Nummer 401 - November 2007 | Peru

Die lange Reise des Präsidenten

Alberto Fujimori ist nach sieben Jahren Abwesenheit wieder im Land

Zum dritten Mal in der lateinamerikanischen Geschichte wurde ein geflüchteter Ex-Präsident an sein Heimatland ausgeliefert: Nach dem venezolanischen Diktator Marco Pérez Jiménez und dem bolivianischen General Luís García Mesa traf es Alberto Fujimori, der bereits vor zwei Jahren in Chile verhaftet wurde. Der oberste chilenische Gerichtshof entschied jetzt, den Politiker der peruanischen Justiz zu überstellen. Dort wird er in mindestens sieben Fällen wegen Menschenrechtsverbrechen und Korruption angeklagt. Der erste von insgesamt drei großen Strafprozessen soll im November beginnen.

Rolf Schröder

Hunderte von Menschen eilten am Morgen des 21. Septembers zum Flughafen in Lima, um ihr politisches Idol zu empfangen. Angeführt von ein paar Kongressabgeordneten blockierten sie stundenlang die wichtigste Zufahrtstraße und errichteten Barrikaden. Sie verbrannten Reifen, ließen den Mann, dem ihre Verehrung galt, immer wieder hochleben und riefen ihm Mut zu: „Fujimori valiente, eres inocente! – Fujimori, sei stark, du bist unschuldig!“ Doch Alberto Fujimori kam nicht. Die Maschine mit dem Ex-Präsidenten, der das Land von 1990 bis 2000 regiert hatte, war auf einem kleinen Armeeflugplatz gelandet. Dennoch schien es, als hätte der Heimkehrer die Stimmen seiner Anhänger gehört. Erhobenen Hauptes gab der soeben von der chilenischen Justiz überstellte frühere Präsident zu Protokoll, dass die Auslieferung seinen Plänen entspräche. Den Nachrichtensender CNN ließ er wissen, er sei nach sieben langen Jahren der Abwesenheit zurückgekommen, um sein Volk wiederzutreffen.

Auf seiner Webseite verrät Fujimori, womit er sich in der Ferne beschäftigte. Die ersten fünf Jahre nutzte er in Japan, dem Land seiner Vorfahren, zur Weiterbildung. Da studierte er, wie das japanische Wirtschafts- und Technologiewunder zustande kam, das für ihn als Modell für die Entwicklung in Peru dient. Folglich zog es ihn zurück nach Lima, um das südamerikanische Land in den Rang eines Industrielandes zu befördern. Das Problem war nur, dass in seiner alten Heimat inzwischen die Staatsanwaltschaft in dreizehn Fällen gegen ihn ermittelte. So legte er Ende 2005 eine Zwischenstation in Santiago de Chile ein. Von dort aus wollte er seine immer noch zahlreichen politischen Gefolgsleute bei den gerade anstehenden peruanischen Präsidentschafts- und Kongresswahlen unterstützen. Mit Erfolg: Seine Parteien errangen 2006 zehn Prozent der Sitze im Kongress. Und seine Tochter Keiko, die ihm mangels Ehefrau früher als First Lady zur Seite stand, erzielte von allen Abgeordneten das beste Wahlergebnis.

Die Reise nach Santiago erwies sich trotzdem als Fehler. Fujimoris ausgezeichnete Kontakte in Chile reichten nicht aus, um seine Festnahme aufgrund eines peruanischen Auslieferungsantrags zu verhindern. Fortan leugnete Fujimori im Widerspruch zu den Aussagen auf seiner Webseite jegliche Rückkehrpläne nach Peru. Vor der chilenischen Justiz schwor er der Politik ab und präsentierte sich als Hobbygärtner, der sich intensiv um sein Anwesen im Reichenviertel Chicureo der chilenischen Hauptstadt kümmern wolle. Dort stand er nach einem kurzen Haftaufenthalt unter Hausarrest. Im Juli dieses Jahres kam sein Interesse für die Politik zurück: Er versuchte, sich von Chile aus in den japanischen Senat wählen zu lassen. Wäre ihm das gelungen, hätte er in Chile Immunität genossen und ins Land seiner Vorfahren zurückkehren können. Doch Fujimori scheiterte mit 0,05 Prozent der Stimmen grandios. So kam, was schließlich nicht mehr abzuwenden war. Die zweite Kammer des obersten chilenischen Gerichtshofs entschied am 21. September, Fujimori nach Peru auszuliefern. Erst jetzt erinnerte sich der verhinderte Gärtner und Senator wieder daran, dass er ohnehin nach Lima wollte. Sein Ziel, erklärte Fujimori, sei es in Chile lediglich gewesen, möglichst viele der gegen ihn in Peru erhobenen Anklagen zu Fall zu bringen. Das ist tatsächlich gelungen, denn die chilenischen Richter sahen nur sieben von dreizehn Anklagen gegen Fujimori als berechtigt an.
Gemäß dem Auslieferungsabkommen zwischen beiden Ländern muss sich die peruanische Justiz an die Vorgaben aus Chile halten. Doch die übrig gebliebenen sieben Anklagen sind keine Kavaliersdelikte. Am schwersten wiegen vermutlich die Fälle Barrios Altos und La Cantuta. Barrios Altos ist ein Viertel Limas, in dem 1991 fünfzehn Besucher einer Feier hingerichtet wurden, unter ihnen ein achtjähriges Kind. Einige von ihnen sollen angeblich Anhänger der maoistischen Terrororganisation Sendero Luminoso gewesen sein. Die Staatsanwaltschaft meint zu wissen, dass neben Vladimiro Montesinos, dem damaligen faktischen Geheimdienstchef, auch der Präsident selbst Drahtzieher dieser Morde war. Unter anderem wurde der Geländewagen von Fujimoris Bruder Santiago am Tatort gesehen. Und in der Universität La Cantuta wurden 1992 neun Studenten und ein Professor – ebenfalls vermeintliche Sympathisanten des Sendero Luminoso – entführt, brutal gefoltert und ermordet. Auch diese Verbrechen soll das Gespann Fujimori und Montesinos den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zufolge angeordnet haben. Die weiteren zugelassenen Anklagen gegen Fujimori: Geistige Urheberschaft für Folterungen in den Kellern des Geheimdienstes, illegale Abhörungen, Vernichtung von Beweisen, Korruption, Bestechung.

Ein schlechtes Gewissen? Er habe als Präsident immer korrekt gehandelt und könne ruhig schlafen, ließ Fujimori nach seiner Ankunft in Lima die Presse wissen. Zuvor hatte er bereits angekündigt, er wolle im Jahre 2011 wieder als Präsidentschaftskandidat antreten oder – sollte ihn die peruanische Justiz daran hindern – jemanden aus seiner Familie ins Rennen schicken. Wahrscheinlich denkt er dabei an seine Tochter Keiko, deren Studium an einer US-amerikanischen Eliteuniversität er während seiner Präsidentschaft vorsorglich aus Steuergeldern bezahlen ließ. Aber die anstehenden Prozesse könnten die Wahlchancen des Fujimori-Clans deutlich mindern. Noch hießen etliche Medien den Heimkehrer als „Präsident“ willkommen und zahlreiche Menschen im Land verehren ihn als brillanten und genialen Politiker, ja als besten Präsidenten der peruanischen Geschichte. Die Verdienste, die ihm zugeschrieben werden, sind vor allem die Befreiung des Landes vom Terrorismus des Sendero Luminoso und die Sanierung der Wirtschaft, die bei seiner Amtsübernahme von einer Rekordinflation zerrüttet war.
Ein Großteil der Bevölkerung bejubelte sogar Fujimoris Staatsstreich im Jahre 1992, als er das Parlament auflöste und die zum Teil als korrupt geltenden Abgeordneten davonjagte. Merklich angekratzt wurde Fujimoris Ruf erst im Jahre 2000. Da ließ er sich nach einem massiven Wahlbetrug zum dritten Mal ins Präsidentenamt wählen. Kurz danach beging Geheimdienstchef Montesinos, damals die rechte Hand Fujimoris, den Fehler, auf Videos festzuhalten, wie er Abgeordnete, Medienunternehmer oder Richter bestach. Als einige dieser Videos der Presse zugespielt wurden, geriet er unter Druck und ergriff die Flucht. Damit wurde es auch für Fujimori eng. Ende 2000 reiste er nach Japan und erklärte von dort per Fax seinen Rücktritt.

Fujimoris Anhänger in Peru blieben ihm treu: Der Verbrecher und Verräter, so ließen sie fortan verlauten, sei Montesinos gewesen. Dieser habe hinter Fujimoris Rücken gemordet, gestohlen, betrogen und gelogen. Inzwischen sitzt der ehemalige Geheimdienstchef seit sieben Jahren hinter Schloss und Riegel. Die Liste seiner Verbrechen ist so lang, dass die Justiz noch lange nicht alle gegen ihn anstehenden Prozesse abgeschlossen hat. Montesinos selbst behauptet, er habe in der Regel auf Anweisung Fujimoris gehandelt. Tatsache ist: Fujimori und Montesinos kontrollierten und steuerten damals den Mediensektor, die Justiz, die Armee, die Polizei und den Kongress durch Bestechung und Erpressung – die Korruption hatte ein bis dato selbst in Peru nicht bekanntes Ausmaß angenommen. Der Geheimdienst unter der Leitung von Montesinos setzte die Folter als systematisches Mittel ein, um Geständnisse zu erpressen. Zahlreiche ehemalige Minister Fujimoris sind inzwischen wegen Veruntreuung staatlicher Gelder in Haft und die damalige Armeespitze – heute ebenfalls im Gefängnis oder auf der Flucht – war unter anderem in Drogen- und Waffenhandel verwickelt.
In Absprache mit der chilenischen Justiz könnte es sogar zu weiteren Anklagen gegen Fujimori kommen. In verschiedenen Fällen laufen noch Ermittlungsverfahren, zum Beispiel im Falle der Gefangenenrevolte des Sendero Luminoso in der Strafanstalt Castro Castro, bei der die Armee 1992 insgesamt 42 Gefangene tötete. Ungemach droht Fujimori auch im Fall der Geiselnahme durch die zweite peruanische Guerilla, die MRTA, in der Residenz des japanischen Botschafters im Jahre 1997. Fujimori ließ die Residenz damals durch Spezialeinheiten der Armee stürmen. Alle vierzehn Guerilleros wurden bei der Aktion erschossen, obwohl sich mehrere laut Zeugenaussagen bereits ergeben hatten. Fujimori, der anschließend vor laufender Kamera stolz über die Leichen der Guerilleros stieg, steht im dringenden Verdacht, den Befehl zur Exekution erteilt zu haben.

Noch ist Fujimoris Bewegung nicht auf dem Scheiterhaufen der Geschichte gelandet. Darum wird der Heimkehrer selbst vom aktuellen Präsidenten Alan García hofiert. Zunächst hüllte sich die peruanische Regierung in Schweigen, während in Chile über die Auslieferung Fujimoris diskutiert wurde. Und demnächst darf der Ex-Präsident, dem García die Schmach einer Überführung in Handschellen ersparte, im Gefängnis eine richtige Wohnung mit Schreibtisch und Bad beziehen, an der zurzeit noch gebaut wird. Solcherlei Privilegien werden gewöhnlichen Gefangenen nicht gewährt. Der Hintergrund: Garcías Regierungspartei verfügt im Kongress nicht über eine ausreichende Mehrheit und arbeitet bislang erfolgreich mit Fujimoris Parteien zusammen. Entsprechend mahnte Keiko Fujimori bereits an, die Unterstützung der Regierung werde beendet, wenn ihr Vater Alberto sich nicht in Ruhe im eigenen Haus auf seinen Prozess vorbereiten dürfe.
García hat weitere gute Gründe, sich nicht über Fujimori zu erheben. Denn der gegenwärtige Präsident war auch Fujimoris Vorgänger im Amt. Wie jetzt gegen Fujimori, so liefen auch gegen García etliche Korruptionsverfahren, die allerdings während seines Exils in Kolumbien verjährten. Während seiner Präsidentschaft von 1985 bis 1990 war die Armee im schmutzigen Krieg mit dem Sendero Luminoso ebenso in Massaker an der Zivilbevölkerung verstrickt wie zur Zeit Fujimoris. 1986 wurden bei Revolten des Sendero Luminoso in verschiedenen Gefängnissen Limas sogar über 200 Gefangene hingerichtet. In Peru wäscht offenbar eine Präsidentenhand die andere.

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