Ecuador | Nummer 303/304 - Sept./Okt. 1999

Doppeltes Präsidentensolo

Friedensverhandlungen haben Hochkonjunktur

Jahrzehntelang war der schwelende Grenzkonflikt mit Peru für ecuadorianische Politiker aller Fraktionen ein probates Mittel, die nationale Einheit zu beschwören und innenpolitische Spannungen unter den Teppich zu kehren. Doch nun drängt der neue Präsident Jamil Mahuad auf den zügigen Abschluß eines Friedensvertrags – und sein peruanischer Amtskollege Alberto Fujimori prescht mit ihm nach vorne.

Elisabeth Schumann

Ich bin angetreten, um das Land vor dem Sinken zu bewahren.“ Die Dimension seines feierlichen Versprechens zum Amtsantritt am 10. August dürfte Ecuadors neuem Präsidenten Jamil Mahuad inzwischen deutlich geworden sein. Nach der Verabschiedung eines Maßnahmenpaketes zur Stabilisierung der stark angeschlagenen Wirtschaft schlug die abwartende Haltung der Bevölkerung um: Ende September und Anfang Oktober fanden mehrere Protestmärsche der Gewerkschaften, Studierenden und der indigenen Bewegung statt, bei denen es zu heftigen Auseinandersetzungen mit der Polizei kam. Vier Tote und über hundert Festnahmen sind neben erheblichem Sachschaden die traurige Bilanz.
Dabei hatte der 49jährige Christdemokrat die Sympathien zunächst auf seiner Seite: Nach den chaotischen Verhältnissen der letzten Jahre unter Präsident Abdalá „el loco“ Bucarám, nach dessen Amtsenthebung wegen „geistiger Unfähigkeit“ und der Interimspräsidentschaft von Fabián Alarcón schien der Harvardabsolvent Mahuad der lang ersehnte Garant für Stabilität zu sein. Der ehemalige Bürgermeister von Quito war am 12. Juli mit der absoluten Mehrheit der Stimmen als Sieger aus der Stichwahl hervorgegangen.

Ein „richtiger“ Präsident und richtige Probleme

Doch die weitverbreitete Meinung, mit Mahuad endlich wieder einen „richtigen“ Präsidenten zu haben, täuscht nicht über die katastrophale wirtschaftliche Situation des Landes hinweg. Nicht nur den „klassischen“ Problemen wie hoher Inflation (über 40 Prozent), hoher Auslandsverschuldung und wachsendemn Haushaltsdefizit muß getrotz werden, sondern in der durch das Klimaphänomen El Niño verwüsteten Küstenregion stehen zusätzlich dringend benötigte Infrastrukturinvestitionen und die Wiederherstellung der sanitären Grundversorgung der Bevölkerung an.
Das von Mahuad angepeilte Wirtschaftswachstum von 5 Prozent muß nicht nur im Zeichen niedriger Weltmarktpreise für das Hauptexportprodukt Erdöl mit einem dicken Fragezeichen versehen werden. Die Asienkrise hat in Ecuador empfindliche Spuren hinterlassen, wurden doch auch die beiden anderen Hauptexportprodukte Shrimps und Bananen insbesondere von Ländern aus dem asiatischen Raum abgenommen. Mit der Förderung ausländischer Investitionen, einer rigoroseren Steuerpolitik und deutlich geminderten Staatsausgaben als zentralen Ansätzen im Kampf gegen Armut und die weitverbreitete Korruption bewegt sich Mahuad noch konsequenter auf neoliberalem Terrain als seine Vorgänger, die ihren Kurs mit den unterschiedlichsten Etiketten zu verschleiern suchten.

Konsequent neoliberal

„Schmerzhaft, aber notwendig“, verteidigte Mahuad seine Verordnungen und kündigte hartes Durchgreifen an. Der Abbau von staatlichen Subventionen bei Elektrizität, Gas und Diesel führte unter anderem zum Anstieg der Treibstoffpreise um 400 Prozent und zog eine Preiserhöhung der wichtigsten Grundnahrungsmittel und des öffentlichen Transports nach sich. Die geplante finanzielle Unterstützung in Höhe von 15 US-Dollar für Familien mit einem Monatseinkommen von unter 160 US-Dollar mutet vor diesem Hintergrund recht kläglich an und wurde von Sprechern der Dachgewerkschaft Frente Unitario de Trabajadores (FUT) als Farce gebrandmarkt. Mahuads Image als integrer und effizienter Politiker ist zweifelsohne eine nicht zu unterschätzende Starthilfe, letztendlich aber wurden durchgreifende wirtschaftspolitische Maßnahmen auch dem Populisten Bucarám zum Verhängnis. Ein Generalstreik gegen Mahuads Austeritätspolitik unter Federführung der indigenen Dachorganisation CONAIE ist nach Aussagen ihres Präsidenten Antonio Vargas Huatatoca nur eine Frage der Zeit.
Aber – so der Kommentar des Journalisten Jorge Ortiz in der Tageszeitung HOY Anfang Oktober – die Zeiten, in denen mit einer neuen Regierung auch die Hoffnung auf Linderung der drängendsten Probleme verbunden war, sind in Ecuador lange vorbei. Vorherrschend ist heute die Hoffnung, die neue Regierung möge zumindest nicht auch noch die letzten Perspektiven zerschlagen.

Friedensvertrag als Chefsache

Ein anderer Schwerpunkt in Mahuads Wahlprogramm – das Friedensabkommen in dem seit über 170 Jahren schwelenden Grenzkonflikt mit Peru – stand zunächst ebenfalls unter einem schlechten Stern: Der peruanische Präsident Alberto Fujimori hatte seinen Besuch zum Amtsantritt Mahuads kurzfristig abgesagt, nachdem es Anfang August erneut zu Zwischenfällen an der Grenze im Amazonastiefland gekommen war. Inzwischen aber haben beide Mandatsträger den Friedensvertrag zur Chefsache erklärt – und zwar ausschließlich! Nachdem Fujimori und Mahuad bereits Ende September bei ihrer Zusammenkunft auf dem Landsitz des brasilianischen Präsidenten Fernando Henrique Cardoso bei Brasilia ihre Außenminister zu Hause gelassen hatten, deutet auch ihr weiteres Vorgehen auf einen Alleingang in Sachen Frieden hin.

Fujimori – einer gegen alle

Der peruanische Außenminister Eduardo Ferrero reagierte auf dieses Präsidentensolo mit seinem Rücktritt. Seinem Beispiel folgte nicht nur sein Stellvertreter, sondern eine ganze Reihe namhafter Politiker in Schlüsselpositionen im Umfeld der für die Grenzverhandlungen zuständigen Kommission. Ferrero gilt als Vertreter der „harten Linie“, und die hinter seinem Rücktritt vermuteten Differenzen mit Fujimori über die Verhandlungsstrategie dürften auch das peruanische Militär interessieren. Während die ecuadorianische Presse die Angelegenheit als hoffnungsvolles Signal bewertete, herrschte in der öffentlichen Meinung in Peru Mißtrauen vor.
Fujimori geht nämlich nicht nur mit seinem politischen Umfeld und immer wieder auch dem Militär auf Konfrontationskurs, sondern hat außerdem den Volkszorn gegen sich: Ein nationaler Streik der LehrerInnengewerkschaft, Bauarbeiter und Studierenden am 30. September unter dem Motto „No a la dictadura“ war nur der Auftakt einer Reihe von Protestaktionen gegen Fujimori und seine Pläne einer erneuten Kandidatur. Fujimori stellte aus freiwerdenden Ressourcen des Militäretats 200 Millionen US-Dollar jährlich für soziale Projekte in Aussicht – außer einem handfesten Argument für den Frieden auch ein deutlicher Versuch, die Wogen zu glätten.

Politisches Prestige im Ausland

Entscheidender Faktor in dieser unerwarteten Friedensdynamik ist jedoch zweifelsohne das außenpolitische Prestige, was beide Präsidenten sich versprechen. US-Präsident Clinton höchstpersönlich hatte die zügige Beendigung der Unstimmigkeiten am 30. September angemahnt. Der Konflikt ist nicht nur für größere Investitionsprojekte sondern auch für raumwirtschaftliche Integrationsvorhaben wie die Andine Gemeinschaft oder Clintons Vision einer panamerikanischen Freihandelszone ein bedeutendes Hemmnis. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum es sich in den USA viel gemütlicher plaudert als auf dem heimischen Sofa: Fujimori reiste seinem ecuadorianischen Amtskollegen kurzentschlossen nach New York hinterher, wo dieser am 3. Oktober vor den Vereinten Nationen und der Weltbank sein Regierungsvorhaben erörterte.

Freier Zugang zum Amazonas

Aber die Verhandlungen sind alles andere als nur Fassade: Mit der Unterzeichnung eines Abkommens über freien Handel und Schiffsverkehr wurde Ecuador in Cardosos Landsitz der Zugang zum Amazonas garantiert, der von ecuadorianischer Seite als zentrale Forderung in die 1996 wieder aufgenommenen Verhandlungen eingebracht worden war. Der Friedensvertrag aus dem Jahre 1942 – das sogenannte Protokoll von Rio de Janeiro – wurde von Ecuador unter anderem all die Jahrzehnte grundsätzlich in Frage gestellt, da der in Artikel VI verankerte freie Zugang zum Amazonas nur auf dem Papier bestand. Ecuador hatte damals mit dem Vertrag de amistad y límites über 200.000 Quadratkilometer – rund die Hälfte des nationalen Territoriums – an Peru verloren. Das Zugeständnis von freiem Handel und Schiffsverkehr auf dem Amazonas ist insofern ein entscheidender Durchbruch, da Ecuador, das sich als pais amazónico versteht, damit die Möglichkeit einer „würdigen“ Lösung des Konfliktes eingeräumt wird.

„Sicherheitsabstand“ oder Nationalpark?

Tatsächlich ist der Abschluß eines Friedensvertrages noch vor Jahresende geplant. Bei einer endgültigen Demarkierung der 78 Kilometer des umstrittenen Grenzverlaufs in der Cordillera del Cóndor allerdings haben nicht die Präsidenten das Sagen sondern die Karthographen – und die sind nicht nur in Ecuador in erster Linie Angehörige des Militärs. Die multinationale Beobachtertruppe MOMEP aus Vertretern der vier Garantenstaaten des Rio-Protokolls Argentinien, Brasilien, Chile und den USA, plädierte deshalb für einen entmilitarisierten „Sicherheitsabstand“ von rund 60 Kilometern. Im Gespräch ist ebenso ein „grenzenloses“ binationales Naturreservat, das jedoch angesichts des Ressourcen- und Infrastrukturpotentials der Region wohl Wunschdenken bleibt.
Die Vertretung der Amazonasethnie Shuar, deren Untergruppen sowohl auf ecuadorianischem wie auf peruanischem Staatsgebiet leben, machte unterdessen deutlich, daß sie in dieser Angelegenheit auch ein Wörtchen mitzureden habe und Kolonisierungsvorhaben grundsätzlich ablehne.

Minen müssen geräumt werden

Zumindest wird bereits über die Entschärfung der im Grenzgebiet ausgelegten Minen diskutiert – zwischen 60.000 und 100.000 Stück schätzen peruanische Experten auf ecuadorianischem Gebiet. Die gemeinsame Räumung – vor allem die gemeinsame Übernahme der Kosten – könnte somit zum Prüfstein einer politisch tragfähigen Lösung werden. Die USA signalisierten bereits Unterstützung, wie auch im wirtschaftlichen Bereich mit „Unterstützung“ zu rechnen ist, sobald das Abkommen unter Dach und Fach ist.
So üben sich Mahuad und Fujimori im öffentlichen Schulterschluß: In einer gemeinsamen Pressekonferenz in Brasilia betonten sie die „fruchtbare und herzliche“ Atmosphäre und bemühten das vielstrapazierte Bild vom gemeinsamen Boot, in dem sie den „Hafen des Friedens“ erreichen wollen. Alberto Fujimori beschwerte sich scherzhaft über die schlechten Telefonleitungen des nördlichen Nachbarstaates: „Jedesmal, wenn ich mit Präsident Mahuad telefoniere, bricht die Leitung zusammen. Aber Jamil hat mir versprochen, die Telekommunikation zu privatisieren.“
Doch trotz der Nähe, in die ein endgültiges Friedensabkommen gerückt zu sein scheint: Hinter einer politischen Einigung auf höchster Ebene stehen Jahrzehnte der Konfrontation und des gegenseitigen Mißtrauens, die vor allem in Ecuador im politischen Diskurs eine zentrale Rolle spielen und fest im gesellschaftlichen Bewußtsein verankert sind. Dem Nachbarn Peru heimliche Aufrüstung vorzuwerfen, ist nur eines der fest etablierten Rituale im ecuadorianischen Polit-Alltag.
Aber diese binationalen Empfindlichkeiten vergißt auch Fujimori gelegentlich: So insistierte er auf besagter Pressekonferenz in derselben ausgelassenen Stimmung, auch Jamil Mahuad solle die Einsparungen des Militärhaushaltes in einem Friedensabkommen verbindlich festlegen. Dessen trockene Anwort ließ ihm sein Lächeln zur Grimasse erstarren: „Im Gegensatz zu euch, gibt es bei uns ja kaum etwas einzusparen“.

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