Argentinien | Nummer 277/278 - Juli/August 1997

“Die Toten sind auch das Werk Ihrer Regierung”

Pressegespräch mit Hebe de Bonafini, Felicitas Cartolini, Lucia Cerpa und Norma Velasco

Im Juni begleitete Hebe de Bonafini, Präsidentin der “Madres de la Plaza de Mayo” aus Argentinien, eine Gruppe peruanischer Mütter von Verschwundenen, Er­mordeten und politischen Gefangenen zu Gesprä­chen mit Menschen­rechtsinitiativen und Solidaritätskomitees durch Eu­ropa. Am 14. und 15. Juni weilte die Gruppe in Berlin. Weitere Etappen der Reise sind Rom, Madrid und Genf, wo die “Madres” mit der UNO-Menschenrechtskommission zusammentreffen werden.

Christian Harkensee

Was ist die Absicht Ihrer Informations­reise?

Hebe de Bonafini: Wir, als “Madres” aus Argentinien, be­gleiten und unterstützen die pe­ruanischen Mütter, die noch nicht solch starke internationale Unterstützung haben wie wir, dabei, eine eigene Gruppe zu grün­den und Kontakte hier in Europa zu finden. Die Situation der Menschenrechte in Peru be­treffend, sind wir besorgter als je zuvor, denn Präsident Fujimori will rund 400 politi­sche Gefan­gene in das Gefängnis von Challa­palca hoch in den peruani­schen Anden ver­legen, in 5000 Metern Höhe ohne Heizung, Strom und fließend Wasser, was einem To­desurteil auf Raten gleichkommt. Unser Ziel ist es, weltweit eine Million Unter­schriften zu sammeln, um dies zu verhindern.
Felicitas Cartolini: Politische Gefangene in Peru sind innerhalb der Haftanstalten massi­ver Re­pres­sion ausgesetzt. Sie dürfen we­der Besuch von Angehöri­gen, noch vom Roten Kreuz oder Ärz­ten empfangen, selbst dann nicht, wenn sie krank sind. Die pe­ruanische Regierung will nicht, daß sich Menschen für diese Gefangenen einsetzen, be­schimpft uns “Madres” als “Ter­ro­ristenmütter” und be­zeichnet al­le, die gegen die Re­gierung sind, als Unterstützer des Ter­ro­rismus.

Von Ihrer Absicht, eine Or­ganisation der “Madres” für Peru zu gründen, war bereits die Rede. Wie weit sind diese Pläne schon fortgeschritten?

Lucia Cerpa: Es gibt in Peru bereits mehrere Organisationen von Müttern und Fa­mi­li­en­an­ge­hö­rigen Verschwun­dener und po­li­tischer Häftlinge, die Auf­klä­rung über das Schick­sal der “Des­aparecidos”, der Ver­schwun­denen, die Bestrafung der Täter und die Wahrung der Men­schen­rechte in den Ge­fängnissen for­dern. Sie werden jedoch in ih­rer Arbeit massiv be­hindert. Wir, als Flücht­linge, Exilierte, wollen di­ese Gruppen stär­ken, indem wir die interna­tionale Öffentlich­keit über das, was in Peru vor sich geht, infor­mieren. Dazu wol­len wir uns hier in Eu­ropa zusammentun und Kontakte nach Peru aufrechter­halten.

Sie wurden in Bonn recht fro­stig empfan­gen. Warum stützt Deutschland Ihrer Mei­nung nach so stark die Regierung Fujimoris?

F.C.: Darüber kann ich nur spekulieren: Es mögen wohl wirt­schaftliche Interessen sein. Eigentlich sollten Sie diese Frage Ihrer Regierung stellen.
H.B.: Wir haben hier in Deutsch­land viel Solidarität ge­spürt, doch es ist das einzige Land in Europa, in dem es keine Un­ter­stützergruppe für die “Madres” gibt. Und: Noch nie hat uns jemand ein Ge­spräch ver­weigert, außer: Fujimori – und der Unterausschuß für Men­schen­rechte des Deutschen Bun­destages. Es ist wohl eindeu­tig, daß Deutschland Fujimori unter­stützt, es hat viele wirtschaftliche Interessen. Das Le­ben unserer Angehörigen verwandelt sich für sie in Erdöl, in Geschäfte; Men­schen­rechte werden zu einer Fra­ge von Ölpreisen und Bör­sen­kur­sen. Die deutsche Regie­rung re­det soviel von Frieden, doch an­statt ihn zu praktizieren, verkauft sie Waffen an Län­der wie un­se­re. Die Toten sind auch das Werk der Bundesregierung. Ich ha­be keine Angst, dies laut zu sagen.

Für Präsident Fujimori, und eben­so für die deutsche Regie­rung, scheint die “Tatsache”, daß Sie mit “Terroristen” ver­wandt sind, zu reichen, Ihr An­liegen zu ignorieren.

H.B.: Wir werden von Präsi­dent Menem noch heute “Ter­ro­ri­stenmütter” genannt, das lenkt aber davon ab, daß es ei­gentlich um die Menschenrechts­frage geht, um Verschwundene, Folter, Haft­bedingungen. Die Mehrzahl un­serer Kinder waren Revolu­tio­näre, viele haben be­waffnet ge­kämpft. Wir Mütter betrachten al­le als gleich: Ob sie nun be­waff­net oder politisch ge­kämpft ha­ben, in der Guerilla, der Uni­ver­sität, oder der Kir­che, sie alle sind “verschwunden” oder tot, oder wenn sie noch in Haft sind, müssen wir verhin­dern, daß sie es werden. Der ein­zige Ter­ro­ris­mus in der Dritten Welt ist der Staatsterrorismus, der unter­drückt, der fol­tert, der aus­hun­gert, der tötet. Das Recht, sich ge­gen Unterdrückung zu ver­tei­di­gen, hat jeder Mensch, auf wel­che Art auch im­mer.

Hebe de Bonafini, als Vertre­terin einer international be­kannten Menschenrechtsorga­ni­sa­tion haben Sie versucht, wäh­rend der Geiselnahme in der japanischen Botschaft zwi­schen Fujimori und der MRTA zu vermit­teln. Welche Ein­drücke hatten Sie in Lima?

H.B.: Wir waren 12 Tage in Lima, ständig beobachtet und ver­folgt durch Polizei und Ar­mee, haben diese Stimmung von Angst und Terror gegen das Volk erlebt. Zweimal am Tag, mor­gens und am Nachmittag, sind wir zum Präsidentenpalast ge­fahren, um zu sehen, ob Fuji­mori uns empfängt und als Ver­mittlerinnen akzeptiert. Aber da er ein Mörder und ein feiger Mensch ist, hat er sich nicht ge­traut, uns “nein” zu sagen, hat uns immer nur wieder herbestellt und warten lassen, jeden Tag aufs Neue. Wir gingen auch an die Gefängnistore, herein ließ man uns nicht, und trafen dort sehr mutige Mütter, die vor der in­ternationalen Presse die Zu­stände in den Gefängnissen be­klagten. Dies laut zu sagen be­deutet ein hohes Risiko in einem Land wie Peru. Bevor wir nach Peru gingen, haben wir die Welt­ge­mein­schaft, die Friedens­nobel­preisträger, aufgefordert, hin­zu­schau­en, mitzukommen. Doch erst nach dem Massaker haben sich alle beteiligt an Märschen, De­monstrationen und Konsu­lats­be­setzungen, aber da war es schon zu spät. Das ist die Mit­telmäßigkeit der Linken. Des­halb ist es jetzt wichtig, zu ver­hindern, daß die politischen Ge­fan­genen in dieses un­mensch­liche Gefängnis verlegt werden. Jetzt, bevor sie tot sind!

Es gibt Gerüchte, daß nicht alle Mitglieder jenes MRTA-Kommandos in der Bot­schaft ge­tötet wur­den, sondern daß es Überlebende gab, die jetzt vom pe­ruanischen Ge­heim­dienst fest­ge­hal­ten und gefoltert wer­den. Was wis­sen Sie, Norma Ve­las­co, als MRTA-Ver­treterin, da­rüber?

Norma Velasco: Als die Be­setzung los­ging, wußten auch wir nur, daß es sich um eine Grup­pe von Com­pañeros von we­niger als fünf­zig Frauen und Män­nern handelte. Zwei Wochen nach der Erstürmung er­hiel­ten wir eine offizielle Nach­richt, daß es 14 Guerille­ros ge­we­sen seien, die getötet wurden. Wie­viele es wirk­lich waren, wis­sen nur Fu­jimori und seine Fol­terer. Der Staat ließ bei seinen Mas­sakern nie Gefangene oder Zeu­gen zu­rück, alle werden extra­legal hin­gerichtet. Der Un­ter­schied dieses Massakers zu den frühe­ren war, daß erstmals die gesamte Welt­öf­fentlichkeit auf den Fern­seh­schirmen zu­schau­en konnte, was passierte. Die Men­schen­rechts­organi­sa­tio­nen haben das Recht, von Fuji­mo­ri eine Ermittlung zu diesen Tat­sachen zu fordern. Denn die Mit­glieder des MRTA-Kom­man­dos waren, unabhängig von ih­rer po­litischen Position, mensch­li­che Wesen; sie haben das Leben ih­rer Ge­fangenen in der Bot­schaft bis zum letzten Au­gen­blick re­spektiert.

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