Nummer 313/314 - Juli/August 2000 | Peru

„Die Vereidigung Fujimoris muss verhindert werden“

Interview mit dem peruanischen Psychoanalytiker César Rodríguez Rabanal

César Rodríguez Rabanal ist Berater des ehemaligen peruanischen Präsidentschaftskandidaten Alejandro Toledo. Früher arbeitete er am Sigmund-Freud-Institut in Frankfurt und war Mitarbeiter des Psychologen Alexander Mitscherlich. Unlängst warb Rodríguez in Berlin um Unterstützung für die demokratische Bewegung in Peru. Wir sprachen mit ihm über den Widerstand gegen den Wahlbetrug.

Interview: Rolf Schröder

Neben Ihrer Beratertätigkeit für Toledo sind Sie Präsident des Demokratischen Forums in Peru. Erzählen Sie uns etwas über diese Organisation.

Die Gründung des Demokratischen Forums war eine Anwort auf den Putsch Fujimoris im Jahre 1992. Ursprünglich verstand sich das Forum nicht als Oppositionsbewegung, sondern als Bündnis zur Stärkung der staatlichen Institutionen und der Demokratie. Bekannt wurden wir durch die Unterschriftensammlung für ein Referendum gegen die verfassungswidrige dritte Kandidatur Fujimoris. Wir bekamen 1,5 Millionen Unterschriften zusammen. Das reicht laut Verfassung für ein Referendum aus. Aber die Regierung erkannte die Unterschriften nicht an.

Welche Rolle kann das Forum bei der Organisation des Widerstands gegen Fujimori nach dessen Wahlbetrug spielen?

Die Protestbewegung gegen Fujimori hat sich erst in den letzten Wochen formiert. Wir haben Massendemonstrationen in verschiedenen Teilen des Landes erlebt. Das wäre noch vor wenigen Monaten unvorstellbar gewesen. Nach dem Wahlbetrug muss das oberste Ziel der Rücktritt Fujimoris sein. Erst danach kann eine Demokratisierung eingeleitet werden. Das Demokratische Forum will dazu beitragen, dass Strukturen geschaffen werden, die eine Fortsetzung des Widerstands garantieren.
Müssen sich solche Strukturen nicht von unten bilden, innerhalb der

Gewerkschaften, der Universitäten oder der pueblos jóvenes, der armen Randzonen der Städte?

Ja. Deswegen will das Demokratische Forum bei der Vernetzung der einzelnen Gruppen helfen. Es bilden sich fast täglich neue Komitees, die sich am Widerstand beteiligen. Die Studenten und die Gewerkschaften spielen eine herausragende Rolle in der Protestbewegung. Besonders die jungen Leute haben aber starke Vorbehalte gegenüber den Vertretern der politischen Parteien, die zum Teil auch im Demokratischen Forum vertreten sind. In den pueblos jóvenes tut sich wenig. Dort rekrutiert Fujimori den Großteil seiner Wähler. Er fährt oft in die Randbezirke Limas und verschenkt Lebensmittel, die zum großen Teil aus der internationalen Entwicklungshilfe stammen. Und er droht mit der Streichung dieser Hilfe, wenn gegen die Regierung protestiert wird.

Welche Rolle spielt Alejandro Toledo bei der Organisation des Widerstands?

Alejandro Toledo hat in den letzten Monaten einen unglaublichen Aufstieg erlebt. Alle demokratischen Kräfte im Land unterstützten ihn bei den Wahlen. Er ist der Kopf der demokratischen Bewegung, und er versteht es, die Menschen zu mobilisieren. Am Wahlabend brachte er über 60.000 Demonstranten in Lima zusammen. Toledo steht auch für die Gewaltfreiheit des Widerstands. Das ist ein wichtiger Punkt, denn das Trauma des Bürgerkriegs mit dem Leuchtenden Pfad ist noch nicht überwunden.

Was ist vom neu gewählten Parlament zu erwarten? Die Opposition hat dort die Mehrheit und könnte die Präsidentschaft als vakant erklären.

Ich erwarte nichts vom Parlament. Die Regierung wird versuchen, Abgeordnete der Opposition zu kaufen. Erste Bestechungsversuche sind schon vor der Zusammenkunft des neuen Parlaments bekannt geworden.

Vorläufiger Höhepunkt des Widerstands gegen Fujimori soll eine machtvolle Demonstration am 28. Juli sein, wenn die neue Regierung vereidigt wird.
Toledo hat angekündigt, er wolle vier Millionen Menschen aus dem ganzen Land mobilisieren. Ist diese Zahl realistisch?

Nein, das ist sie nicht. Ich rechne mit gut 100.000 Teilnehmern. Geplant ist ein nationaler Marsch aus verschiedenen Richtungen auf Lima vom 26. bis zum 28. Juli. Die Vereidigung Fujimoris muss verhindert werden.

Was erwarten Sie sich von Ihrem Aufenthalt in Deutschland?

Der Wahlbetrug ist keine innere Angelegenheit Perus. Die Globalisierung darf nicht bei der Wahrung der Menschenrechte und dem Aufbau demokratischer Strukturen Halt machen. Insofern wäre es wünschenswert, dass sich auch die Bundesregierung einmischt. Nur wirtschaftliche Sanktionen wollen wir nicht. Ansonsten versuche ich Unterstützung für die demokratische Bewegung in Peru zu bekommen. Dabei geht es nicht nur um finanzielle Aspekte. Auch moralische Unterstützung aus der Solidaritätsbewegung ist wichtig.

Wie schätzen Sie die Überlebenschancen der Regierung Fujimori ein? Es gibt Gerüchte, Fujimori könnte unter Druck zurücktreten und seinem Stellvertreter Francisco Tudela die Präsidentenschärpe überreichen. Wäre damit dem Widerstand die Spitze genommen?

Der eigentlich mächtige Mann hinter Fujimori ist der Geheimdienstchef Vladimiro Montesinos. Er ist der Gründer der Todesschwadron „Colina“, die für Morde und Massaker verantwortlich zeichnet. Alle Peruaner wissen: Es geht um eine Gruppe an der Macht, zu der auch die Armeespitze gehört. Der Präsident ist innerhalb dieser Gruppe austauschbar. Deshalb täte ein solcher Wechsel dem Widerstand keinen Abbruch. Tudela, ein Repräsentant der weißen Oberschicht, hätte außerdem in den pueblos jóvenes weniger Chancen als Fujimori. Wie lange die Regierung überlebt, kann ich nicht voraussagen. Vielleicht ein paar Wochen, vielleicht bis Weihnachten, vielleicht aber auch länger.

Warum klammert sich die Regierung Fujimori derart an die Macht?

Die Regierung und die Spitze der Armee sind in zahlreiche Korruptionsskandale verwickelt. Montesinos verbucht beispielsweise auf einem seiner Konten im Laufe eines Jahres Einnahmen von 2,6 Millionen US-Dollar. Im Übrigen hat sich herumgesprochen, dass Verbrechen verantwortlicher Politiker auch international verfolgt werden. Vor allem Montesinos muss mit diversen Anklagen rechnen.

Kasten: Judaslohn für Abgeordnete

Die peruanische Regierung auf dem Weg zur Parlamentsmehrheit

Präsident Fujimori zog seinen Wahlschwindel unter internationaler Beobachtung nicht bis zur letzten Konsequenz durch. Bei den Parlamentswahlen erreichte seine Liste Perú 2000 nur 52 von 120 Sitzen. Die Regierungsmafia ist dabei, diesen Schönheitsfehler auszubügeln. Koste es, was es wolle.

Luis Cáceres Velásquez gibt offen zu, ein Bewunderer Hitlers zu sein. Doch bei den peruanischen Parlamentswahlen entschied sich der Politiker für eine Kandidatur auf der Liste eines religiösen Führers – der des rauschebärtigen Predigers Ezequil Ataucusi. Cáceres und sein Sohn Róger Cáceres Pérez waren die einzigen Kandidaten auf der Liste der Gottesfürchtigen, die auch gewählt wurden. Aber leider ist Luis Cáceres vorbestraft, weil er einst als Bürgermeister der Stadt Arequipa Krankenwagen unterschlug, die in seiner Kommune als Spende eingegangen waren. Deshalb annullierte das oberste peruanische Wahlgremium JNE seine Wahl. Nun entschied sich Cáceres zu einem Fahnenwechsel und schloss sich gemeinsam mit seinem Sohn Fujimoris Liste Perú 2000 an, die aufgrund der Fälschung von einer Million Unterschriften zur Wahl zugelassen wurde (vgl. LN 310).
Luis Cáceres hatte richtig kalkuliert. Er wurde postwendend vom obersten Gerichtshof begnadigt. Sein erst wenige Jahre zurückliegendes Verbrechen wurde für verjährt erklärt. Mithin annullierte auch das JNE seine Entscheidung und gab Cáceres seinen Abgeordnetensitz zurück. Der glückliche Abgeordnete versprach, noch weitere Oppositionskandidaten für Fujimoris Liste zu werben.
Ob Cáceres zusätzlich Geld von der Regierungsmafia kassiert hat, ist unbekannt. Doch fünf gewählte Oppositionsabgeordnete gaben zu, ein konkretes Angebot für einen Wechsel ins Regierungslager erhalten zu haben. Ein künftiger Abgeordnete für Toledos Parlamentsgruppe Perú Posible, Leoncio Torres, nannte konkrete Zahlen: Sein Judaslohn sollte 50.000 US-Dollar auf die Hand und noch mal 10.000 US-Dollar monatlich betragen. Torres lehnte ab. Andere gaben zu, dass ihnen Filetgrundstücke in den besseren Zonen Limas angeboten wurden.
Wie dem auch sei, fest steht, dass einen Monat vor Beginn der neuen Legislaturperiode am 28. Juli mit Vater und Sohn Cáceres bereits acht gewählte Oppositionsabgeordnete definitiv ins Regierungslager übergewechselt sind. Damit gäbe es im Parlament eine Pattsituation. Doch es kann davon ausgegangen werden, dass Fujimori und sein Geheimdienstchef Montesinos ihre Überzeugungsarbeit erfolgreich fortsetzen werden. Im Interesse einer stabilen Regierung.

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