht gegeben.

Es gibt Steigerungen in einzelnen Sektoren. In den Sektoren, wo es ausländische Investitionen oder auch ausländisches Management gibt. Dort, aber auch in einigen anderen Sektoren, ist die Organisation der Arbeit verbessert worden, die betriebliche Leitung arbeitet besser und das so genannte Humankapital wird besser genutzt. Ein wesentlicher Grund für die mangelnde Produktivität der Wirtschaft ist das nur bedingte Funktionieren ganzer Wirtschaftszweige. Die niedrige Produktivität hängt von unterschiedlichen Faktoren ab und hat zum Teil strukturelle Ursachen. Ein Faktor sind beispielsweise die Besitzverhältnisse, ein anderer der Einsatz veralteter Technologien in der Produktion oder beim Vertrieb.

Was sind die zentralen Herausforderungen aus der gesellschaftlichen Perspektive?

Die zentrale Herausforderung ist die fortscheitende Verarmung großer Teile der Bevölkerung. Und das obwohl die Regierung ihre Investitionen in das nationale Bildungs- und Gesundheitssystem und in den sozialen Sektor beträchtlich erhöht hat. Eine verarmte Gesellschaft ist keine gute Gesellschaft, mit der sich etwas Positives bewegen lässt. Zudem tut sich eine Kluft zwischen Alten und Jungen auf. Die einen verknüpfen mit der kubanischen Revolution zum Beispiel den Abbau des Rassismus, den Ausbau der Frauenrechte oder der Bildungspolitik, die anderen nicht, denn sie sind mit diesen Errungenschaften aufgewachsen. Da tut sich ein Graben zwischen den Generationen auf, der nicht so einfach zu schließen ist.
Die andere entscheidende Herausforderung sind die immer stärker in Erscheinung tretenden sozialen Gegensätze in der kubanischen Gesellschaft. Die Einkommen klaffen immer weiter auseinander und bisher hat die Regierung diesen Prozess relativ tatenlos verfolgt. Immer größere Einkommen entfallen auf einige wenige, während immer mehr Leute sich das Lebensnotwendige kaum leisten können.

Wie denken Sie über das Projekt Varela, über das in der internationalen Presse viel geschrieben wurde?

Die sehr kleine kubanische Opposition wird im Ausland wesentlich stärker wahrgenommen als es in Kuba der Fall ist. Zudem ist die Opposition sehr stark von der Regierung manipuliert, die Agenten in die Organisationen eingeschleust haben, die äußerst aktiv in den Organisationen agiert haben, bis sie die Maske fallen ließen. Die staatliche Repression gegen die kleinen Parteien und politischen wie humanitären Organisationen ist ohne Zweifel erheblich, aber nicht allzu kostspielig.
Zudem ist die Opposition in Kuba nicht sonderlich bekannt, weil sie kaum Möglichkeiten hat, auf ihre Arbeit aufmerksam zu machen. Ein anderer Grund für ihren fehlende gesellschaftliche Akzeptanz ist die einseitige Orientierung am westlichen Demokratiemodell. Die Errungenschaften der kubanischen Revolution werden außer Acht gelassen, doch die haben für einen großen Teil der Bevölkerung eine identitätsstiftende Funktion. Viele Kubaner wissen, dass ein unentgeltliches Sozial- und Bildungsangebot im kapitalistischen System nicht unbedingt selbstverständlich ist. Das ist ein Fehler der Opposition, die sich in diesem Bereich zuwenig mit diesen zentralen kubanischen Werten, aber dem Patriotismus und dem Hang nach Unabhängigkeit der Kubaner, auseinandersetzt. Man muss schon die politische Kultur seines Heimatlandes berücksichtigen, wenn man politische Reformen anstrebt. Es sind eben nicht vierzig Jahre kubanische Revolution in denen nur gelitten wurde – die Leute verbinden auch viel Positives mit dieser Revolution. Es ist zuwenig die Regierung als korrupt und diktatorisch darzustellen, wenn man sich der kubanischen Gesellschaft als Alternative und eigenständige Opposition präsentieren will.

Welche Hintergründe sehen Sie hinter der Repressionswelle, die Kuba im Frühjahr des Jahres viel internationale Kritik eingebracht hat?

Die kubanische Regierung ist intolerant, daran gibt es keinen Zweifel. Gleichzeitig haben die politischen Gruppierungen sich auch sehr stark an die USA und deren Leiter der Inter-essensvertretung angelehnt. Die USA stehen nun aber im internationalen Kontext sicherlich nicht für die Wahrung der Menschenrechte, für die sie in Kuba gerne offiziell eintreten. Das zeigt nicht allein das Beispiel Irak, sondern auch viele andere Beispiele. Und aufgrund der kubanischen Geschichte ist es leichtfertig, sich gerade an die US-Amerikaner zu wenden. Das sage ich bewusst und ohne das Vorgehen der kubanischen Regierung gutzuheißen.
Abseits der kleinen politischen Gruppen äußert sich der Widerstand und die Unzufriedenheit, die es in Kuba sicherlich gibt, anderweitig. Die Wahlen sind ein Beispiel dafür und die Resonanz der Bevölkerung auf die Regierungspolitik ist nicht die Beste. Bei den letzten Wahlen zur Nationalversammlung stimmten zwischen zehn und fünfzehn Prozent gegen die Regierung. Sie stimmten ungültig, gaben weiße Zettel ab und taten anderweitig ihren Unmut an der Urne kund. Etwa ein Million Menschen waren das – eine nicht zu vernachlässigende Minderheit.

Die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Kuba sind derzeit relativ angespannt. Die EU ist Kubas wichtigster Handelspartner. Befürchten Sie wirtschaftliche Auswirkungen als Folge der politisch angespannten Situation?

Das ist ein sehr kompliziertes Thema. Die Europäische Union ist kein homogener Block und die kubanische Regierung weiß dies sehr gut. Derzeit sind vor allem die Beziehungen zu Spanien und Italien, die sicherlich nicht zu den engsten Freunden Kubas zählen, belastet. Die Beziehungen zu Frankreich, Belgien oder Deutschland sind hingegen weitaus weniger anfgespannt. Gleichwohl ist die kubanische Position gegenüber der EU durchaus arrogant zu nennen. Anderseits haben sich die Europäer gegenüber Kuba auch nicht gerade sensibel verhalten. Es gab Provokationen von beiden Seiten. So ist die Einladung von Vertretern von politischen Parteien, die in den betreffenden Ländern verboten sind, durch die Botschaften eine Provokation, die nicht mit den diplomatischen Normen zu vereinbaren ist.
Gleichwohl handelt es sich vor allem um symbolische Gesten von beiden Seiten und nicht um grundlegende Feindseligkeiten. Das muss man klar voneinander trennen. Für die kubanische Seite ist es ausgesprochen problematisch, dass sich die Europäer der Position der USA annähern – das ist eine herbe Enttäuschung. Zudem bilden die Europäer in diesem Punkt gemeinsam mit den USA eine Einheit, was die kubanische Seite alles andere als gerne sieht.
Die europäische Position bezüglich der Menschenrechte ist klar und wird von allen Mitgliedern vertreten. Aber aus kubanischer Perspektive ist diese Position sehr widersprüchlich, denn auf der anderen Seite unterhalten die Europäer gute Beziehungen zu diktatorischen und repressiven Staaten in aller Welt. Ein anderes Beispiel ist jenes des Irak, der entgegen dem Völkerrecht und unter Verletzung der Menschenrechte angegriffen wird von dem weltweit nachhaltigsten Verletzter der Menschenrechte – den USA. Einige Regierungen in Europa, wie zum Beispiel die Tschechen, unterstützten diese Politik überaus enthusiastisch. Was ich damit sagen will ist das es keine klare ethische Definition in der EU-Menschenrechtspolitik gibt. Diese Tatsache macht die EU-Politik nicht gerade glaubwürdig auf internationaler Ebene. Aus kubanischer Perspektive ist die EU-Politik eine Enttäuschung, da mit zweierlei Maß gemessen wird. Gleichwohl lässt sich der Konflikt schnell im Rahmen von Verhandlungen beilegen, da bin ich mir sicher.

Wie stellt sich die soziale Situation nach dreizehn Jahren der Periodo Especial, der Sonderperiode, dar?

Die Verarmung der Bevölkerungsmehrheit ist das entscheidende Phänomen nach dreizehn Jahren der Sonderperiode. Die kubanische Regierung hat durch die Erhöhung der Sozialausgaben versucht gegenzusteuern und extreme Armut zu vermeiden. Das ist nur begrenzt gelungen. Sie hat zwar die extreme Armut verhindern können, aber der Preis dafür war die Verarmung breiter Bevölkerungsschichten.
Ein weiteres gesellschaftliches Problem, das die Sonderperiode hervorgebracht hat, ist die soziale Ausdifferenzierung der kubanischen Gesellschaft, die einher geht mit der Integration der kubanischen Wirtschaft bzw. einzelner Sektoren in den Weltmarkt. Es gibt eine Schicht von Kubanern, die von dieser Weltmarktintegration profitiert hat. Funktionäre, leitende Angestellte in Außenhandelsunternehmen oder Intellektuelle und Künstler, die international erfolgreich sind. Neue Eliten sind in Kuba entstanden, deren wichtigste ich als technokratisch-unternehmerische Elite bezeichne. Diese Elite führt einen ganz anderen Lebensstil als der Rest der Bevölkerung und ein Kennzeichen dieser Elite ist die strikte Loyalität zum kubanischen Regime.

Wie beurteilen sie die wirtschaftlichen wie gesellschaftlichen Perspektiven Kubas?

Die kubanische Wirtschaft hat in einigen Wirtschaftssektoren durchaus Fortschritte gemacht, innerhalb und außerhalb des staatlichen Sektors. Beispiele sind die Biotechnologie, Medizintechnik oder auch der kleine Privatsektor und die Genossenschaften der Privatbauern. Das reicht nicht um sich in eine Industrienation zu verwandeln, aber um den Schwierigkeiten eines peripheren internationalen Markt zu begegnen. Kuba hat durch den Faktor Humankapital Vorteile gegenüber vielen anderen Ländern dieser Welt. Die Kubaner sind sehr gut ausgebildet, improvisationsfreudig und intelligent. Sie sind den Herausforderungen der Zukunft durchaus gewachsen.

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