Kuba | Nummer 329 - November 2001

…doch es gibt nur eine kubanische Literatur

Interview mit der Schriftstellerin Mirta Yáñez

Mirta Yáñez, 1947 in Havanna geboren, ist in Kuba nicht nur als Schriftstellerin, sondern auch für ihre feministischen Studien über lateinamerikanische, insbesondere kubanische Literatur und ihr Engagement für die Förderung kubanischer Schriftstellerinnen bekannt. Im März 2001 erhielt sie den Förderpreis der Initiative LiBeraturpreis. Seit kurzem liegt im Bremer Atlantik Verlag ein erster Erzählband von ihr auf Deutsch vor: Havanna ist eine ziemlich große Stadt.

Ann-Catherine Geuder

Sie waren zwölf Jahre alt, als die Revolution begann. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?

Ich begeisterte mich für den Wandel, für all die Hoffnungen der 60er Jahre auf Veränderungen, auf mehr Gerechtigkeit in der Welt. Es waren wirklich großartige Jahre, nicht nur wegen der Revolution, auch wegen anderer Dinge, die auf der Welt geschahen. Es gab dabei Gutes und Schlechtes, Kriege, aber auch die Hippies und eine außergewöhnliche kulturelle Explosion von Kuba ausgehend hin zur Welt und von der Welt hin zu Kuba. Ich glaube, das waren besondere Jahre. Und ich habe sie mit aller Intensität erlebt.

Können Sie uns etwas über Ihre ersten Jahre als Schriftstellerin erzählen? Wie haben Sie den Literaturbetrieb wahrgenommen?

Meine erste Geschichte wurde 1974 abgedruckt, aber ich habe schon ein paar Jahre früher mit dem Schreiben begonnen. Während meines Literaturstudiums hatte ich sehr engen Kontakt mit meinen ProfessorInnen, die gleichzeitig SchriftstellerInnen waren. Ich habe die 60er also nicht als Schriftstellerin erlebt, sondern als Lernende. Es war eine Zeit voller Begeisterung, Polemik, vitaler Kreativität. Dann, in den 70er Jahren, begann die graue, die schwarze Phase. Das war die Zeit der Zensur, in der das kulturelle Leben auf ein Mittelmaß sank.
Und in eben jener Zeit begann ich zu schreiben und zu publizieren. Ich hatte Glück, denn mein erster Gedichtband hatte nichts mit Politik zu tun, es waren Gedichte über die Stadt und die Liebe. Um das verständlicher zu machen: Es gibt meiner Meinung nach drei verschiedene Gruppen von SchriftstellerInnen. Da sind die offiziellen SchriftstellerInnen, die an all den Veranstaltungen, die der Staat organisiert, teilnehmen und hohe politische Ämter innehaben. Auf der anderen Seite gibt es die DissidentInnen, und dazwischen ist eine Gruppe von SchriftstellerInnen, die weder offiziell noch dissident sind, die aber trotzdem am kulturellen Leben teilnehmen.
In den 70ern gab es eine schreckliche Repressionswelle gegen Homosexuelle, wobei weniger einzelne Werke zensiert, sondern vielmehr die SchriftstellerInnen selbst unterdrückt wurden. Nicht die Literatur von Lezama Lima wurde verboten. Diese SchriftstellerInnen wurden vergessen oder verleugnet. Es gab schreckliche Momente, wie ich sie auch erlebt habe, als man mich nicht in das Wörterbuch der kubanischen Literatur aufnahm. Es gab bereits zwei Bücher von mir, und ich hatte meines Wissens nichts getan, außer dass ich nicht zur offiziellen Welt gehörte, nicht orthodox war, und mit einem gewissen übertrieben „offiziellen“ Benehmen nicht übereinstimmte. Aber anderen Menschen sind viel schlimmere Dinge passiert. Ich konnte wenigstens publizieren.

Wie ging es für Sie weiter?

Ich unterrichtete in der Universität und schrieb gleichzeitig, bis ich in den 80ern endlich aus dem Universitätsbetrieb aussteigen und zu Hause arbeiten konnte. In dieser Zeit gewann ich zweimal den Premio de la Crítica (Kritikerpreis). Ich schätze diesen Preis sehr, weil er nicht einer einzelnen Person verliehen wird, sondern man die zehn besten Bücher des Jahres auswählt. Da kann es keinen Schwindel geben, kein Schriftsteller bevorzugt werden. Diese Preisverleihungen freuten mich sehr, weil ich mit ihnen einen Platz in der Literatur bekam, mein Name mehr respektiert wurde. Anfang der 90er Jahre zog ich mich dann aus der Literatur zurück, vor allem aus privaten Gründen aber auch wegen der allgemeinen Lage. Ich war vollkommen blockiert. Ich schrieb zwar weiterhin Gedichte, aber keine Prosa mehr, und ich widmete mich vor allem der Essayistik und der Förderung der Literatur von Frauen. Erst in den letzten Jahren habe ich angefangen, mit meiner Literatur wieder mehr in die Öffentlichkeit zu gehen.

Was sind für Sie die wichtigsten Veränderungen in der gegenwärtigen Literatur?

In den 90ern kam es in der kubanischen Literatur zum Boom der ganz jungen Literatur, die sehr stark und sehr kritisch ist, und zum Boom der Schriftstellerinnen. Ein drittes Phänomen ist das wachsende Bewusstsein, dass es nur eine einzige kubanische Literatur gibt. Die, die drinnen leben, und die, die draußen leben, werden in hundert Jahren alle kubanische Autoren sein. All die Dinge, die uns zu trennen und zu isolieren pflegen, sind ein Irrtum. Die draußen behaupten, dass wir drinnen nicht existieren. Das ist ein literarischer Fundamentalismus. Und die drinnen wollen diejenigen nicht publizieren, die draußen sind. Das ist literarischer Fundamentalismus. Aber es findet bereits ein Wandel statt. In den Anthologien, die ich herausgegeben habe, stehen Autorinnen von drinnen und draußen nebeneinander.
Ein weiteres für die 90er typisches Phänomen ist, dass viele Schriftsteller aus einer ökonomischen Notwendigkeit heraus den Markt außerhalb Kubas suchen.

Wie stehen Sie zu dieser Entwicklung?

Das Gute daran ist, dass die kubanische Literatur nun im Ausland bekannter wird, es herrschte ja eine große Unkenntnis. Aber schlecht ist, dass einige SchriftstellerInnen jetzt schreiben, um zu verkaufen. Das ist nicht allein ein kubanisches Phänomen. Auch unter den SpanierInnen gibt es welche, die diese kommerzielle, banale, dumme Literatur schreiben. Das gibt es überall. Meiner Meinung nach ist eine Literatur, deren Fundament nicht die Literatur selbst ist, immer zum Scheitern verurteilt. Du kannst ein politisches Werk schreiben, aber das Fundament muss literarisch sein, denn wenn es aus Politik besteht, wird man es erkennen. Oder wenn Geld das Ziel ist, wird man das auch sehen. Immer wenn es in der Literatur ein sehr plumpes Ziel gibt, geht die Literatur verloren.

Wenn man sich die Zahlen des Instituto Cubano del Libro anschaut, dann könnte man meinen, dass es mit dem Literaturbetrieb auf Kuba bergauf geht. Wie ist Ihre Sicht als Schriftstellerin?

Den SchriftstellerInnen geht es wesentlich besser. Die Bücher sind schöner, man muss nicht mehr vier Jahre warten, bis ein Buch herauskommt. Es gibt folgenden Witz: Der einzige Vorteil von kubanischen Verlagen ist, dass man auf den Fotos immer fünf Jahre jünger aussieht. Außerdem werden die AutoreInnen jetzt besser von den Verlagen behandelt. Und hinzu kommt, dass die KubanerInnen große LeserInnen sind. Doch eine Zeit lang gab es so gut wie keine Bücher. Dieses Jahr sah man auf der Buchmesse eine gewaltige Masse an Büchern! Ganz Havanna ging dorthin, um Bücher zu kaufen, obwohl die Preise etwas höher sind als früher.

Gibt es also keinen Papiermangel und andere Probleme mehr?

Doch, es gibt weiterhin Schwierigkeiten mit dem Papier und andere ökonomische Probleme. Aber man hat begriffen, dass ein Land seine Literatur braucht. Sonst beginnen alle, im Ausland zu publizieren. Ich bin keine Spezialistin, aber ich glaube, es gibt staatliche Unterstützung für die Verlage. Dies sind sehr positive Veränderungen.

Wie sehen Sie die Zukunft der kubanischen Literatur?

Wenn man sich vor der Gefahr retten kann, nur um des Gefallen willens zu schreiben… Aber zum Glück gibt es große kubanische SchriftstellerInnen auf der Insel und außerhalb der Insel. Auch unter den AutorInnen, die auf Englisch schreiben. Alles ist kubanische Literatur. Die kubanischen Autoren sind sehr verstreut, aber in der Zukunft wird es uns gelingen, alle in einem einzigen Ganzen zu integrieren.

Interview: Ann-Catherine Geuder

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