Aktuell | Nicaragua | Nummer 610 - April 2025

Die Zensur durchbrechen

Die unabhängigen Medien im Exil gewährleisten das Recht der Nicaraguaner*innen auf Informationsfreiheit

Nicaragua feiert am 1. März den Nationalen Journalistentag, doch die unabhängige Presse ist längst außer Landes geflohen. Sieben Jahre Unterdrückung der Pressefreiheit haben eine lebendige und vielfältige Medienlandschaft in eine mediale Wüste verwandelt. Die Verfolgung des unabhängigen Journalismus ließ Medienschaffenden nur die Wahl zwischen Gefängnis oder Flucht ins Exil. Die Nichtregierungsorganisation Colectivo Nicaragua Nunca Más (Kollektiv Nicaragua Nie Wieder) startete am 1. März unter dem Motto „Die Wahrheit kann weder verbannt noch zum Schweigen gebracht werden“ eine einmonatige Medienkampagne, um auf die prekäre Lage des nicaraguanischen Exil-Journalismus aufmerksam zu machen und Solidarität zu stärken. LN berichtet über die Kampagne und die zentralen Herausforderungen der Journalist*innen.

Von Elisabeth Erdtmann
Foto: Jorge Mejía Peralta

Der Nationale Journalistentag, den Nicaragua seit 1964 am 1. März begeht, sollte eigentlich ein Fest zu Ehren der Pressefreiheit sein. Gedacht wird der Veröffentlichung des Diario de Nicaragua, der ersten Zeitung des Landes, die 1884 von Rigoberto Cabezas gegründet wurde. Im heutigen Nicaragua ist dieses Gedenken jedoch nur noch eine zynische Farce, denn der De-facto-Polizeistaat des Präsidentenpaares Ortega-Murillo hat durch Verbannung, Unterdrückung und gewaltsames Verschwindenlassen von Journalistinnen die unabhängige Berichterstattung praktisch beseitigt. Umso bedeutsamer ist es, daran zu erinnern, dass der Exil-Journalismus trotz schwierigster Bedingungen weiter lebendig ist. „An diesem Tag erinnern wir an die sieben Jahre, in denen der nicaraguanische Journalismus den Angriffen der Diktatur tapfer standgehalten und weiter informiert hat“, erklärte hierzu das Colectivo Nicaragua Nunca Más (Kollektiv Nicaragua Nie Wieder), das sich im Exil in Costa Rica befindet (siehe LN 586). Dass die Repression bis heute immer noch neue Opfer findet, beweisen die jüngsten Verhaftungen von vier Journalistinnen 2024 und 2025, deren Freilassung das Kollektiv fordert: Fabiola Tercero, die das Literaturprojekt El Rincón de Fabi leitete; Elsbeth D’Anda, die die Fernsehsendung La Cobertura moderierte sowie Leo Catalino Cárcamo Herrera und Irving Guerrero Montes, die sich aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters in den Ruhestand begeben hatten. Sie gehören zu den gewaltsam Verschwundengelassenen, denn der Ort ihres Verbleibs ist unbekannt.

Die Forderung nach Freilassung der Journalistinnen war eingebettet in eine mit „Stimmen im Widerstand” überschriebenen, vom Kollektiv Nicaragua Nunca Más organisierten Kampagne: Diese sollte einen Monat lang über die Realität inhaftierter, verschwundener und gewaltsam vertriebener Journalistinnen berichten und hierzu verbündete digitale Plattformen und Menschenrechtsorganisationen einbeziehen, um deren Wirkung zu verstärken und internationalen Druck zu erzeugen. Inhalte sollten durch Videos, Podcasts, Infografiken, Pressemitteilungen und Interviews vermittelt werden. Der Austausch mit und Schulungen für Journalistinnen, die Sammlung von Fällen inhaftierter und verschwundener Journalistinnen oder Analysen zur Pressearbeit unter Zensur in repressiven Kontexten waren ergänzende Formate.

Sieben Jahre unabhängiger Journalismus trotz Diktatur

Ein weiteres Anliegen der Initiatorinnen war, die Ausdauer, den Mut und die Integrität der nicaraguanischen Journalistinnen zu würdigen, dass sie „der Diktatur in Nicaragua entgegentreten und ihren Beruf mit Ethik, Qualität, Würde und Überzeugung ausüben; dass sie trotz ständiger Angriffe und Repressionen weiterhin über Menschenrechtsverletzungen berichten und die Lügen und Verbrechen aufdecken, die Ortega und Murillo täglich begehen.” Eines dieser Verbrechen ist die Ermordung des Journalisten Ángel Gahona, der am 21. April 2018 von paramilitärischen Gruppen in Bluefields erschossen wurde, während er über die Angriffe auf die Bürgerinnenproteste gegen die Regierung berichtete. Seine Ermordung wie auch die systematische Verfolgung, Kriminalisierung und Inhaftierung von Journalistinnen bleiben ungesühnt. „Seit 2018 (der gewaltsamen Niederschlagung der massiven Bürgerinnenproteste, Anm.d.Red.) sind wir Zeuge der grausamsten Repression, die den Journalismus zu einem Beruf mit hohem Risiko und großen Opfern gemacht hat”, so das Kollektiv Nicaragua Nunca Más.

In den achtzehn Jahren seiner Amtszeit hat Ortega mindestens 61 Medien, Zeitungen, Radiosender, Fernsehkanäle und digitale Medien geschlossen, teils durch Entzug ihrer Betriebslizenzen, teils durch wirtschaftliche Erstickung, schließlich durch die Beschlagnahmung ihrer Einrichtungen und ihres Betriebskapitals und fallweise mit roher Gewalt durch Polizei und Militär. Die vorläufige Bilanz: 15 Journalistinnen, Medienmitarbeiterinnen und Führungskräfte wurden verhaftet, an die 300 Journalistinnen ins Exil gezwungen und annähernd 25 Journalistinnen und Medienschaffenden wurde die Staatsbürgerschaft entzogen. „Das Exil hat uns nicht zum Schweigen gebracht, aber es hat uns gezwungen, uns neu zu erfinden”, betont Wendy Quintero, Journalistin des Kollektivs Nicaragua Nunca Más. Rund um den Journalistentag herum gab es digitale Foren zum Thema Exiljournalismus und seine Herausforderungen: An einer dieser über YouTube verbreiteten Diskussionsrunden beteiligten sich die Journalistinnen Jennifer Ortiz von Nicaragua Investiga, Juan Lorenzo Holmann von La Prensa und die ehemalige politische Gefangene Lucía Pineda Ubau von 100%Noticias unter der Leitung des Investigativjournalisten Carlos Fernando Chamorro, Direktor von CONFIDENCIAL und dem YouTube-Kanal Esta Semana.

Einig waren sich die Teilnehmerinnen darin, dass der nicaraguanische Exiljournalismus nicht nur vor der Herausforderung stehe, sich gegen Desinformation, Distanzlosigkeit und Sensationslust zu wehren. Zugleich muss er auch der Zensur und der Bedrohung jener Menschen, die den Mut haben, die Korruption und die Ungerechtigkeiten in Nicaragua anzuprangern, etwas entgegensetzen. Um das Engagement dieser Menschen besonders zu würdigen, ist es notwendig, dass die Medien darüber berichten. Es sind Bürgerinnen, die ihre Meinung oder undichte Stellen im System mit den Medien ihrer Wahl teilen und auf die Professionalität der Journalistinnen vertrauen. „In Nicaragua wird jeder überwacht, und es ist klar, dass die Weitergabe von Informationen an unabhängige Medien eine von der Diktatur verfolgte Tätigkeit ist. Wir unabhängigen Medien berichten jedoch weiterhin und veröffentlichen die Leaks“, sagte Chamorro.

Quellen und Journalistinnen würdigen

„Die Leute informieren, weil es Dinge oder Situationen gibt, die sie betroffen machen und sie sagen sich: ‘Ich kann nicht schweigen. Ich kann das nicht auf sich beruhen lassen’“, berichtete Holmann und betonte, dass „sich die Stimme dessen, was in Nicaragua passiert, außerhalb des Landes befindet, aber die Informationen kommen aus Nicaragua”. Daher sei es wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Medien äußerst verantwortungsbewusst mit der Wahrung der Anonymität ihrer Quellen umgehen. Lucía Pineda ergänzte, dass trotz der Angst, die durch den Einsatz von Polizei, Paramilitärs oder als Paramilitärs auftretenden Staatsbediensteten erzeugt werde, die Menschen diese Angst durchbrächen, indem sie bestimmte Ereignisse innerhalb der Institutionen als Information an die Medien weitergeben: „Veränderungen, in Ungnade des Systems gefallene Personen, interne Machtkämpfe und die Korruption der Familie Ortega Murillo und ihrer Handlanger.“ Hierfür zollten die Journalistinnen den nicaraguanischen Bürgerinnen Anerkennung und bekräftigten ihre Verpflichtung, ihnen weiterhin sichere Kanäle für die Übermittlung von Informationen zur Verfügung zu stellen und gleichzeitig die Anonymität ihrer Informantinnen zu gewährleisten.

Die technologische Entwicklung ermöglicht es den unabhängigen Medien vom Exil aus die in Nicaragua lebende Bevölkerung, die Zensur und Repressalien ausgesetzt ist, zu erreichen. Die Menschen erhalten Informationen, Analysen oder Reportagen, die sie in den offiziellen, von der Diktatur kontrollierten Medien nicht finden. Was die Rezeption angeht, zeigen die von den vier Medienvertreterinnen vorgelegten Daten, dass 67 Prozent des Publikums von Nicaragua Investiga sich innerhalb des Landes befinden; 60 Prozent derjenigen, die La Prensa und 100%Noticias nutzen, leben ebenfalls in Nicaragua sowie 50 Prozent derjenigen, die ihre Informationen über CONFIDENCIAL beziehen. Die übrigen Nutzerinnen sind über die Zufluchtsländer Costa Rica, Mexiko, Panama, Spanien, die USA und andere mittel- und lateinamerikanische Länder und Europa verteilt. Da der unabhängige Journalismus auf sogenannte Paywalls (kostenpflichtige Online-Inhalte) verzichtet, werden die Internetnutzerinnen dazu angehalten, Videos anzuklicken, lange auf der Website zu verweilen und was ihnen gefallen oder sie beeindruckt hat, weiterzuleiten. „Das hilft bei der Finanzierung und zur Nachhaltigkeit“, meinte Pineda. Die Existenz der unabhängigen Medien hängt jedoch in erster Linie von den Spenden und Abos des Publikums ab.

Das Regime antwortet mit neuem Angriff auf die Pressefreiheit

Die Aktivitäten der unabhängigen Medien zum Nationalen Journalistentag haben das Ortega-Murillo-Regime offenbar zu einem neuerlichen Angriff auf die Pressefreiheit bewogen: Am 14. März konnten die Nutzerinnen von CONFIDENCIAL lesen: „Screenshot der Website confidential.com.ni / blockiert” und sodann die dazu gehörige Information, dass seit dem 14. März die Webseiten der Medien mit der Sub-Domäne .ni (für Nicaragua) blockiert wurden, darunter CONFIDENCIAL, La Prensa, 100% Noticias und Onda Local. Außer 100% Noticias hatten die betroffenen Medien schon länger auf neue Domänen umgestellt, behielten jedoch die Weiterleitung bei, die jetzt blockiert ist. Die willkürliche Sperrung erfolgte durch die Nationale Ingenieurhochschule (UNI). Als Verwalterin der .ni-Domäne ist diese jedoch verpflichtet, die von den zuständigen Stellen für die weltweite Koordinierung der Domänen aufgestellten Regeln einzuhalten. Mit deren Sperrung und Aussetzung ohne Begründung aus offensichtlich politischen Motiven verstößt das Regime gegen diese Richtlinien. Diese neuerlichen Störmanöver beweisen, dass der Exiljournalismus erfolgreich ist, aber immer wieder mit neuen Repressalien zu kämpfen hat, um den nicaraguanischen Bürgerinnen das Recht auf Meinungs- und Informationsfreiheit zurückzugeben.


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