Nummer 250 - April 1995 | Stadtentwicklung

Die Nichtstadt oder der asphaltierte Bauernhof

Durch ein schweres Erdbeben verlor Managua 1972 den Großteil seiner alten Be­bauung und im Zentrum entstand die sonst so geschätzte grüne Wiese neu. In seiner Stadtland­schaft ländlicher Prägung werden nun zwischen Armutsbe­hausungen mo­derne Konsumeinrichtungen US-ameri­kanischer Prägung errichtet. Sie bedienen die oberen 20.000 der nicaraguanischen Hauptstadt. Es ist wenig wahr­scheinlich, daß sie neue Urbanität schaffen werden. Orien­tierungspunkte im weitgehendidentitätslo­sen und lücken­haften Stadtraster allerdings könnten sie sein.

Ingrid Lebherz

Vom “Zunem” sieben Blocks Richtung Süden, einen halben Block nach unten, vor dem Haus steht ein blauer Lada. Meine Adresse. Aber auch die Ver­einten Nationen haben keine bessere Adresse: Vom spani­schen Platz 400 Meter Richtung Süden, bei dem Büro von Xerox. Oder: An der Hauptstraße von San Ju­das, den dritten Block nach unten, dort, wo die Ze­der stand. Das heißt, wo die Ze­der vor 1972, als ein Erd­beben große Teile der Stadt zerstörte, stand.
Zum Glück gehört Mana­gua mit seiner Million Ein­woh­ner­Innen zu den klein­sten Haupt­städten Latein­amerikas, so daß frau sich nach drei Monaten in dem Gewirr der Nicht-Orte be­stens zurechtfindet. Spätes­tens dann stellt sich die Frage: Was gibt es Neues zu entdecken, ha­ben fünf Jah­ren Chamorro Re­gierung der Stadt ein anderes Gesicht gegeben ? Um es gleich vor­wegzunehmen, viel getan oder verändert hat sich nicht. Die Stadt ist ein biß­chen größer ge­worden, aber sie wächst letztlich ent­gegen aller Befürchtungen nicht schneller, als andere latein­amerikanische Landeshaupt­städte. Die Trockenzeit dau­ert noch immer von Ende November bis Mitte Mai, und die grüne, ländliche “Stadt” gleicht dann einer einzigen Staub­wolke. Ver­dörrtes Gras an den Straßen­rändern, Bäume ohne Blät­ter, Mittagstemperaturen über 35 Grad steigern nicht ge­rade das persönliche Wohl­befinden. Doch guckt frau ein bißchen näher hin, so gibt es doch ein paar Neue­rungen, die ihre Exi­stenz haupt­sächlich US-amerika­nischen Gönnern oder Investoren zu verdan­ken ha­ben.
Ziele für Gläubige und Ungläu­bige
So zum Beispiel die neue postmoderne Betonkathe­drale. “Die Titten des Kardi­nals” er­kennt die Bevölke­rung in den vielen kleinen Betonkuppeln des auch an eine Moschee oder an ein Atomkraftwerk erinnernden Gebäudes. Für jeden Dollar, den die katholische Kirche Nicara­guas aufbrachte, spendierte der US-amerika­nische Pizzakönig “Domino” noch einmal zwei Dollar. Der reaktionäre Erzbi­schof Obando y Bravo kann jetzt endlich wieder in einem würdi­gen Gebäude mit den Reichen für die Gerechtig­keit im Land beten. Aber auch für die Ungläu­bigen hält die Stadt neue Ziele pa­rat: Zum Beispiel minde­stens drei neue erst­klassige Billardsa­lons. Gab es unter den Sandini­stInnen nur drittklassige Schmuddel­schuppen, so kann Mann jetzt in eisgekülten Räu­men eine flotte Kugel schieben. Die Bedienungen sind schick, flink und freundlich und an der Wand gibt’s eine riesige Video­leinwand, von der unentwegt Salsarhyth­men dudeln. Das wiederer­öffnete große Kino an der Straße nach Masaya scheint direkt aus Miami im­portiert zu sein. Popcorn, Coca Cola, Snickers, Mars und Bounty und natürlich Hot Dogs sol­len den Kinobe­such versü­ßen. Auch das Publikum setzt sich vorwie­gend aus englischsprechen­den Jungs und Mädels zusammen, die mit ihren Eltern wohl oder übel aus dem gelobten Land zurück­gekehrt sind. Hat das Kino­programm gerade gar nichts zu bieten, so lohnt sich vielleicht ein Besuch auf ei­ner der neuen Tankstellen. Ebenfalls erst im letzten Jahr eingeweiht, laden die rund um die Uhr geöffneten Prachtanlagen inmitten der ar­chitektonischen de Mana­guas zum Verweilen ein. Ne­ben zehn blitzsaube­ren, digi­talen Zapf­säulen ver­führt das “Shopping Center” von Esso mit dem kom­pletten Waren­angebot aus Miami zu einem abendli­chen Bummel. Oder wie wär’s mit einem Be­such bei Pizza-Hut? Das Perso­nal wurde eigens in Costa Rica ausgebildet, die Pizza schmeckt wie überall auf der Welt bei Pizza-Hut, und der mit hohen Gittern und nur durch das Re­staurant zu­gängliche Kinder­spielplatz wird immer ein Traum in Plastik für die Kinder blei­ben, deren Eltern nicht zu den oberen Zwanzigtausend Managuas ge­hören. Zu die­sen zählen übrigens alle, die in Managua mehr als 800 DM im Monat verdienen.
Lohnende Ziele für Musik­lieb­haberInnen
Für MusikliebhaberInnen er­gaben sich im letzten Jahr eben­falls vier lohnende Ziele. “La Buena Nota” der Gebrüder Carlos Mejia und Luis Enrique Mejia Godoy, die früher mit ihrer Musik die sandinistische Revolu­tion in der ganzen Welt be­kannt machten. Für schlappe 12 DM Eintrit kann man hier die StarkünstlerInnen von “damals” hören. Sie sind im­mer noch aus­gezeichnet, und ab und zu gibts auch ein paar Lieder, die nach 1990 ent­standen sind. In be­wußter Abgrenzung zu den Moder­nisiererInnen der “sandinis­tischen KünstlerIn­nen­bour­goisie” hat sich die Avant­garde der jün­geren Gene­ration eine eigene Domäne ge­schaffen: In der “Mala Nota” kann man schon für 1,50 DM Eintritt alte und neue Gags über Daniel Orte­ga und Tomas Borge hö­ren, echten Nica-Jazz, oder eine Per­siflage der großen Re­volutions-Songs der Ge­brü­der Godoy. Im “Schamanen” spielt die nica-bel­gische Gruppe “Grüner Penis”, einen latein­amerikanischen Rock, der das angefreakte ju­gendliche Publikum – sowohl Kinder des nica­raguanischen Exils als auch die Kids der sandi­nistischen Kader – außer Atem bringt.
Kulturmittelpunkt ohne Publikum
Das ehemalige Stadtzen­trum Managuas, d.h. der Ort wo auch heute noch die Ruinen der alten Kathedrale, des Parlaments und des “Gran Hotels” stehen, erin­nert immer noch an einen as­phal­tierten Bauernhof. Zwi­schen Katedrale und der Haupt­post, wo weiterhin Kühe und Ziegen gra­sen, ha­ben ein paar BewohnerInnen der illegalen Hütten Ba­nanen angepflanzt.
Dank der Demokratie und der Belohnung durch die In­dustriestaaten, darf die Re­gierung Chamorro nun für mehr als 6 Mio. US-Dollar von der ja­panischen Regie­rung das ehe­malige Par­la­mentsgebäude aufdon­nern: In einem enormen Kraftakt soll noch vor Beendi­gung der Wahl­periode ein schic­kes neues staatliches Museum ein­geweiht werden und gleich­zeitig sollen die Ruinen des “Gran Hotels” zum Kulturmittel­punkt der Hauptstadt avancieren. Sieht zwar alles ganz schick aus, nur mangelt es leider an Pu­bli­kum. Das unmotorisierte Volk findet selten zu der ent­fernten Kulturmetropole und das “gehobene Kultur­pro­gramm” be­geistert doch mehr internationale Funktio­när­Innen und die Ober­klasse an­statt die armen Massen.
Mehr Erfolg mit der För­de­rung der Volkskunst hat da der rechtsradikale Bür­ger­meister Arnoldo Alemán. Wenige hun­dert Meter wei­ter hat er etliche Tonnen Zement am Managua See ver­bauen lassen. So hat jetzt end­lich auch Managua einen “Malecón”. Dort läßt sich’s abends bei einem netten Wind­chen an den zahllosen Buden ein kaltes Bier schlür­fen, nur Pech, wenn der Wind direkt vom See kommt: Der See ist hoch­gradig ver­schmutzt und stinkt ganz fürchterlich.
Boom in der Hotelbranche
Von staatlichen Woh­nungs­bauprogrammen oder der Legali­sierung be­setzter Land­striche, so wie unter den SandinistInnen stark ge­för­dert, ist kaum et­was zu se­hen. Es wird auch nur am ehemaligen Straßen­bau­pro­jekt weitergebaut, was vor 1990 be­reits geplant war. Beim Neubau von Kranken­häusern oder nen­nenswerten größeren Schul­neubauten ist ebenfalls Fehlan­zeige. Einen Miniboom erlebt derzeit die Hotelbranche. Nicht nur die Auswahl an Mittelklasse Hotels nimmt deutlich zu, son­dern auch die Zahl der Motels d.h. der Ort für Liebes- und an­dere Pärchen. In Mana­gua ist je­des dritte Hotel ein “Motel”. Die zu­nehmende familäre Enge hat in den letzten fünf Jahren auch für neue Motels der unteren Preisklassen einen Markt eröff­net.
Ob es jemals wieder ein Zen­trum von Managua ge­ben wird, ist sehr fragwürdig. Seit über zwanzig Jahren wer­den Stu­dien und Pläne ge­macht, das alte Zentrum un­ter Beach­tung der Erd­be­ben­zonen neu zu bebauen. Frau kann sich dann in einer Aus­stellung das Managua 2010 an­schauen, vorraus­ge­setzt sie findet sie dort, wo früher das Re­staurant “Terrasse” war, zwei Blocks in Richtung See, einen hal­ben Block hoch.

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