Die Nichtstadt oder der asphaltierte Bauernhof
Vom “Zunem” sieben Blocks Richtung Süden, einen halben Block nach unten, vor dem Haus steht ein blauer Lada. Meine Adresse. Aber auch die Vereinten Nationen haben keine bessere Adresse: Vom spanischen Platz 400 Meter Richtung Süden, bei dem Büro von Xerox. Oder: An der Hauptstraße von San Judas, den dritten Block nach unten, dort, wo die Zeder stand. Das heißt, wo die Zeder vor 1972, als ein Erdbeben große Teile der Stadt zerstörte, stand.
Zum Glück gehört Managua mit seiner Million EinwohnerInnen zu den kleinsten Hauptstädten Lateinamerikas, so daß frau sich nach drei Monaten in dem Gewirr der Nicht-Orte bestens zurechtfindet. Spätestens dann stellt sich die Frage: Was gibt es Neues zu entdecken, haben fünf Jahren Chamorro Regierung der Stadt ein anderes Gesicht gegeben ? Um es gleich vorwegzunehmen, viel getan oder verändert hat sich nicht. Die Stadt ist ein bißchen größer geworden, aber sie wächst letztlich entgegen aller Befürchtungen nicht schneller, als andere lateinamerikanische Landeshauptstädte. Die Trockenzeit dauert noch immer von Ende November bis Mitte Mai, und die grüne, ländliche “Stadt” gleicht dann einer einzigen Staubwolke. Verdörrtes Gras an den Straßenrändern, Bäume ohne Blätter, Mittagstemperaturen über 35 Grad steigern nicht gerade das persönliche Wohlbefinden. Doch guckt frau ein bißchen näher hin, so gibt es doch ein paar Neuerungen, die ihre Existenz hauptsächlich US-amerikanischen Gönnern oder Investoren zu verdanken haben.
Ziele für Gläubige und Ungläubige
So zum Beispiel die neue postmoderne Betonkathedrale. “Die Titten des Kardinals” erkennt die Bevölkerung in den vielen kleinen Betonkuppeln des auch an eine Moschee oder an ein Atomkraftwerk erinnernden Gebäudes. Für jeden Dollar, den die katholische Kirche Nicaraguas aufbrachte, spendierte der US-amerikanische Pizzakönig “Domino” noch einmal zwei Dollar. Der reaktionäre Erzbischof Obando y Bravo kann jetzt endlich wieder in einem würdigen Gebäude mit den Reichen für die Gerechtigkeit im Land beten. Aber auch für die Ungläubigen hält die Stadt neue Ziele parat: Zum Beispiel mindestens drei neue erstklassige Billardsalons. Gab es unter den SandinistInnen nur drittklassige Schmuddelschuppen, so kann Mann jetzt in eisgekülten Räumen eine flotte Kugel schieben. Die Bedienungen sind schick, flink und freundlich und an der Wand gibt’s eine riesige Videoleinwand, von der unentwegt Salsarhythmen dudeln. Das wiedereröffnete große Kino an der Straße nach Masaya scheint direkt aus Miami importiert zu sein. Popcorn, Coca Cola, Snickers, Mars und Bounty und natürlich Hot Dogs sollen den Kinobesuch versüßen. Auch das Publikum setzt sich vorwiegend aus englischsprechenden Jungs und Mädels zusammen, die mit ihren Eltern wohl oder übel aus dem gelobten Land zurückgekehrt sind. Hat das Kinoprogramm gerade gar nichts zu bieten, so lohnt sich vielleicht ein Besuch auf einer der neuen Tankstellen. Ebenfalls erst im letzten Jahr eingeweiht, laden die rund um die Uhr geöffneten Prachtanlagen inmitten der architektonischen de Managuas zum Verweilen ein. Neben zehn blitzsauberen, digitalen Zapfsäulen verführt das “Shopping Center” von Esso mit dem kompletten Warenangebot aus Miami zu einem abendlichen Bummel. Oder wie wär’s mit einem Besuch bei Pizza-Hut? Das Personal wurde eigens in Costa Rica ausgebildet, die Pizza schmeckt wie überall auf der Welt bei Pizza-Hut, und der mit hohen Gittern und nur durch das Restaurant zugängliche Kinderspielplatz wird immer ein Traum in Plastik für die Kinder bleiben, deren Eltern nicht zu den oberen Zwanzigtausend Managuas gehören. Zu diesen zählen übrigens alle, die in Managua mehr als 800 DM im Monat verdienen.
Lohnende Ziele für MusikliebhaberInnen
Für MusikliebhaberInnen ergaben sich im letzten Jahr ebenfalls vier lohnende Ziele. “La Buena Nota” der Gebrüder Carlos Mejia und Luis Enrique Mejia Godoy, die früher mit ihrer Musik die sandinistische Revolution in der ganzen Welt bekannt machten. Für schlappe 12 DM Eintrit kann man hier die StarkünstlerInnen von “damals” hören. Sie sind immer noch ausgezeichnet, und ab und zu gibts auch ein paar Lieder, die nach 1990 entstanden sind. In bewußter Abgrenzung zu den ModernisiererInnen der “sandinistischen KünstlerInnenbourgoisie” hat sich die Avantgarde der jüngeren Generation eine eigene Domäne geschaffen: In der “Mala Nota” kann man schon für 1,50 DM Eintritt alte und neue Gags über Daniel Ortega und Tomas Borge hören, echten Nica-Jazz, oder eine Persiflage der großen Revolutions-Songs der Gebrüder Godoy. Im “Schamanen” spielt die nica-belgische Gruppe “Grüner Penis”, einen lateinamerikanischen Rock, der das angefreakte jugendliche Publikum – sowohl Kinder des nicaraguanischen Exils als auch die Kids der sandinistischen Kader – außer Atem bringt.
Kulturmittelpunkt ohne Publikum
Das ehemalige Stadtzentrum Managuas, d.h. der Ort wo auch heute noch die Ruinen der alten Kathedrale, des Parlaments und des “Gran Hotels” stehen, erinnert immer noch an einen asphaltierten Bauernhof. Zwischen Katedrale und der Hauptpost, wo weiterhin Kühe und Ziegen grasen, haben ein paar BewohnerInnen der illegalen Hütten Bananen angepflanzt.
Dank der Demokratie und der Belohnung durch die Industriestaaten, darf die Regierung Chamorro nun für mehr als 6 Mio. US-Dollar von der japanischen Regierung das ehemalige Parlamentsgebäude aufdonnern: In einem enormen Kraftakt soll noch vor Beendigung der Wahlperiode ein schickes neues staatliches Museum eingeweiht werden und gleichzeitig sollen die Ruinen des “Gran Hotels” zum Kulturmittelpunkt der Hauptstadt avancieren. Sieht zwar alles ganz schick aus, nur mangelt es leider an Publikum. Das unmotorisierte Volk findet selten zu der entfernten Kulturmetropole und das “gehobene Kulturprogramm” begeistert doch mehr internationale FunktionärInnen und die Oberklasse anstatt die armen Massen.
Mehr Erfolg mit der Förderung der Volkskunst hat da der rechtsradikale Bürgermeister Arnoldo Alemán. Wenige hundert Meter weiter hat er etliche Tonnen Zement am Managua See verbauen lassen. So hat jetzt endlich auch Managua einen “Malecón”. Dort läßt sich’s abends bei einem netten Windchen an den zahllosen Buden ein kaltes Bier schlürfen, nur Pech, wenn der Wind direkt vom See kommt: Der See ist hochgradig verschmutzt und stinkt ganz fürchterlich.
Boom in der Hotelbranche
Von staatlichen Wohnungsbauprogrammen oder der Legalisierung besetzter Landstriche, so wie unter den SandinistInnen stark gefördert, ist kaum etwas zu sehen. Es wird auch nur am ehemaligen Straßenbauprojekt weitergebaut, was vor 1990 bereits geplant war. Beim Neubau von Krankenhäusern oder nennenswerten größeren Schulneubauten ist ebenfalls Fehlanzeige. Einen Miniboom erlebt derzeit die Hotelbranche. Nicht nur die Auswahl an Mittelklasse Hotels nimmt deutlich zu, sondern auch die Zahl der Motels d.h. der Ort für Liebes- und andere Pärchen. In Managua ist jedes dritte Hotel ein “Motel”. Die zunehmende familäre Enge hat in den letzten fünf Jahren auch für neue Motels der unteren Preisklassen einen Markt eröffnet.
Ob es jemals wieder ein Zentrum von Managua geben wird, ist sehr fragwürdig. Seit über zwanzig Jahren werden Studien und Pläne gemacht, das alte Zentrum unter Beachtung der Erdbebenzonen neu zu bebauen. Frau kann sich dann in einer Ausstellung das Managua 2010 anschauen, vorrausgesetzt sie findet sie dort, wo früher das Restaurant “Terrasse” war, zwei Blocks in Richtung See, einen halben Block hoch.