Chile | Nummer 475 - Januar 2014

Die Versprechen der Michelle Bachelet

Bildungsreform, Steuerreform und eine Neue Verfassung

Zweifel gab es weniger als bei der Mitgliederbefragung der SPD. Michelle Bachelet, die Kandidatin der Mitte-Links-Koalition, ging als haushohe Favoritin in den zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen am 15. Dezember (bis zum Redaktionsschluss waren die Ergebnisse noch nicht veröffentlicht). Die parallel zur ersten Runde abgehaltenen Parlamentswahlen brachten Vertreter_innen der Studierendenbewegung ins Parlament. Ihre zentrale Forderung: eine neue Verfassung.

David Rojas-Kienzle

Für die Medien war es eine schöne Steilvorlage: Das Duell der Generalstöchter Michelle Bachelet und Evelyn Matthei. Erstere trat für die Mitte-Links-Koalition Neue Mehrheit an, Zweitere für das rechte Parteienbündnis Allianz für Chile. Töchter von Vätern, die befreundet waren und die der Putsch gegen Salvador Allende 1973 entzweite. Bachelets Vater wurde zum Opfer der Pinochet-Diktatur, Mattheis Vater machte unter Pinochet weiter Karriere. Michelle Bachelet hatte den Wettstreit um die Wähler_innenstimmen im ersten Wahlgang am 17. November klar gewonnen und bekam 46,7 Prozent der gültigen Stimmen. Matthei konnte lediglich 25 Prozent der Stimmen für sich behaupten. Die Ausgangslage für den zweiten Wahlgang war damit klar: Alles andere als ein Sieg von Bachelet wäre eine Sensation.
Auch wenn die klare Stimmenverteilung beeindruckt, bleibt festzuhalten, dass die Wahlbeteiligung bei lediglich 49 Prozent lag. Damit hat mehr als die Hälfte der wahlberechtigten Chilen_innen nicht teilgenommen. Die im Vergleich zu den Wahlen 2009 äußerst geringe offizielle Beteiligung – diese lag damals bei 86,7 Prozent – hängt auch damit zusammen, dass nun zum ersten Mal alle Wahlberechtigten automatisch in das Wahlregister eingetragen wurden und zudem keine Wahlpflicht herrschte. Aber auch in absoluten Zahlen nahm die Beteiligung um etwa 500.000 Wähler_innen ab. Chile ist damit das lateinamerikanische Land mit der geringsten Wahlbeteiligung. Neben dem klaren Vorsprung bei den Präsidentschaftswahlen konnte das Mitte-Links-Bündnis Neue Mehrheit auch bei den Parlamentswahlen Erfolge verbuchen. Im Senat stellt sie nun 20 der 38 Senator_innen und im Abgeordnetenhaus 67 der 120 Parlamentarier_innen. Die uneindeutigen Mehrheitsverhältnisse sind dem in Chile gültigen binomialen Wahlrecht geschuldet, bei dem pro Wahlkreis die Kandidat_innen mit den meisten und den zweitmeisten Stimmen ins Parlament einziehen. Dies führt dazu, dass es äußerst schwierig ist, klare Mehrheiten im Parlament zu erlangen.
Neben den Abgeordneten, die für Parteien kandidierten oder sich als unabhängige Kandidat_innen einem Parteienbündnis anschlossen, sind auch drei unabhängige Kandidat_innen ins Abgeordnetenhaus eingezogen: Alejandra Sepúlveda, Giorgio Jackson und Gabriel Boric. Boric und Jackson bilden zusammen mit Camila Vallejo und Karol Cariola den Block der ins Parlament gewählten Studierendenvertreter_innen, die sich bei den seit 2011 andauernden Protesten einen Namen gemacht haben. Dabei ist die Wahl des unabhängigen Boric eine kleine Sensation: „Entgegen aller Prognosen haben wir es geschafft gegen beide Bündnisse zu gewinnen und das binomiale Wahlrecht zu brechen“, so Boric. Vallejo und Cariola traten hingegen für die Kommunistische Partei an, die Teil der Neuen Mehrheit ist. Der innerhalb der Studierendenbewegung als moderat geltende Jackson wurde von der Neuen Mehrheit dadurch unterstützt, dass diese in seinem Wahlkreis keine_n Kandidat_in aufstellte.
Wenn alles wie erwartet läuft und Michelle Bachelet Präsidentin wird, hat sie sich mit ihrem Programm große Aufgaben gegeben: Die zentralen Punkte ihres Programms, eine Bildungsreform, eine Steuerreform und eine neue Verfassung sind die Versprechen, mit denen sie antrat. Vor allem bei der Umsetzung der Bildungsreform ist sie allerdings auf die Stimmen der unabhängigen Abgeordneten angewiesen. Ob und wie sich die versprochenen Reformen verwirklichen lassen, ist fraglich. Schon 2006, während ihrer ersten Amtszeit, versprach sie als Reaktion auf die Proteste der Sekundarschüler_innen eine Bildungsreform. Diese entpuppte sich jedoch als absolut unzureichend. Von Seiten der Studierendenbewegung, die die Beteiligung am Wahlprozess teilweise kritisch betrachtet, ist bereits jetzt Skepsis zu vernehmen. Melissa Sepúlveda, Präsidentin der FeCh, der Organisation der Studierenden der Universidad de Chile äußerte im Interview mit der Zeitschrift Punto Final: „Die guten Absichten von Michelle Bachelet und der Kommunistischen und Sozialistischen Partei sind wenig wert. Um zu wissen, was sie wirklich wollen, müssen wir abwarten und beobachten wie sie agieren.“
Auf die Frage, wie denn die Erarbeitung einer Verfassungsreform ausehen könnte, hat Bachelet bisher auch keine konkrete Antwort gegeben. Im Zuge der Wahl forderte eine Kampagne, auf den Wahlzettel ein „AC“ für „Asamblea Constituyente“ zu schreiben und dadurch dem Wunsch nach einer Verfassunggebenden Versammlung Ausdruck zu verleihen. Die derzeit geltende Verfassung, die für viele Probleme verantwortlich gemacht wird, wurde 1980 von der Militärdiktatur geschaffen. Auf die Frage, ob Bachelet eine solche Verfassunggebende Versammlung befürworte, antwortet sie stets ausweichend, dass sie für eine neue Verfassung sei. Ob dies im Rahmen der Institutionen möglich ist, wird sich noch zeigen. Sicher ist, dass es bei diesem Thema auch innerhalb der Neuen Mehrheit Konflikte geben wird. So hat Camila Vallejo ein Positionspapier veröffentlicht, in dem sie sich ausdrücklich für eine solche Versammlung ausspricht.
Teile der sozialen Bewegungen betrachten eine potenzielle Regierung Bachelet kritisch. Während der Gewerkschaftsdachverband CUT das Mitte-Links-Bündnis unterstützt, sind die Stimmen aus der eher syndikalistischen Gewerkschaft CGT verhaltener: „Die Neue Mehrheit ist nicht die Stimme der Arbeiter“, so deren Präsident Manuel Ahumado. Auch die Fraktionen innerhalb der Studierendenbewegung, die sich wie Melissa Sepúlveda gegen eine Institutionalisierung der Bewegung aussprechen, betrachten die neue Regierung mit Skepsis. Aus ihren Reihen war eine Kampagne gestartet worden, die dazu aufrief, nicht an den Wahlen teilzunehmen.
Von Seiten der linken Mapuche-Organisationen ist ebenfalls wenig Begeisterung über eine zukünftige Präsidentin Bachelet zu hören. In ihre erste Amtszeit fallen unzählige Verfahren gegen Mapuche, bei denen das aus der Militärdiktatur geerbte Antiterrorgesetz Anwendung fand. Außerdem wurden während ihrer Amtszeit die jungen Aktivisten Matías Catrileo, Jaime Mendoza und Johnny Cariqueo von der Polizei ermordet, ohne dass die dafür verantwortlichen Polizeibeamten zu Haftstrafen verurteilt wurden. Im Rahmen der Veröffentlichungen von Wikileaks ist zudem ans Licht gekommen, dass die Regierung von Bachelet den US-Geheimdienst FBI um Hilfe gebeten hatte, um Verbindungen zwischen Mapuche-Organisationen und der kolumbianischen Guerilla FARC sowie der baskischen Untergrundorganisation ETA zu ermitteln. Damit wurde klar, dass die Regierung den Konflikt lediglich unter dem Aspekt der Repression betrachtete.
Sollte Bachelet wie zu erwarten den zweiten Wahlgang gewinnen, die gemachten Versprechen allerdings nicht einhalten, könnte eine unruhige Regierungszeit auf sie zukommen – oder wie es Melissa Sepúlveda ausdrückte: „In Chile müssen Veränderungen passieren oder Michelle Bachelet wird ein Land mit steigender politischer Instabilität regieren müssen.“

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