Argentinien | Nummer 282 - Dezember 1997

„Die Party ist zu Ende.“

Wahlschlappe für die regierenden PeronistInnen

Argentiniens regierende Partido Justicialista (PJ) erlitt am 26. Oktober ihre erste Wahlniederlage seit zehn Jahren. Die triumphierende Oppositionskoalition Alianza por el Trabajo, la Justicia y la Educación konnte die peronistische Mehrheit im Abgeordnetenhaus brechen. Die Präsidentschaftswahlen 1999 könnten nun wirklich spannend werden.

NotiSur Nr. 39/jüvo

Alle zwei Jahre steht in Argentinien das halbe Abgeordnetenhaus zur Wahl. Bei den diesjährigen Parlamentswahlen im Oktober, bei denen rund die Hälfte der 257 Abgeordneten neu gewählt wurde, büßte die regierende PJ ihre Mehrheit von 131 Sitzen ein und ist nun mit nur noch 118 Abgeordneten im Parlament vertreten. Die oppositionelle Alianza, bestehend aus der Unión Cívica Radical (UCR) und der Frente para un País Solidario (FREPASO), konnte ihre Abgeordnetensitze von 91 auf 110 erweitern. Die übrigen 28 Sitze entfielen auf kleinere Parteien.
Während die Opposition insgesamt gute 45 Prozent der Stimmen auf sich vereinigte, erhielt die PJ nur knappe 36 Prozent. Den höchsten Sieg erlangte die Alianza in der Hauptstadt Buenos Aires, wo sie 66 Prozent der Stimmen gewann, während die PJ nur 16 Prozent der WählerInnen überzeugen konnte.
Den bei weitem wichtigsten Sieg errang die Alianza in der Provinz Buenos Aires, einer traditionellen Hochburg der PeronistInnen. Hier leben 37 Prozent der insgesamt 23 Millionen Stimmberechtigten. Mit 54 Prozent schlug die Oppositionskandidatin Graciela Fernández Meijide die von der PJ aufgestellte Hilda „Chiche“ González de Duhalde, die 38 Prozent der Stimmen erhielt. Mit diesem überwältigenden Sieg hat die Oppositionskoalition die Karten für die Präsidentschaftswahl 1999 neu gemischt, gilt doch der jeweilige Gouverneur der Provinz Buenos Aires als aussichtsreichster Kandidat für die Präsidentschaftsnachfolge.

Alianza knackt die Hochburg

Der Sieg Graciela Fernández Meijides kommt für den amtierenden Gouverneur und Ehemann Eduardo Duhalde zwar nicht unerwartet, aber dennoch ungelegen. Duhaldes große Anhängerschaft hatte ihn, trotz seiner offenen Differenzen mit Menem, zum chancenreichsten Präsidentschaftskandidaten der peronistischen Partei für 1999 gemacht. Seine Gattin erklärte nach der Niederlage, daß sie Politik eigentlich nicht mag und nur wegen der Karrierepläne ihres Mannes kandidiert hat. Gouverneur Duhalde übernahm denn auch die volle Verantwortung für das schlechte Abschneiden seiner Frau.
Graciela Fernández Meijide, eine 66jährige ehemalige Französischlehrerin, wäre wahrscheinlich nie politisch aktiv geworden, wenn ihr Sohn nicht vor 20 Jahren von den Todesschwadronen des Militärs entführt und umgebracht worden wäre. Nach dem Verschwinden ihres Sohnes engagierte sie sich in der Menschenrechtsbewegung. Sie schloß sich der Nationalen Kommission für Verschwundene an, die gegen die Menschenrechtsverstöße der Militärdiktatur ermittelte. Erst 1990 trat sie der Bewegung bei, aus der später die FREPASO hervorging. 1993 zog die Menschenrechtsaktivistin ins Unterhaus ein. Zwei Jahre später wurde sie mit den meisten Stimmen, die jemals eine Politikerin in Argentinien erhalten hatte, in den Senat gewählt. Als amtierende Senatorin trat sie zu den Abgeordnetenhauswahlen an.
Trotz des Sieges der Oppositionskoalition wird es keine größeren Veränderungen im Bereich der Wirtschaft geben. Denn das Bündnis steht der Wirtschaftspolitik der Menem-Administration in ihren Grundzügen loyal gegenüber. Das machten die Hauptfiguren der Allianz schon im August bei der Besiegelung des Bündnisses deutlich: Der neoliberale Kurs der Regierung wird nicht mehr pauschal abgelehnt, sondern lediglich eine soziale Komponente eingefordert.
In vorderster Reihe der Allianz stehen der Bürgermeister von Buenos Aires Fernando de la Rua, Ex-Präsident Raúl Alfonsín, beide UCR, und der UCR-Parteichef Rodolfo Terrango, sowie Carlos „Chacho“ Alvarez und Graciela Fernández Meijide von der FREPASO. Daß aus diesen fünf Personen der oder die KandidatIn auserkoren wird, die gegen den peronistischen Kandidaten 1999 antreten wird, ist ziemlich wahrscheinlich. Und daß es die einzige Frau unter den Fünfen wird, ist nach ihrem Sieg in der Provinz Buenos Aires durchaus möglich.
Während die UCR auf eine lange Parteitradition zurückblickt, ist die FREPASO ein relativ junger Zusammenschluß. Anfang der Neunziger sammelten sich in der damaligen Frente Grande vor allem ehemalige PeronistInnen, die dem Kurs der Menem-Regierung nicht länger folgen wollten. Nach internen Auseinandersetzungen formierte sich daraus die Mitte-Links-Koalition Frente para un País Solidario, abgekürzt FREPASO. Die FREPASO und die konservative UCR eint denn auch der gemeinsame Feind: die peronistische Partei.
„Die Party der Machthaber ist zu Ende“, stellte denn auch ein Regierungsangestellter fest. „Die Führung war nicht im Stande zu erkennen, was alle sehen konnten: Korruption, fehlende Gewaltenteilung zwischen der Exekutive und Judikative und eine unglaubliche Bereicherung von engen Freunden des Präsidenten. Nun haben sie für ihre Blindheit die Quittung bekommen.“ Die argentinischen WählerInnen sind es offensichtlich leid, sich den Machtmißbrauch von Sicherheitskräften und Vertrauten des Präsidenten weiter mit anzusehen, und sehen in der Alianza eine wählbare Alternative. Das Symbol eines solchen Mißbrauchs hing an Fernández Meijides Mikrofon, als sie den Wahlsieg verkündete: ein Porträt des Fotojournalisten José Luis Cabezas, der im Januar 1997 während seiner Nachforschungen in Sachen Polizeikorruption getötet wurde.

Cavallos Comeback

Die Wahl des früheren Wirtschaftsministers Domingo Cavallo ins Abgeordnetenhaus ist ebenfalls eine Rückschlag für die Regierung. Cavallo erhielt 17 Prozent der Stimmen in Buenos Aires. Cavallo hatte seine eigene Partei gegründet, nachdem Menem ihn 1995 zum Rücktritt aufgefordert hatte. Nach seinem Abgang hatte er die Regierung ständig der Korruption bezichtigt.
Menem selbst stritt jede persönliche Verantwortung für die Niederlage ab.
Schuld sei ausschließlich die Partei, denn, so sein schlagendes Argument: Er sei ja nicht angetreten.
Auf Menems Nachfolge rechnen sich nun bei den PeronistInnen auch der frühere Sänger Ramón „Palito“ Ortega und Senator Carlos Reuteman, ehemaliger Rennfahrer, neue Chancen aus. Beide sind Schützlinge Menems und derzeit Gouverneure ihrer Heimatprovinzen Tucuman und Santa Fé. Und ob schließlich Menem selbst ein drittes Mal antritt, ist noch immer nicht vom Tisch.

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren