Aktuell | Editorial | Nummer 607 - Januar 2025

// Die Macht der Sprache

In diesem Editorial sprechen wir über die Macht der Sprache – wie sie verbindet, aber auch ausgrenzt. Wir hinterfragen unseren Umgang mit Sprache, ihre kolonialen Wurzeln und machen erste Schritte hin zu mehr Mehrsprachigkeit in unserer Berichterstattung

Die Redaktion

Sprache ist Sein. Was wir denken, wird oft in Worte gefasst und dann auch kommuniziert. Das ermöglicht ein Miteinander – in einer Beziehung, in der Familie, in der Gesellschaft. Und gleichzeitig löst dieses für Menschen so unverzichtbare Werkzeug oft Probleme aus. Beispielsweise dann, wenn es zum Symbol für Identität wird und verschiedene Sprachen gegenseitig in Konkurrenz treten. Im Diskurs um Kultur, Migration und Integration steht Sprache oft an vorderster Stelle – ob als wichtigstes Unterscheidungsmerkmal zwischen Nationalitäten oder als Maßeinheit für eine gelungene Integration. Sprachpolitik kann, auch in Deutschland, zu gravierender Ausgrenzung führen: Etwa, wenn Migrant*innen nach ihren Sprachkenntnissen klassifiziert werden und ihnen der Aufenthalt erschwert wird, wenn sie kein ausreichendes Sprachniveau mitbringen. Auch Gesetze, die Sprachhierarchien etablieren, sind zwangsläufig diskriminierend. Man denke nur an Kolonialisierungsprozesse weltweit, die zum Verschwinden zahlreicher Sprachen führten und immer noch führen. Um dem entgegenzuwirken, müssen Indigene Sprachen wie Quechua heute aktiv bewahrt und gefördert werden .

Der Macht, die Sprache mit sich bringt, sind wir uns auch bei LN bewusst. Seit über 50 Jahren berichten wir nun zum allergrößten Teil auf Deutsch und können so einem deutschsprachigen Publikum Entwicklungen und Sichtweisen aus Lateinamerika nahebringen. Durch die Einsprachigkeit erschweren wir es allerdings Menschen aus Lateinamerika und anderswo, die Deutsch nicht oder nur wenig sprechen, unsere Berichterstattung zu verfolgen oder an der Redaktionsarbeit teilzunehmen. Gleichzeitig tragen auch Sprachen wie Spanisch und Portugiesisch, die für viele lateinamerikanische Migrant*innen in Deutschland Muttersprache sind, koloniales Erbe mit sich und sind Teil gewaltvoller globaler Machtbeziehungen, die viele Sprecher*innen Indigener Sprachen (insgesamt über 25 Millionen Menschen) ausschließen.

Seit einigen Jahren gibt es in unserer Redaktion deshalb einen Prozess, in dem wir uns kritisch mit unserer Verwendung von Sprache sowie mit unserem Charakter als Kollektiv von auch heute noch mehrheitlich Deutsch-Muttersprachler*innen auseinandersetzen wollen. Auf unserer Webseite gibt es eine Sektion, in der wir spanisch- und portugiesischsprachige Artikel im Original veröffentlichen. Seit einer Diskussion zu unserem kolonialen Namen verwenden wir auch Indigene Bezeichnungen für Regionen, über die wir schreiben. Wir haben uns in einem Workshop Gedanken zu unbewusstem Alltagsrassismus in der Redaktion gemacht und freuen uns sehr darüber, dass inzwischen etwas mehr Menschen mit lateinamerikanischem Hintergrund und anderen Muttersprachen als Deutsch in der Redaktion mitarbeiten – hoffentlich kommen noch viele weitere hinzu.

Wir wollen weiter daran arbeiten, Sprache noch bewusster und inklusiver einzusetzen, ohne damit den Grundcharakter von LN als deutschsprachiger Zeitschrift zu verändern. In dieser Ausgabe wollen wir daher damit beginnen, regelmäßig auch einzelne Texte auf Spanisch und Portugiesisch zu veröffentlichen und Meinungen lateinamerikanischer Autor*innen in der Originalsprache zu publizieren. Auf Seite 16/17 erscheint deswegen zum ersten Mal ein Kommentar in spanischer Sprache im gedruckten Heft (die deutsche Übersetzung dazu befindet sich auf den Seiten danach). Wir sind gespannt auf weitere Ideen und Meinungen unserer Redaktionsmitglieder und Leser*innen!


Hola!

Wenn Dir gefällt, was du hier liest, dann unterstütze unsere ehrenamtliche Redaktion doch mit einem Abo! Das gibt's schon ab 29,50 Euro im Jahr. Oder lass uns eine Spende da! Egal ob einmalig 5 Euro oder eine monatliche Dauerspende – alles hilft, die LN weiter zu erhalten, Gracias ❤️

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren