Die PT nach der Wahlniederlage
LN: Wie schätzt Du die Situation der PT nach den Wahlen ein?
Carlos Vainer: Wir müssen uns über die heutige Situation in einem größeren Kontext klarwerden. Sie ist gekennzeichnet auf der einen Seite durch eine relative Schwäche der sozialen Bewegungen, auf der anderen Seite durch die Konsolidierung eines neuen hegemonialen Blocks der Bourgeoisie. Angesichts dieser Situation wachsen die Kräfte in der PT, die ich als die Rechten in der PT bezeichnen möchte. Ich zögere, sie Sozialdemokraten zu nennen, das wäre eine Ungerechtigkeit gegenüber der historischen Sozialdemokratie, denn diese Leute stehen viel weiter rechts. Nennen wir sie mal den “gemäßigten Block”. Für sie steht nicht mehr die Stärkung autonomer politischer Subjekte im Mittelpunkt, sondern die bloße Teilnahme an der Regierung, die Sicherung der Regierbarkeit. Natürlich gibt es andere Kräfte in der PT. Aber das ist die herrschende Logik, die einen Konservativismus produziert, der nur noch die Regierungsbeteiligung im Auge hat. In dieser Perspektive von Realpolitik ist es immer besser, in der Regierung zu sein, als draußen, weil man dort mehr erreichen kann. Ich kann diese Sicht nicht teilen. Das Streben nach Regierungsbeteiligung muß zwangsläufig die Formierung autonomer politischer Subjekte aufgeben. Für mich sind aber Erfolge nur möglich über die Stärkung der autonomen Subjekte.
Aber muß das so entgegengesetzt gesehen werden? Auch eine Regierungsbeteiligung kann dazu beitragen, die autonomen Projekte zu stärken. Das war doch auch die Idee der ersten Administrationen der PT, die sich über “conselhos populares” (Volksräte) verankern wollten.
Wo sind diese conselhos populares verwirklicht worden? Die PT hat sich darauf verlegt, nur eine gute Verwaltung machen zu wollen. Aber das ist nur das absolute Minimum. Jeder Unternehmer will doch heute eine gut funktionierende Verwaltung. Gut, Cristovam Buarque, der neu gewählte PT-Gouverneur von Brasilia, hat auch die Umkehrung der Prioritäten auf seine Fahne geschrieben. Aber auch das unterscheidet die PT nicht von irgendeiner demokratischen Partei. Aber was würde sie unterscheiden? Eine Politik, die wirklich in die Gefüge der Macht eingreift und alternative politische Erfahrungen ermöglicht. Ich meine nicht, daß eine Regierungsbeteiligung per se die Stärkung autonomer politischer Projekte verhindert. Wenn aber die PT-Bürgermeisterin von Sâo Paulo, Luiza Erundina, sagte, sie wolle für alle regieren, dann will sie in Wirklichkeit nicht für alle regieren, sondern sich den dominierenden Interessen unterordnen. Ich stehe auch den Allianzen ablehnend gegenüber, die die PT bei den letzten Wahlen in verschiedenen Bundesstaaten gemacht hat, um in die Regierung zu kommen. Wer heute entscheidet, das ist der Apparat
Aber die verschiedenen Erfahrungen, die die PT in verschiedenen Lokalverwaltungen gemacht hat, sind doch vielleicht in die Richtung gegangen, in die sie gegangen sind, nicht weil böse Reformisten sich durchgesetzt haben, sondern weil die realen Verhältnisse wenig Spielraum für Veränderungen lassen. Wir dürfen doch auch nicht vergessen, daß die PT oft zwar den/die Bürgermeister/in stellte, aber nicht die Mehrheit der Abgeordneten.
Aber das hängt doch davon ab, wie ich an die Regierung herangehe, ob ich sie als ein Form der Verwaltung sehe oder eine Form der Herrschaft. Im ersten Falle werde ich bemüht sein, die Regierbarkeit zu sichern, im zweiten, mit dieser Herrschaft zu brechen. Wenn ich das will, dann muß ich bereit sein, mit diesen Institutionen in Konfrontation zu gehen. Das erreicht man natürlich nicht innerhalb dieser Institutionen. Eine Partei, die Änderungen will, muß dann außerinstitutionelle Prozesse fördern. Wenn aber die Frage der Regierbarkeit im Mittelpunkt steht, dann handelt es sich um eine konservative Partei. Die PT in ihrer Mehrheit ist heute eine demokratische Partei mit sozialem Anliegen. Von ihrem Ursprung her trägt sie noch eine Spannung in sich. Sie vereinigt noch die Kräfte, die auf die Stärkung der autonomen Subjekte in den sozialen Bewegungen setzen und den Bruch. Aber ich würde sagen, daß das heute nur noch eine schwache Tendenz ist. Das ist alles mit einer Bürokratisierung der PT verbunden. Wer heute entscheidet, das ist der Apparat.
Glaubst Du, daß nach den letzten Wahlen die Linken in der Partei weiter an Einfluß verlieren werden?
Ich möchte eins klar stellen: Was die Presse jetzt so schreibt, daß die Linken in der Partei Einfluß auf die Wahlkampagne hatten und deshalb die Niederlage auf sie zurückfällt, halte ich für völligen Quatsch. Es war die Parteirechte, die die Kampagne dirigiert hat.
Die Rechten sind für die Niederlage verantwortlich
Was hatte denn die Partei für ein Regierungsprogramm? Was ist zum Beispiel die Position der PT zur Rolle des Staates? Zum einen verteidigt sie die korporativistischen Interessen der Staatsangestellten, zum andern stellt sie offen liberale Forderungen auf. Eine Wirtschaftspolitik der PT? Gibt es nicht. Es gibt eine Beliebigkeit, in der einfach ein Menü für alle Geschmäcker zusammengestellt ist. Und wer hat an der Ausarbeitung des Programms teilgenommen? Die sozialen Bewegungen sicherlich nicht.
Nach meinen Beobachtungen haben sie wohl teilgenommen. Zum Beispiel die Bewegungen, die sich um Stadtfragen kümmerten, haben Einfluß auf den betreffenden Teil des Programms genommen, ebenso die “ecologistas”.
Aber ist das zu einem Gesamtkonzept zusammengeführt worden? Den entscheidenden Einfluß hatten einige Intellektuelle, die oftmals keine historischen Verbindungen mit den sozialen Bewegungen haben. Arbeiter, die soziale Basis – wo? Die Erfahrung der sozialen Kämpfe ist eine Leerstelle im Programmm der PT. Das Programm enthält das gesammelte technische und intellektuelle Wissen der PT-Experten.
Ich will regieren – wofür? Um die Gesundheitsversorgung, die Bildung zu verbessern. Das sagen doch alle. Ein Programm müßte vielmehr die Strategie einer Regierung bestimmen. Was sind die Machtinteressen, die ich angreifen will? Wer sind meine Feinde? Nehmen wir die Landfrage: Welche sozialen Kräfte auf den Land will ich schwächen, mit welchen gehe ich auf Konfrontation. Solche Fragen müßten gestellt werden. Das muß ein strategisches Programm diskutieren. Das jetzige Programm will die Regierungsfähigkeit untermauern und nicht eine Dynamik sozialer Kämpfe. Das ist für mich die große Scheidelinie. Jede linke Partei trägt wohl diese beiden Linien in sich, dieses Moment der Spannung muß es geben, es vitalisiert das Leben der Partei. Was ich befürchte, ist die Erstarrung aufgrund der Vorherrschaft der institutionalisierten Seite. Das geschieht zur Zeit in der PT.
Und die Wahlkampagne?
Das war doch die Herausstellung einer Persönlichkeit (Lula) und nicht die Formierung einer sozialen Dynamik. 1989 war das anders. Da waren die Massen und die PTistas auf den Straßen. Diesmal haben selbst die PT-Mitglieder die Kampagne nicht als ihre angesehen. Schwerwiegend war nicht die Wahlniederlage. Von den Stimmen her war das Ergebnis gar nicht schlecht.
“Die PT wurde politisch massakriert”
Schwerwiegend ist die politische Niederlage. Politisch wurde die PT massakriert. Sie konnte kein alternatives politisches Projekt stärken. Die PT erschien nicht als eine Partei mit einem grundlegend anderen Vorschlag, sondern als eine Partei mit sozialen Anliegen.
Aber vielleicht hat dies nicht nur mit Schwierigkeiten der PT zu tun. Weltweit stellt sich doch die Frage, was ist denn eigentlich noch ein linkes Projekt. Das heißt, wo ist überhaupt eine grundlegende Alternative in Sicht, wenn es im Augenblick wenig realistisch erscheint, einen Bruch mit den ökonomischen Machtstrukturen im Weltmarkt in Erwägung zu ziehen.
Ich glaube, das ist mehr eine politische denn eine ökonomische Frage. Laß mich ein Beispiel geben: Auf dem letzten Parteitag hat die PT aus ihrem Entwurf für das Regierungsprogramm die Legalisierung der Abtreibung gestrichen. Das war eine große politische Niederlage. Es war ein Verrat an einer ganzen Dynamik sozialer Kämpfe, um politische Allianzen zu suchen. Ein weiteres Beispiel: Die beiden gewählten Gouverneure der PT haben Militärs zu den Verantwortlichen für Sicherheitsfragen in ihren Regierungen ernannt.
“‘Wählt Lula’ ist kein Programm!”
Das heißt, die PT gibt demokratische Grundforderungen auf, nämlich daß die bewaffneten Kräfte einer zivilen Kontrolle unterstehen müssen. Hier geht es doch gar nicht um revolutionäre Forderungen. Selbst ganz gewöhnliche demokratische Ziele werden aufgegeben. Das ist die Konsequenz der Logik der Regierungsfähigkeit. Sie führt letztendlich zu einer Schwindsucht auch der Demokratie in der Partei.
Das führt mich zu der Frage nach dem Platz der Basis innerhalb der Partei. Gut sichtbar in der PT sind die Tendenzen, die spezifischen Gruppen wie Gewerkschaften und die professionalisierten Politiker. Schwierig ist es aber, eine funktionierende Basisgruppe (nucleo) der PT zu finden.
Klar, wenn die Partei ein Kanal der politischen Repräsentation, der Stellvertreterpolitik ist, dann sind die Basisgruppen der Partei nicht mehr wichtig. Die PT ist nicht mehr vorwiegend ein Ort der Organisation sozialer Kämpfe. Der nucleo ist nur noch wichtig als Organ der Repräsentation, das heißt: um gewählt zu werden, um an den Hierarchien der Partei teilzuhaben. Was für eine zentrale politische Forderung hat denn die PT in den vergangenen Jahren lanciert, außer “Wählt Lula”? Was waren die politischen Kämpfe, die die Partei in den letzten fünf Jahren geführt hat, bei denen sie die Bewegungen mobilisiert hat? Außer dem Kampf für die Amtsenthebung von Collor sehe ich da nichts. Dagegen sehe ich heute die große Gefahr, daß die PT die Kraft verliert, die Erfahrungen der Basis, der sozialen Bewegungen aufzugreifen. Das ist es, was mit den klassischen sozialdemokratischen Parteien, aber auch mit den kommunistischen Parteien geschehen ist. Ich will dabei gar nicht behaupten, daß die Basis gut und der Apparat schlecht ist. Auch bei der Basis, den sozialen Bewegungen gibt es Machtkämpfe, Intrigen. Aber ich will, daß diese Spannung zwischen Basis, zwischen Gruppen, die den Bruch wollen, und den konservativen Kräften aufrecht-erhalten bleibt. Nach den Wahlen versucht man nun, die Niederlage den Linken in der PT in die Schuhe zu schieben. Das ist ein Skandal. Die PT hat doch keine linke Kampagne gemacht. Wen hat sie denn bedroht?
Nun, die “Rechten” in der Partei, allen voran Genoino behaupten, der große Fehler sei gewesen, nicht schon am Anfang der Kampagne eine Politik der Bündnisse entwickelt zu haben. Sie behaupten, daß eine Allianz mit der PSDB möglich gewesen sei, ja sogar der Eintritt der PT in eine Regierung Itamar. “Der Plano Real hätte unser sein können”, war zu hören.
Ja, das führt zu einer anderen Frage. Was ist denn der Charakter des neuen hegemonialen Blocks? Sich an der Regierung beteiligen zu wollen, setzt voraus, daß es in diesem Block einen Platz für die Volksbewegungen gibt. Die PT hat ihren Ursprung im demokratischen Kampf gegen die Militärdiktatur. Damals war es möglich auf der Grundlage demokratischer Forderungen, wie der nach Direktwahl, Bündnisse zu schließen. Diese Etappe hat sich erschöpft. Heute haben wir eine Demokratie in Brasilien, eine brasilianische Demokratie, die via Wahlen ein System der Repräsentation geschaffen hat. Heute muß sich doch die Frage so stellen: Was ist der Platz der progressiven, radikalen Volksbewegungen in einem neoliberalen Projekt? Welche Hoffnungen gibt es innerhalb dieses Projekts? Was heute die Gesellschaft spaltet, ist nicht mehr die Frage Diktatur versus Demokratie. Der neue hegemoniale Block hat sich entlang anderer Fragen herausgebildet und das hat die Linke nicht begriffen. Er ist heute etabliert, mit Widersprüchen und Schwierigkeiten, um neoliberale Politik in Brasilien effektiv umzusetzen. Fernado Henrique verkörpert diese Wendung gut. Er war ein demokratischer Kämpfer gegen die Diktatur. Er muß heute nicht aufhören Demokrat zu sein, um die Führungsfigur der Rechten zu werden. Fernado Henrique hat verkündet, daß wir in eine neue historische Etappe eintreten. Ich glaube, er hat recht, als Präsident und als Soziologe. Für die Linken kann sich doch nicht die Frage stellen, wie beteilige ich mich an diesem neuen hegemonialen Pakt, sondern wie kann ich ihn besiegen. Das haben weite Kreise in der PT nicht begriffen. Die PT ist heute ein Waisenkind des demokratischen Kampfes.