Kolumbien | Nummer 384 - Juni 2006

„Die Menschenrechte müssen von der Linken verteidigt werden”

Carlos Gaviria, Präsidentschaftskandidat der kolumbianischen Linken, stellt einen Gefangenenaustausch und Gespräche mit der Guerilla in den Vordergrund

Zwar scheint ein Wahlsieg oder der Einzug in die Stichwahl gegen den favorisierten Präsidenten Álvaro Uribe Velez am 28. Mai bei den Präsidentschaftswahlen in Kolumbien fast aussichtslos. Doch der 69-jährige Carlos Gaviria vom Linksbündnis Alternativer Demokratischer Pol hat dennoch einen Sieg errungen: Mit knapp 24 Prozent Zustimmung in den Umfragen geht Gaviria als zweitstärkster Kandidat ins Rennen. Er etabliert damit die Linke wieder als ernst zu nehmende landesweite Alternative in Kolumbien, nachdem diese in den 80er und 90er Jahren durch Morde rechter Paramilitärs enorm geschwächt worden war. Gaviria war Präsident des kolumbianischen Verfassungsgerichts und zog 2002 als Abgeordneter in den Senat ein.

Tommy Ramm

Letzte Umfragen gaben Ihnen mehr als 20 Prozent Unterstützung unter den WählerInnen, was für die Linke in Kolumbien zweifelsohne ein Erfolg ist. Womit erklären sie sich diesen Rückhalt?

Wir haben im Wahlkampf immer wieder betont, dass in Kolumbien derzeit kein demokratisches System herrscht. Dies zeigen die verbreitete Armut, die enorme Ungleichheit in der Einkommensverteilung, die Diskriminierung und der Mangel an staatlicher Verantwortung. Damit sich eine Gesellschaft demokratisch nennen kann, müssen diese Ungerechtigkeiten überwunden werden, die wichtige Ursachen für den bewaffneten Konflikt in Kolumbien sind. Die Menschen beginnen, diesen Zusammenhang mehr und mehr zu erkennen und verstehen unsere Vorschläge nicht als populistischen Versuch, Stimmen zu gewinnen. Sie sehen, dass unsere Positionen umsetzbar sind.
Auf den Wahlveranstaltungen habe ich dennoch immer deutlich gemacht, dass das Land, das wir uns erträumen, nicht einen Tag nach meiner Amtseinführung als Präsident zu existieren beginnt. Um dies zu erreichen, ist ein kollektiver Kraftakt nötig.

In den letzten Jahren kamen in Südamerika mehrere linke Regierungen an die Macht, die jedoch große Unterschiede in ihren politischen Positionen aufweisen. Mit welcher identifizieren sie sich?

Was uns als Linke mit Regierungen wie der von Chávez in Venezuela, Bachelet in Chile oder Lula in Brasilien verbindet, ist die gemeinsame Überzeugung, dass sich Regierungsarbeit in der Hilfe für die Armen und für die am stärksten Benachteiligten einer Gesellschaft auszudrücken hat. Das ist für mich der Inbegriff der Linken. Die Art und Weise, wie die jeweiligen Regierungen mit dieser Herausforderung umgehen, kann überaus verschieden sein. Dazu kommen besonders in Lateinamerika die persönliche Note und der Stil des jeweiligen Regierungschefs. Vergleiche und Parallelen sind für mich daher nur schwer zu ziehen.
Einmal fragte mich ein schwedischer Minister nach unseren Vorstellungen und eigentlichen Zielen. Ich konnte ihm darauf nur antworten, dass er in Schweden als Sozialdemokrat durchgeht, in Kolumbien aber das Image eines Linksradikalen haben würde. Die Sozialdemokratie in Kolumbien ist ziemlich lau und beinahe nicht vorhanden, was linke Forderungen deshalb als radikal erscheinen lässt. Viele typisch liberale Grundsätze wie die Menschenrechte oder die öffentliche Freiheit müssen in Kolumbien von der Linken verteidigt werden.

Sie haben im Wahlkampf mehrfach kritisiert, dass ihre Sicherheit nicht gewährleistet sei und forderten, nachdem Menschen verschwanden oder ermordet worden waren, die Präsenz internationaler Beobachter. Halten sie daran fest?

Absolut. Die Sicherheit ist schlicht nicht gegeben. Ich wurde mehrfach gefragt, ob mein Begleitschutz ausreichen würde. In einer Gesellschaft ohne Gewalt denke ich – ja, in Kolumbien – nein. Anderswo wäre der Schutz ausreichend, hier verhindert er allenfalls, an einem Bankautomaten beraubt zu werden. Ein Attentat verhindert er nicht. In Kolumbien Politik zu machen, ist gefährlich, noch gefährlicher aber, wenn sie als Oppositionspolitiker die Regierungspolitik herausfordern. Es fehlt der Respekt, welcher der Opposition in etablierten Demokratien zukommt. Das gilt besonders für autoritäre Regierungen. Präsident Uribe zu kritisieren ist vielen Oppositionellen in vielen Regionen des Landes zum Problem geworden.

Washington hat in den letzten Jahren vor allem den Kampf gegen linke Rebellengruppen in Kolumbien mit mehreren Milliarden US-Dollar finanziert, Präsident Uribe gilt als der wichtigste Alliierte der USA in der Region. Wie würde ihre Politik aussehen?

Jede Auslandshilfe ist willkommen, wenn sie nicht an Bedingungen geknüpft ist. Dient sie aber vor allem der Unterstützung des Krieges, lehne ich sie ab. Denn Bedingungen für diese Hilfe zu akzeptieren bedeutet einen Verlust staatlicher Souveränität. Außerdem ist es nicht der Moment, den Krieg zu intensivieren, sondern den Frieden auf anderem Wege zu suchen. Die 1991 verabschiedete Verfassung hat die Richtung aufgezeigt. Diese fordert einen Rechts- und Sozialstaat, der ein Umfeld für einen Dialog schafft, das es im Moment jedoch nicht gibt.

Eine dieser Bedingungen Washingtons ist die Auslieferung von Rebellenkommandanten, Paramilitärs und Drogenbaronen, die unter Uribe so zahlreich waren, wie nie zuvor. Würden sie diese fortsetzen?

Auslieferungen mögen zwar ein effektives Mittel gegen das Verbrechen und die Straflosigkeit sein. Meine Haltung zu Auslieferungen fußt jedoch auf der Bedeutung der Souveränität eines Staates: Die Person, die auf kolumbianischem Territorium eine Straftat verübt, muss von der kolumbianischen Justiz verfolgt und gegebenenfalls verurteilt werden und von niemand anderem. Die einzige Ausnahme bilden Personen, die im Ausland straffällig geworden sind und in Kolumbien vor der Justiz untergetaucht sind.

In Kolumbien gibt es mehr als 4.000 Entführte, die sich überwiegend in den Händen der Guerilla befinden. Würden sie ein humanitäres Abkommen und einen Gefangenenaustausch anstrengen, wie es von Angehörigen der Entführten gefordert wird?

Definitiv ja. Einem Abkommen in diese Richtung muss Priorität eingeräumt werden. Der kolumbianische Staat muss den Menschen, die ungerechtfertigt verschleppt wurden, zur Freiheit verhelfen, und er muss den Familien zur Ruhe verhelfen, die seit Jahren auf ein Lebenszeichen ihrer Angehörigen warten. Mehr noch: Unser bewaffneter Konflikt lässt sich nur durch einen Dialog lösen. Ein humanitäres Abkommen wäre ein wichtiger Schritt dahin. Die Konfliktseiten anzuerkennen und sich regelmäßig an den Verhandlungstisch zu setzen, sind wichtige Schritte, um ein Ende des Konflikts zu erreichen.

Aber warum hat der Friedensprozess unter der Pastrana-Regierung mit der FARC-Guerilla keine Lösung gebracht?

Aus dem gescheiterten Friedensprozess zwischen Pastrana und den FARC wurde übereilt die Schlussfolgerung gezogen, dass der Verhandlungsweg nicht funktioniert. Ich glaube dagegen, dass dieser Friedensprozess nicht zum Erfolg führte, weil er mit einer verstärkten Militarisierung einher ging.

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