Kolumbien | Nummer 485 - November 2014

Dubiose Zusammenarbeit

Europäische Union und Kolumbien schliessen militärisches Kooperationsabkommen

Der künftige Einsatz von kolumbianischen Soldat_innen bei EU-Missionen soll Kosten sparen und für mehr praktisches Know-how sorgen. Kritiker_innen fürchten eine Gefährdung der Friedensverhandlungen und eine Stärkung der für Menschenrechtsverbrechen bekannten kolumbianischen Armee.

David Graaff

Die EU-Botschafterin in Kolumbien Maria Antonia Van Gool war voll des Lobes für die Streitkräfte ihres Gastlandes, als sie gemeinsam mit dem kolumbianischen Verteidigungsminister Juan Carlos Pinzón im August ein Abkommen über die Beteiligung Kolumbiens an Krisenbewältigungsoperationen der Europäischen Union unterzeichnete. Der geplante Einsatz kolumbianischer Soldat_innen im Rahmen ziviler und militärischer EU-Missionen in Drittländern sei ein bedeutender Fortschritt für die gegenseitige Zusammenarbeit. „Kolumbien verfügt über für die EU nützliche Erfahrung in der Aufstandsbekämpfung, dem Kampf gegen Drogen und den Terrorismus,“ sagte die Niederländerin.
Mit dem Abkommen sichert sich die Europäische Union die Dienste einer der praxis-erfahrensten und zugleich umstrittensten Armeen der westlichen Hemisphäre. Seit vielen Jahren ist bekannt, dass Angehörige der hochgerüsteten kolumbianischen Streitkräfte unter dem Deckmantel der Aufstandsbekämpfung nachweislich eine ganze Reihe von schweren Menschenrechtsverletzungen begangen haben. In mehreren Fällen wurden Militärs und sogar hochrangige Generäle von der kolumbianischen Justiz und dem Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte (CIDH) deshalb verurteilt – allzu oft aber blieben die Verbrechen ungesühnt.
International bekannt wurde in den vergangenen Jahren aber vor allem die verbreitete Praxis der sogenannten falsos positivos: Um Prämien zu erhalten, töteten Soldat_innen unschuldige Zivilist_innen, steckten sie in eine Uniform und präsentierten sie als im Kampf getötete Guerillakämpfer_innen. Menschenrechtler_innen beklagen seit Jahren, dass die Taten nicht ausreichend bestraft wurden. Zuletzt hatte die kolumbianische Armee damit Schlagzeilen gemacht, dass der Militärgeheimdienst die Kommunikationskanäle der Verhandlungsführung in Havanna und zahlreicher Politiker_innen angezapft hatte.
Alirio Uribe kann die geplante Zusammenarbeit der EU mit den kolumbianischen Militärs nicht verstehen. Der heutige Kongressabgeordnete der Linkspartei Polo Democrático arbeitete viele Jahre für das Anwaltskollektiv José Alvear Restrepo (Ccajar), das zahlreiche von Militärs begangene Menschenrechtsverbrechen vor den CIDH gebracht hat. „Es könnten trotz einem Ende des bewaffneten Konflikts in unserem Land weiterhin kolumbianische Soldaten sterben“, sagte er den LN. „Das Abkommen ist nicht mit den Friedensbemühungen in Kolumbien vereinbar.“
Uribe ist der Ansicht, dass das Verteidigungsministerium mit dem Abkommen versuche, dem Problem des Söldnertums entgegenwirken. In den vergangenen Jahren haben sich Tausende Soldat_innen laut Berichten kolumbianischer Medien aus dem Dienst zurückgezogen und bei privaten Sicherheitsfirmen angeheuert. Einige sollen in Afghanistan und im Irak kämpfen, auch die Ölmonarchien am Golf und dort besonders die Vereinigten Arabischen Emirate stehen hoch im Kurs. Es winken üppige Bezahlung und ein geringeres Sicherheitsrisiko als in den zermürbenden Dschungelkämpfen mit der Guerilla.
Doch will das hochgerüstete kolumbianische Militär wohl nicht nur dem Söldnertum entgegensteuern, sondern plant bereits für den Fall, dass die derzeit stattfindenden Friedensverhandlungen mit der FARC-Guerilla erfolgreich enden. Denn sollte es in Kolumbien wirklich Frieden geben, werden zukünftige Regierungen die Zahl der Soldat_innen wohl mittelfristig senken müssen. Eine große Herausforderung, denn durch die enorme personelle Aufstockung der Sicherheitskräfte seit der Jahrtausendwende, unter anderem durch die finanzielle Unterstützung der USA im Rahmen des Plan Colombia, stehen derzeit rund eine halbe Million Soldat_innen und Polizist_innen im Dienst „für das Vaterland“. So viel wie in kaum einem anderen Land Lateinamerikas.
Die Europäische Union schielt vor allem auf die vergleichsweise geringen Kosten und das militärische Know-how der kolumbianischen Soldat_innen – und ist damit spät dran: Unlängst schloss auch die NATO ein bei den Linksregierungen Lateinamerikas umstrittenes Kooperationsabkommen mit den Kolumbianern. Venezuelas Präsident Nicolás Maduro hatte daraufhin von einem „Dolchstoß ins Herz der Völker unseres Amerikas“ gesprochen, Boliviens Staatsoberhaut Evo Morales eine Dringlichkeitssitzung des Unasur-Bündnisses gefordert. Kolumbien hingegen ficht das nicht an. Verteidigungsminister Pinzón hat laut Medienberichten bereits ebenso Kontakte nach Russland geknüpft, um die militärische Zusammenarbeit zu verstärken.
„Kolumbianische Soldat_innen bei EU-Missionen einzusetzen, ist finanziell günstiger und politisch einfacher, als wenn die Armeen der Mitgliedsstaaten eigene Leute in großer Zahl entsenden müssen“, sagt Alirio Uribe. Derzeit führt die Union Missionen in Osteuropa, Afrika sowie dem Nahen und Mittleren Osten durch und arbeitet dabei auch mit mehreren Drittstaaten zusammen. Bisher stellt Chile als einziges Land in Lateinamerika der EU Soldat_innen zur Verfügung. Bei welchen Operationen und ab wann die kolumbianischen Soldat_innen für die EU eingesetzt werden sollen, ist allerdings noch nicht bekannt. Kritiker_innen befürchten zudem, dass Kolumbien durch die Kooperation Zugriff auf zusätzliche Rüstungsgüter erhalten könnte.
Substanzielle Änderungen des Abkommens oder gar eine Verhinderung des Inkraftretens sind derzeit kaum zu erwarten. Das Abkommen fällt unter die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU (GASP), ein Bereich der laut des Vertrags von Lissabon weder eine Beteiligung des Europäischen Parlaments, noch der nationalen Legislativ­organe vorsieht.
In Kolumbien ist das Prozedere zumindest auf dem Papier hingegen deutlich demokratischer. Hier muss die getroffene Übereinkunft noch durch den Kongress und auch das Oberste Verfassungsgericht muss ihr zustimmen. Allerdings steht die Ampel für das Abkommen derzeit in beiden Organen eher auf grün als auf rot. Als das Kooperationsabkommen mit der NATO vor wenigen Wochen im Unterhaus eingebracht wurde, stimmten gerade einmal sieben Abgeordnete gegen den Vertrag.

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