„Die Toten sind auch das Werk Ihrer Regierung“
Pressegespräch mit Hebe de Bonafini, Felicitas Cartolini, Lucia Cerpa und Norma Velasco
Was ist die Absicht Ihrer Informationsreise?
Hebe de Bonafini: Wir, als „Madres“ aus Argentinien, begleiten und unterstützen die peruanischen Mütter, die noch nicht solch starke internationale Unterstützung haben wie wir, dabei, eine eigene Gruppe zu gründen und Kontakte hier in Europa zu finden. Die Situation der Menschenrechte in Peru betreffend, sind wir besorgter als je zuvor, denn Präsident Fujimori will rund 400 politische Gefangene in das Gefängnis von Challapalca hoch in den peruanischen Anden verlegen, in 5000 Metern Höhe ohne Heizung, Strom und fließend Wasser, was einem Todesurteil auf Raten gleichkommt. Unser Ziel ist es, weltweit eine Million Unterschriften zu sammeln, um dies zu verhindern.
Felicitas Cartolini: Politische Gefangene in Peru sind innerhalb der Haftanstalten massiver Repression ausgesetzt. Sie dürfen weder Besuch von Angehörigen, noch vom Roten Kreuz oder Ärzten empfangen, selbst dann nicht, wenn sie krank sind. Die peruanische Regierung will nicht, daß sich Menschen für diese Gefangenen einsetzen, beschimpft uns „Madres“ als „Terroristenmütter“ und bezeichnet alle, die gegen die Regierung sind, als Unterstützer des Terrorismus.
Von Ihrer Absicht, eine Organisation der „Madres“ für Peru zu gründen, war bereits die Rede. Wie weit sind diese Pläne schon fortgeschritten?
Lucia Cerpa: Es gibt in Peru bereits mehrere Organisationen von Müttern und Familienangehörigen Verschwundener und politischer Häftlinge, die Aufklärung über das Schicksal der „Desaparecidos“, der Verschwundenen, die Bestrafung der Täter und die Wahrung der Menschenrechte in den Gefängnissen fordern. Sie werden jedoch in ihrer Arbeit massiv behindert. Wir, als Flüchtlinge, Exilierte, wollen diese Gruppen stärken, indem wir die internationale Öffentlichkeit über das, was in Peru vor sich geht, informieren. Dazu wollen wir uns hier in Europa zusammentun und Kontakte nach Peru aufrechterhalten.
Sie wurden in Bonn recht frostig empfangen. Warum stützt Deutschland Ihrer Meinung nach so stark die Regierung Fujimoris?
F.C.: Darüber kann ich nur spekulieren: Es mögen wohl wirtschaftliche Interessen sein. Eigentlich sollten Sie diese Frage Ihrer Regierung stellen.
H.B.: Wir haben hier in Deutschland viel Solidarität gespürt, doch es ist das einzige Land in Europa, in dem es keine Unterstützergruppe für die „Madres“ gibt. Und: Noch nie hat uns jemand ein Gespräch verweigert, außer: Fujimori – und der Unterausschuß für Menschenrechte des Deutschen Bundestages. Es ist wohl eindeutig, daß Deutschland Fujimori unterstützt, es hat viele wirtschaftliche Interessen. Das Leben unserer Angehörigen verwandelt sich für sie in Erdöl, in Geschäfte; Menschenrechte werden zu einer Frage von Ölpreisen und Börsenkursen. Die deutsche Regierung redet soviel von Frieden, doch anstatt ihn zu praktizieren, verkauft sie Waffen an Länder wie unsere. Die Toten sind auch das Werk der Bundesregierung. Ich habe keine Angst, dies laut zu sagen.
Für Präsident Fujimori, und ebenso für die deutsche Regierung, scheint die „Tatsache“, daß Sie mit „Terroristen“ verwandt sind, zu reichen, Ihr Anliegen zu ignorieren.
H.B.: Wir werden von Präsident Menem noch heute „Terroristenmütter“ genannt, das lenkt aber davon ab, daß es eigentlich um die Menschenrechtsfrage geht, um Verschwundene, Folter, Haftbedingungen. Die Mehrzahl unserer Kinder waren Revolutionäre, viele haben bewaffnet gekämpft. Wir Mütter betrachten alle als gleich: Ob sie nun bewaffnet oder politisch gekämpft haben, in der Guerilla, der Universität, oder der Kirche, sie alle sind „verschwunden“ oder tot, oder wenn sie noch in Haft sind, müssen wir verhindern, daß sie es werden. Der einzige Terrorismus in der Dritten Welt ist der Staatsterrorismus, der unterdrückt, der foltert, der aushungert, der tötet. Das Recht, sich gegen Unterdrückung zu verteidigen, hat jeder Mensch, auf welche Art auch immer.
Hebe de Bonafini, als Vertreterin einer international bekannten Menschenrechtsorganisation haben Sie versucht, während der Geiselnahme in der japanischen Botschaft zwischen Fujimori und der MRTA zu vermitteln. Welche Eindrücke hatten Sie in Lima?
H.B.: Wir waren 12 Tage in Lima, ständig beobachtet und verfolgt durch Polizei und Armee, haben diese Stimmung von Angst und Terror gegen das Volk erlebt. Zweimal am Tag, morgens und am Nachmittag, sind wir zum Präsidentenpalast gefahren, um zu sehen, ob Fujimori uns empfängt und als Vermittlerinnen akzeptiert. Aber da er ein Mörder und ein feiger Mensch ist, hat er sich nicht getraut, uns „nein“ zu sagen, hat uns immer nur wieder herbestellt und warten lassen, jeden Tag aufs Neue. Wir gingen auch an die Gefängnistore, herein ließ man uns nicht, und trafen dort sehr mutige Mütter, die vor der internationalen Presse die Zustände in den Gefängnissen beklagten. Dies laut zu sagen bedeutet ein hohes Risiko in einem Land wie Peru. Bevor wir nach Peru gingen, haben wir die Weltgemeinschaft, die Friedensnobelpreisträger, aufgefordert, hinzuschauen, mitzukommen. Doch erst nach dem Massaker haben sich alle beteiligt an Märschen, Demonstrationen und Konsulatsbesetzungen, aber da war es schon zu spät. Das ist die Mittelmäßigkeit der Linken. Deshalb ist es jetzt wichtig, zu verhindern, daß die politischen Gefangenen in dieses unmenschliche Gefängnis verlegt werden. Jetzt, bevor sie tot sind!
Es gibt Gerüchte, daß nicht alle Mitglieder jenes MRTA-Kommandos in der Botschaft getötet wurden, sondern daß es Überlebende gab, die jetzt vom peruanischen Geheimdienst festgehalten und gefoltert werden. Was wissen Sie, Norma Velasco, als MRTA-Vertreterin, darüber?
Norma Velasco: Als die Besetzung losging, wußten auch wir nur, daß es sich um eine Gruppe von Compañeros von weniger als fünfzig Frauen und Männern handelte. Zwei Wochen nach der Erstürmung erhielten wir eine offizielle Nachricht, daß es 14 Guerilleros gewesen seien, die getötet wurden. Wieviele es wirklich waren, wissen nur Fujimori und seine Folterer. Der Staat ließ bei seinen Massakern nie Gefangene oder Zeugen zurück, alle werden extralegal hingerichtet. Der Unterschied dieses Massakers zu den früheren war, daß erstmals die gesamte Weltöffentlichkeit auf den Fernsehschirmen zuschauen konnte, was passierte. Die Menschenrechtsorganisationen haben das Recht, von Fujimori eine Ermittlung zu diesen Tatsachen zu fordern. Denn die Mitglieder des MRTA-Kommandos waren, unabhängig von ihrer politischen Position, menschliche Wesen; sie haben das Leben ihrer Gefangenen in der Botschaft bis zum letzten Augenblick respektiert.