Die Seifenblase ist geplatzt
Salinas de Gortari, der erst im Dezember das Präsidentenamt an Zedillo abgegeben hatte, ist davon überzeugt, daß Mexiko den Peso bereits zu einem früheren Zeitpunkt hätte abwerten sollen. Seine Regierung habe jedoch im Vorfeld der Wahlen im Herbst aus Stabilitätsgründen nicht von ihrer Wechselkurspolitik abweichen wollen. Der PRI blieb so bis zum 20. Dezember immer noch ihre ökonomische Erfolgsbilanz, die sich ebenfalls auf Stabilität gründete: Geringe Inflation, die allerdings nur wegen eines immer größer werdenden Kapitalbilanzdefizites möglich war, machte die Staatspartei, im Bewußtsein der Wähler, zum einzigen Garanten der Stabilität und sicherte ihr bei den Präsidentschaftswahlen den Sieg. Die Oppositionsparteien PRD und PAN werfen dem Ex-Präsidenten Salinas inzwischen persönliche Bereicherung vor. Doch die USA, deren Präsident Bill Clinton immer wieder die unbeschränkten Importe von US-Waren nach Mexiko ohne entsprechende Pesoabwertungen lobte, fördern die Kandidatur Salinas zum Vorsitzenden der GATT-Nachfolgers WTO (Welthandelsorganisation) weiterhin. Salinas zeige hervorragende Führungsqualitäten, erklärte US-Handelsminister Ron Brown. Der venezolanische Wirtschaftswissenschaftler Moises Naim betonte dagegen, schon vor einem Jahr sei bekannt gewesen, daß der Wechselkurs des Peso korrigiert werden mußte. Die Regierung habe aber nichts unternommen, weil sie sich damals durch die günstigen makroökonomischen Daten gut nach außen habe darstellen können. Diese Seifenblase ist jetzt geplatzt. Der PRI ist zwar ihr wichtigstes Ziel, der Machterhalt, wieder einmal gelungen. Doch der Preis dafür ist hoch. Das Schockprogramm Zedillos wird natürlich vom Internationalen Währungsfond (IWF) unterstützt, in der Bevölkerung dürfte der Rückhalt allerdings nicht groß sein. Im Notstandsprogramm sind innerhalb der nächsten zwei Jahre lediglich Lohnsteigerungen von sieben Prozent vorgesehen. Die Unternehmen konnten nur zu dem Versprechen gebracht werden, die Preise nicht “ungerechtfertigt” zu erhöhen. Dieses “Abkommen für die Einheit”, das Anfang Januar von der Regierung mit dem Gewerkschaftsdachverband und den Unternehmen ausgehandelt wurde, soll die Inflation 1995 nicht über 19 Prozent schnellen lassen. Auch ist vorgesehen, die Staatsausgaben zu kürzen. Und die Preise bleiben für zwei Monate eingefroren, wohl vor allem, um den Sturz der mexikanischen Börse ins Bodenlose zu verhindern.
Doch inzwischen meldete die Gewerkschaft der Elektrizitätsarbeiter den Anspruch an, die Tarife frei auszuhandeln. Auch die Angestellten der staatlichen Presseagentur Notimex verlangen eine Lohnerhöhung von 22 Prozent. Und die Nationale Kammer der Weiterverarbeitenden Industrie (Canacintra), die 85 Prozent aller industriellen Arbeitsplätze in Mexiko repräsentiert, forderte ein sechsmonatiges Schuldenmoratorium und die Stundung von Steuerrückständen. Außerdem forderte der Verband Hilfe für Unternehmen, die vor der Abwertung Kredite bei ausländischen Banken aufgenommen hatten. Alle Importprodukte sind wesentlich teurer geworden, ebenso Benzin. Zwar ist die Erdölgesellschaft PEMEX seit 1938 in den Händen des Staates und soll es nach Aussagen von Regierungsvertretern auch bleiben. Doch der Druck aus den USA, PEMEX zu privatisieren, wächst. Immerhin war die mexikanische Regierung erstmals gezwungen, Kredite der USA und Kanadas zu Stützungskäufen zu verwenden. Denn die Kapitalflucht setzte sofort bei der Abwertung des Peso ein. Ausländische Anleger haben angeblich bis zu zehn Milliarden Dollar an der Börse in Mexiko verloren. Damit muß wieder um Kapitalanlagen in Mexiko geworben werden. Zwar sind diese Summen überwiegend im nichtproduktiven Bereich eingesetzt worden, denn Spekulation verspricht höhere Gewinne, doch die Sicherung ausländischer Kapitalanlagen in Mexiko steht bei den Geberländern ganz oben.
Das Ausland fängt den Peso auf
Vertreter der mexikanischen Regierung reisten deshalb nach New York und Tokio und priesen auch in Frankfurt am Main die Vorzüge des Standortes Mexiko. Enrique Vilatela, Präsident der Banco Nacional de Comercio Exterior und Leiter der vom mexikanischen Finanzministerium nach Europa entsandten Delegation, verkündete in Frankfurt, daß über konkrete Finanzarrangements nicht gesprochen worden sei. Doch mit der Deutschen Bank und der Dresdner Bank, so hieß es in Bankenkreisen, beteiligten sich zwei deutsche Großbanken an einem Stützungskredit von drei Milliarden Dollar. An diesem Kredit, über dessen Modalitäten nichts bekannt wurde und der Teil eines 18 Milliarden Dollar – Paketes ist, sind insgesamt 30 internationale Geldinstitute beteiligt. Zusätzlich wollen die USA Kreditbürgschaften von bis zu 40 Milliarden Dollar bereitstellen, um Mexikos kurzfristige Zahlungsverpflichtungen auf einen längeren Zeitraum umschulden zu können.
Durch diese offene Unterstützung der US-Regierung stiegen die Börsenkurse am 13. Januar erstmals wieder um 4,61 Prozent an. Auch der Peso konnte sich um 30 Centavos auf 5,30 pro Dollar verbessern.
Produktion vorübergehend gestoppt
Währenddessen plant VW de México, die Autoproduktion ab dem 23. Januar für eine Woche zu unterbrechen, da die mexikanische Inlandsnachfrage zusammengebrochen ist. Die Arbeiter des VW-Werkes in Puebla sollen für diese Zeit nur die Hälfte des Lohnes erhalten. Bereits jetzt wird nur noch Kurzarbeit gefahren. Auch die Mercedes-Benz AG hat die Produktion vorübergehend gestoppt. Der Sprecher der Bayer-AG, Friedrich Gottschalk, betonte dagegen die Vorteile der Pesoabwertung für seinen Konzern. Mexiko sei bisher bei den Lohnkosten “nicht unbedingt wettbewerbsfähig” gewesen. Die Krise verbilligt die arbeitsintensive Produktion, wie sie u.a. an Mexikos Nordgrenze besteht. In den dortigen maquiladoras werden oft unter Umgehung der Arbeitsrechte Halbfertigprodukte aus den USA zusammengefügt und wieder in die USA re-importiert. Jede Lohnsenkung erhöht die Profite beträchtlich.
Börsensturz in Brasilien und Argentinien
Der Einfluß der mexikanischen Krise auf ganz Lateinamerika ist währenddessen unübersehbar. Mexiko als eines der größten und entwickeltsten Länder des Subkontinents, das zudem durch den NAFTA-Vertrag mit den USA und Kanada verbunden ist, symbolisierte bis zum 1. Jn Puebla sollen für diese Zeit nur die Hälfte des Lohnes erhalten. Bereits jetzt wird nur noch Kurzarbeit gefahren. Auch die Mercedes-Benz AG hat die Produktion vorübergehend gestoppt. Der Sprecher der Bayer-AG, Friedrich Gottschalk, betonte dagegen die Vorteile der Pesoabwertung für seinen Konzern. Mexiko sei bisher bei den Lohnkosten “nicht unbedingt wettbewerbsfähig” gewesen. Die Krise verbilligt die arbeitsintensive Produktion, wie sie u.a. an Mexikos Nordgrenze besteht. In den dortigen maquSA, die auf diese Weise den gesamten Kontinent stabilisieren wollen, beginnt nun zu wanken. Auch Brasiliens erst letztes Jahr neugeschaffene Währung Real, die noch immer höher als der Dollar bewertet wird, wird abgewertet werden müssen. Bereits jetzt ist der Börsenkurs in Sao Paulo um fast 12 Prozent gefallen. Ähnliches gilt für den Nachbarstaat Argentinien: Dort mußte die Börse einen Sturz von 10 Prozent hinnehmen. Falls sich die Krise ausweiten sollte, könnte die von den USA geplante Ausweitung des Freihandelsabkommens NAFTA auf den gesamten Kontinent auf Schwierigkeiten stoßen. Der extrem ungleich verteilte Reichtum in Lateinamerika erscheint zwar in den Handelsbilanzen nicht, könnte aber langfristig die Stabilität der Wirtschaftsentwicklung gefährden.
Kasten:
Situation in Chiapas eskaliert, doch der Dialog beginnt
Der Bischof von San Cristóbal de las Casas, Samuel Ruíz, der CONAI (Nationale Vermittlungskommission) angehört, verneinte einen Zusammenhang zwischen der Pesoabwertung und “dem erneuten Ausbruch von Feindseligkeiten in Chiapas und dem Beginn von einigen Gesprächen.” Der massive Polizeieinsatz am 6. Januar gegen eine Kundgebung für die Auszahlung ausstehender Löhne der Coalición Campesina Estudiantil del Soconusco (COCES) in Tapachula, bei der ein sechsjähriges Mädchen ermordet wurde, ist nur ein Beispiel für den Regierungsstil der Regierung Robledo in Chiapas. Nachdem am 10. Januar in 5 Regierungsbezirken Rathäuser von unabhängigen Campesinoorganisationen besetzt wurden, kam es in der Gemeinde Chicomuselo zu 7 Toten, darunter drei Polizisten. Bischof Samuel Ruíz äußerte dazu in einem Interview, dort sei “jetzt eine gewisse Ruhe eingetreten. So weit ich weiß, wird dort mit Verhandlungen begonnen, die dieses spezielle Feld betreffen.” Immerhin seien allerdings die ganaderos, Viehzüchter, die private Todesschwadronen befehligen, bei zwei der Besetzungen zusammen mit der Polizei aufgetaucht. Trotzdem könne nicht von einer Koordination der ganaderos mit den Sicherheitskräften gesprochen werden. Da in Chiapas zum selben Zeitpunkt und am selben Ort zwei Regierungen gebildet wurden, besteht das Problem der Übergangsregierung im Aufstand, die von Amado Avendaño repräsentiert wird, darin, anerkannt zu werden. Samuel Ruíz sagte dazu: “Ihr Programm besteht in der Ausarbeitung einer Verfassung, damit in Chiapas eine neue Verfassung verabschiedet werden kann. Dies wird ein wichtiger Impuls sein, um die mexikanische Verfassung zu ändern. Denn die Dinge, die sich hier in Chiapas ändern müssen, werden über Chiapas hinaus wichtig sein. Beispielsweise die Anerkennung der Ethnien als konstituierender Bestandteil der nationalen Realität und nicht als marginale Gruppen, die man respektieren muß. Der Kursverfall des Peso wird die indigene Bevölkerung besonders hart treffen, denn trotz Subsistenzproduktion sind sie doch auf Kredite angewiesen. Kredite, die jetzt unter erschwerten Bedingungen zurückzuzahlen sind. Denn an stabile Devisen gelangen in Chiapas nur die Viehzüchter, die in die USA exportieren und Hotelbesitzer, die vom Tourismus profitieren.
Am 15. Januar trafen sich erstmals seit den gescheiterten Gesprächen vom vergangenen März wieder VertreterInnen der Regierung und der EZLN. Innenminister Esteban Moctezuma traf auf dem Territorium der EZLN mit drei Repräsentanten der EZLN zusammen, um einen Ausweg aus der gegenwärtigen Gefahr eines erneut ausbrechenden Krieges zu finden. Zuvor hatten die Zapatistas den Waffenstillstand nochmals bis zum 18. Januar verlängert. Ergebnisse dieses Treffens wurden nicht bekanntgegeben, doch Folgetreffen sind vorgesehen. Zuvor schon hatte die EZLN nach der Besetzung mehrerer Ortschaften und dem anschließenden Eindringen von Regierungstruppen in das Territorium der Zapatistas den Waffenstillstand erst bis zum 6., dann nochmals bis zum 12. Januar verlängert. Mittlerweile verkündete die EZLN einen unbefristeten Waffenstillstand und strebt in Verhandlungen mit der Regierung einen dauerhaften Frieden an.